Freitag, 19. April 2024

Archiv


Gift auf dem Dach

Elektrogeräte dürfen heutzutage nicht im Müll landen. Sie enthalten oft giftige Stoffe. Aller Voraussicht nach wird das Europäische Parlament am Mittwoch beschließen, dass Elektrogeräte künftig erst gar keine Giftstoffe mehr enthalten.

Von Doris Simon | 23.11.2010
    Schon bisher sind gefährliche Stoffe wie Blei, Cadmium und Quecksilber in einigen Arten elektrischer und elektronischer Geräte verboten. Nun wird die bestehende Europäische Richtlinie neu gefasst und ausgedehnt: Künftig gilt das Verbot gefährlicher Substanzen für alle Elektrogeräte und schließt auch Rechner, Hausgeräte oder Unterhaltungselektronik ein, die außerhalb der Europäischen Union hergestellt und dann hier verkauft werden. Der Industrie werden Übergangszeiten eingeräumt, damit sie sich auf die neuen Anforderungen und auf Ersatzstoffe einstellen kann. Die deutsche Europaabgeordnete Rebecca Harms:

    "Die Produktion von Elektro- und Elektronikgeräten nimmt zu. Bis zum Jahre 2020 rechnet man damit, dass zwölf Millionen Tonnen Abfall jährlich anfallen in diesem Bereich. Das zeigt: wir haben es mit erheblichen Mengen von Schadstoffen in diesen Produkten zu tun."

    Der Kompromiss zwischen den Mitgliedsstaaten und dem europäischen Parlament sieht allerdings auch einige Ausnahmeregelungen vor: zum Beispiel können gefährliche Substanzen in Elektrogeräten dann weiter zum Einsatz kommen, wenn es keine wirksamen anderen Stoffe gibt, die die gefährlichen Substanzen ersetzen können. Die neuen regeln betreffen nicht die Autoindustrie, für sie gelten bereits europäische Vorschriften älteren Datums, hier wollten Parlament und Mitgliedsstaaten nicht doppelt regulieren.

    Besonders heftig umstritten aber ist der Sonderstatus für die Solartechnologie in der geplanten Richtlinie für gefährliche Stoffe: Die wird komplett vom Anwendungsbereich ausgenommen. Das bedeutet: photovoltaische Solarzellen dürfen weiterhin giftiges Cadmiumtellurid enthalten. Der FDP-Umweltpolitiker Holger Krahmer hält die Ausweitung der Richtlinie für eine gute Sache, die Ausnahme für Solaranlagen aber sieht der Europaabgeordnete sehr kritisch. Er habe den Verdacht,

    "dass da so ein bisschen eine Art politischer Naturschutz ist, den wir um diese Branche ziehen, weil eben erneuerbare Energien wichtig sind für Klimaschutzziele und energiepolitische Ziele. Das es eben politisch korrekte, gute und eben weniger gute Techniken gibt und das stehen halt andere politische Ziele über dem Gift, das dort im Zweifel verbaut wird."

    Die Grünen im Europaparlament unterstützen die Ausnahmeregelung für Cadmium in Solaranlagen - allerdings nach einer sehr ausführlichen Diskussion, betont die deutsche Europaabgeordnete Rebecca Harms: Man habe lange überlegt, ob man der Umwelt mehr nutze oder schade mit Solarzellen mit Cadmium, berichtet Rebecca Harms. Einerseits wollten die Grünen nicht als blinde Fürsprecher einer Industrie da stehen, die sie stark unterstützen, andererseits lassen sich Photovoltaik-Zellen mit Cadmiumtellurid anders als Solarzellen mit Silizium auch erfolgreich in sonnenärmeren Gegenden einsetzen und die Gesamt- Bilanz der Cadmium-Zellen sei eher besser als die der Silizium-Konkurrenz, sagt Rebecca Harms:

    "Wenn man den gesamten Lebenszyklus von diesen Zellen betrachtet, dann kann man sogar feststellen, dass mit Cadmium hergestellte Zellen bestimmte Vorteile haben. Die Herstellung von anderen Solarzellen ist sehr energieintensiv."

    Jetzt müsse man darauf achten, dass es sehr sorgfältige Rücknahmeregelungen für Cadmium gebe, betont die Grünenabgeordneten. Dabei sei es durchaus ein Vorteil, dass Cadmiumtellurit teuer und rar sei und die Industrie daher selber ein Interesse daran habe, Photovoltaikzellen zu recyceln. Das sei im übrigen bei den großen Anlagen leichter, die werfe man nicht mal rasch in den Müll wie Unterhaltungselektronik oder einen Küchenmixer. Eigentlich wollten die Grünen die Ausnahmeregelung für Cadmium in Solarzellen in ein paar Jahren überprüfen lassen, konnten sich damit aber nicht im Europaparlament durchsetzen.

    Manche sehen in der Ausnahmeregelung auch eine Entscheidung zugunsten des großen amerikanischen Photovoltaik-Herstellers First Solar: denn der verwendet, anders als deutsche Solar-Unternehmen, kein Silizium, sondern Cadmium in seinen Photovoltaikzellen.