Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Glaubensfragen
Ein Marienbild aus allen Religionen

Erbschaften aus anderen Religionen kommen auch im Christentum zum Zug und werden auf Maria übertragen. Die Mischung fremd-religiöser Anteile in das Marienbild liefert Impulse für das Miteinander der Religionen. Der Bamberger Neutestamentarier Joachim Kügler erklärt, wie sich das Marienbild bis heute veränderte.

Joachim Kügler im Gespräch mit Matthias Gierth | 24.12.2013
    Matthias Gierth: Lassen Sie uns einen Moment auf die christliche Kunstgeschichte blicken. Darin fällt ja besonders die Darstellung Marias mit dem Kind auf dem Schoß oder Marias als stillende Mutter auf. Wie kommt es zu dieser Darstellung?
    Joachim Kügler: Das ist sehr wahrscheinlich, nachdem diese Darstellungen zuerst in der koptischen, also in der ägyptischen Kirche auftauchen, eine Adaption entsprechender Darstellungen von Isis mit dem Horusknaben. Es gibt da keine direkte Verbindung, zumindest lässt sich die nicht nachweisen. Aber es ist wohl so, dass in dem Moment, wo man auf das Kind Jesus schaut und auf seine Mutter, dass es einfach in dieser Kultur naheliegt, das in dieser Art Isis mit dem Horusknaben darzustellen. Es gibt keine eigene christliche Kultur noch am Anfang. Man muss auf das zurückgreifen, was die heidnische Kultur bereithält. Man versucht dann eben, diese aufgegriffenen Materialien so umzuprägen, so umzudeuten, dass das Neue eben auch in diesem alten Material deutlich wird.
    Gierth: Welche Parallelen zu Isis werden gezogen und wo liegen denn die Unterschiede zwischen Maria und der alt-ägyptischen Gottheit?
    Kügler: Die Parallelen mit Isis bestehen eigentlich zunächst nur in diesem Darstellungstypus – also eben die göttliche Mutter, die da sitzt und ihrem Kind die Brust reicht. In der alt-ägyptischen Tradition ist mit dieser Darstellung zugleich verbunden, dass die Göttin Isis, weil sie eine eigene Göttin ist, auch eben dem Horusknaben, dem neugeborenen Gott, göttliches Wesen, göttliche Kraft, göttliche Stärke durch ihre Milch vermittelt. Das wird von den frühchristlichen Dichtern und Theologen gerade ausgeschlossen, sondern die sehen diese Mutter, die ihr Kind auf dem Schoß hat und ihm die Brust reicht, dann, wenn es um Maria und Jesus geht, gerade anders. Die sagen: Maria ist eine menschliche Mutter und sie gibt ihm menschliche Milch und nährt damit sein menschliches Wesen, seine menschliche Natur. Also man passt dieses Bild sehr genau – von der Deutung her – in diese Lehre "Wahrer Gott – wahrer Mensch" ein.
    Gierth: Aber warum hat sich dann die Isis-Typologie in besonderer Weise für die Mutter des christlichen Messias geeignet?
    Kügler: Na, das war das Mutterbild schlechthin. Das lag einfach nahe. Das andere ist auch, es gibt noch eine andere Linie, die dann später dazu führt, die Milch Mariens nicht mehr als menschliche, sondern als göttliche Milch zu interpretieren, und die ist interessant. Denn es gibt dann ab dem 4./5. Jahrhundert Texte, die Maria als Sitz der Weisheit, als Urbild der Kirche interpretieren und wo dann die Milch Mariens verbunden wird mit Weisheit, mit göttlicher Stärke, mit Gnade, mit Erlösung letztlich sogar. Da ist es dann so, dass man sich praktisch wieder annähert an die alt-ägyptische Tradition mit der göttlichen Milch. Isis ist die mythische Mutter des Königs – und zwar jedes Königs Ägyptens. Sie ist auch mit der Weisheit verbunden, mit Kraft, mit Stärke, mit Wissen. Damit läuft das zusammen mit einem Strom aus dem Alten Testament, wo die personifizierte Weisheit Gottes als eine Frau gedacht wird. Die Frau Weisheit, die bei Gott ist, aber zwischen Gott und den Menschen kommuniziert. Also das sind ganz viele verschiedene Ströme, das ist nicht so ganz einlinig und ganz einfach zu beschreiben. Aber letztlich kommen dann eben doch Erbschaften aus der Isis-Religion auch im Christentum zum Zuge und werden auf Maria übertragen. Und ich finde es auch überhaupt nicht schlimm.
    Kügler: Es gab früher keine Königin
    Gierth: Die Anreicherungen des Marienbildes beruhen ja allesamt – wir haben darüber gesprochen – auf Marias Mutterschaft. Wie ist das zu erklären?
    Kügler: Das hängt ein bisschen mit der Stellung der Frau zusammen. Also, wenn Sie sich die alte Tradition in Ägypten zum Beispiel anschauen, dann lebt der König in einem Harem oder hat einen Harem. Das heißt, zu Lebzeiten des Königs gibt es nicht die Königin, sondern es gibt maximal eine besonders hervorstehende hochrangige Dame, die dann den Titel etwa einer großen Königsgemahlin trägt, aber nicht den Titel Königin. Die einzige Frau im Harem, die sich durch ein Alleinstellungsmerkmal von allen anderen Frauen im königlichen Harem unterscheidet, ist die Königsmutter, denn ihr Sohn ist ja schon König geworden. Das heißt, sie hat sich als Königsgebärerin qualifiziert. Deswegen ist das ganz häufig so, dass die Königsmutter die entscheidende politische Frau am Hofe war und nicht irgendeine Königin. Das gibt es bestimmt Ausnahmen, aber die Regel ist wirklich, die Königsmutter ist die große politische Frau am Königshof. Das spielt natürlich dann eine Rolle, wenn die Ehefrauen ausfallen oder unwichtig sind. Also etwa bei Augustus wird eben die Mutter auch in den Vordergrund gestellt, weil die Frauen, die er hat bis hin zu Livia nicht diese zentrale Rolle spielen. Das ändert sich beim alten Augustus, wo dann Livia tatsächlich auch als eine richtige Partnerin des Kaisers in Erscheinung tritt. Bei Jesus haben wir ja nach der neutestamentlichen Tradition keine Frau, keine Ehefrau. Also das heißt, wenn sie religionspsychologisch ein Paar brauchen, dann ist das die Mutter mit ihrem Sohn.
    Gierth: Nun haben Sie gesagt, die Verwandtschaft in der Darstellung zwischen Isis und Maria würden Sie nicht für schlimm halten. Eine Dogmatik, die das Bild der reinen Magd geprägt hat, die dürfte da anderer Auffassung sein.
    Kügler: Das ist schon möglich, aber man muss ja auch sehen, wo die Schwächen dieser traditionellen Dogmatik heute liegen. Vieles, was da über Jungfräulichkeit gesagt wird, beruht ja auf einer sehr negativen Einschätzung von Sexualität und da gibt es heutzutage zumindest in den westlichen Kulturen nur noch relativ wenige Leute, die das teilen. Das heißt also, dieser Ausdruck, ich brauche eine jungfräuliche Mutter, damit erstens mal das Kind nicht als Produkt des Vaters erscheint und zweitens damit die Mutter nicht als befleckt erscheint, das ist ja inzwischen sehr fraglich. Die Emanzipation hat unser Bild von der Frau radikal verändert. Wer kommt heute noch auf die Idee, dass das Kind das alleinige Produkt des Vaters ist. Insofern denke ich, wenn wir diese alte Tradition nicht einfach nur aufgeben und auf den Müll schmeißen wollen oder sie eben als Mondgesteine in der modernen Kultur irgendwie museal bewahren wollen, sondern wenn wir heute auch religiös etwas daraus machen wollen, dann müssen wir andere Aspekte dieser Tradition aufgreifen. Da ist für mich zum Beispiel – vor der Hausforderung des interreligiösen Dialogs – gerade diese Einmischung von fremd-religiösen Anteilen in das Marienbild eigentlich eine wunderbare Sache, denn damit könnte ich heute Maria entdecken als personalen Umschlagplatz für religiösen Dialog.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.