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Immunität gegen SARS-CoV-2
Wie lange sind Infizierte geschützt?

Über das Virus SARS-CoV-2 haben Ärzte und Wissenschaftler in den vergangenen Wochen jede Menge gelernt. Aber es existieren immer noch große Wissenslücken. Kompliziert wird es dann, wenn Forschende herausfinden wollen, wie unser Immunsystem die neuen Viren bekämpft.

Von Michael Lange | 09.10.2020
Nahaufnahme einer behandschuhten Hand, die ein Fläschchen mit der Aufschrift "Covid-19 - Coronavirus Vaccine" hält
Die Suche nach einem Impfstoff gegen Sars-CoV-2 läuft weltweit auf Hochtouren. (picture alliance / Bildagentur-online/Tetra-Images)
Sind Menschen nach einer überstandenen Infektion mit dem neuartigen Coronavirus vor einer erneuten Ansteckung geschützt? Und wenn ja, wie lange? Ganz besonders wichtig ist die Beantwortung dieser Fragen für die Impfstoffentwicklung. Denn es wäre fatal, wenn ein Impfstoff nur wenige Wochen oder Monate vor einer weiteren Infektion schützt und dann seine Wirkung verliert.

Was weiß man darüber, wie sich unser Immunsystem gegen das Virus wehrt?

Zunächst lag der Fokus auf so genannten neutralisierenden Antikörpern. Diese Antikörper erkennen und bekämpfen die Spikes auf der Virusoberfläche. Spikes oder Spike-Proteine sind Stachel auf dem Virus, wie man sie auf Aufnahmen mit Elektronenmikroskopen sieht. Das Problem ist jedoch, dass die Zahl der Antikörper gegen diese Spikes nach Infektion stark ansteigt, später dann aber wieder deutlich absinkt.

Wie lange hält der Immunschutz nach einer Infektion?

Neue Forschungsergebnisse konzentrieren sich deshalb auf den Antikörpertyp IgG, wie Studienergebnisse der
Harvard Medical School und der Universität Toronto zeigen. Für beide Studien wurden mehr als 300 Infizierte untersucht. Das Ergebnis: Antikörper vom Typ IgG waren bei den meisten der Infizierten im Blut und auch im Speichel nachweisbar. Die größte Menge an Antikörpern fanden die Forscher bei den untersuchten Patienten zwei bis vier Wochen nach der Infektion. Danach sinkt die Antikörpermenge ab.
Nach drei Monaten waren bei fast allen Infizierten weiterhin Antikörper vom Typ IgG vorhanden, bei einigen auch noch nach sechs Monaten, wenn auch in geringerer Konzentration.
Eine Antwort auf die Frage, ob und wie lange der Immunschutz bestehen bleibt, ist daraus allerdings schwer abzuleiten. Denn neben den Antikörpern spielen noch T-Zellen eine wichtige Rolle beim Immunschutz.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

Was ist über die Immunreaktion der getesteten Impfstoffe bekannt?

Derzeit sind über 40 Impfstoffe in der klinischen Prüfung. Die meisten davon konzentrieren sich auf die Spike-Proteine. Das heißt, die Impfstoffe präsentieren dem Immunsystem Spike-Proteine oder Teile davon, sodass das Immunsystem diese erkennt und bekämpft. Die Impfstoffe führen so gezielt zur Bildung spezifischer Antikörper gegen die Spikes und damit schließlich gegen die Viren selbst.
Über die Reaktion der T-Zellen war zunächst dagegen wenig bekannt. Zwei weltweit führende Projekte berichten nun, dass ihre Impfstoffe nicht nur zur Bildung von Antikörpern führen, sondern auch zur Bildung spezifischer T-Zellen.

Was bedeutet es, wenn ein Impfstoff nicht nur die Bildung von Antikörpern auslöst, sondern auch diese T-Zell-Reaktion herbeiführt?

T-Zellen bekämpfen einerseits Erreger, sind aber andererseits auch wichtig für Immungedächtnis.
Ein Team der Universitätsklinik Tübingen um Juliane Walz hat entdeckt, wie T-Zellen SARS-CoV-2 erkennen.
Die Wissenschaftler haben so genannte Epitope gefunden. Dabei handelt es sich um Virusbereiche nicht nur in den Spike-Proteinen, sondern auch in anderen Bereichen des Virus, zum Beispiel im Nucleocapsid. Epitope lösen eine langfristig wirkende Aktivierung der T-Zellen aus. Bei Infizierten konnten ein halbes Jahr nach der Infektion noch spezifische T-Zellen in großer Menge nachgewiesen werden.
In Tübingen wurde aus diesen Epitopen, diesen Virusstrukturen, bereits ein Impfstoff entwickelt, der gezielt die Bildung der passenden T-Zellen anregt und einen länger wirkenden Immunschutz aufbaut. Klinische Studien dazu sollen Anfang November beginnen.

Weltweit gibt es bereits über 200 Impfstoff-Projekte. Brauchen wir noch weitere?

Fast alle dieser Impfstoffprojekte nutzen Spike-Proteine zur Viruserkennung. Das Tübinger Impfstoff-Projekt nutzt als einziges andere Erkennungsstrukturen auf dem Virus, um gezielt eine T-Zell-Reaktion auszulösen.
Falls andere Impfstoffe nur vorübergehend schützen, könnte das Vakzin aus Tübingen eventuell dauerhaft schützen. Möglicherweise als Impfstoff der zweiten Generation.