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Gorki Theater Berlin
"Mephistoland" - ein Streifzug durchs Horrorland Europa

Unschwer ist in der Stückanlage des Ungarn András Dömötör der Theaterputsch am ungarischen Nationaltheater von 2013 erkennbar, als der weltoffene Róbert Alföldi geschasst und Orbán-Freund Attila Vidnyánszky zum neuen Intendanten berufen wurde. Alföldis letzter großer Erfolg war seine Bearbeitung des Mephisto-Romans von Klaus Mann. Und genau an diesem Stoff wird auch in Berlin geprobt.

Von Eberhard Spreng | 11.06.2016
    Ein roter Theatervorhang
    Dömötörs Stück operiert schlau mit den verschiedenen historischen Bezügen, also zwischen dem Nazideutschland der 1930er-Jahre, dem heutigen Ungarn Viktor Orbáns und einem fiktiven Europa der nahen Zukunft. (picture alliance / dpa - Marcus Brandt)
    "Liebe Zuschauer! Die Intendantenstelle unseres Theaters wurde zur Neubesetzung ausgeschrieben. Und in zehn Tagen wird eine Entscheidung gefällt. Es ist ja allgemein bekannt, dass seit einigen Jahren die Neubesetzungen an den wichtigsten Theatern des Landes ausschließlich aus politischen Gründen stattfinden. Aber, wir haben noch zehn Tage!
    Eine Theatertruppe im Ausnahmezustand. Ein Kulturbruch steht bevor und doch probt sie tapfer an ihrem neuen Stück. Eine zunehmend aggressiv agierende Regisseurin schnauzt ihre Schauspieler an, die Stimmung ist gereizt, Widerstand formiert sich im Theater gegen die befürchtete Berufung eines guten Freundes des Ministerpräsidenten.
    Ein Schwulenpärchen steht im Mittelpunkt. Der eine, erfolgreich, beliebt, soll den Protagonisten Hendrik Höfgen spielen, in dem Klaus Mann dereinst Gustaf Gründgens in den Kulturintrigen der Nazis porträtierte, der andere muss sich mit Nebenrollen zufrieden geben. Dömötörs Stück operiert schlau mit den verschiedenen historischen Bezügen, also zwischen dem Nazideutschland der 1930er-Jahre, dem heutigen Ungarn Viktor Orbáns und einem fiktiven Europa der nahen Zukunft. Und es vermischt Burleske, Satire, realistischen Alptraum und surrealistische Groteske, ein Horrorszenario, dem keiner der Akteure entkommt. Tim Porath spielt auf einem von roten Vorhängen drapierten kleinen Spielraum im Gorki-Studio den Starschauspieler, der sich der neuen Doktrin widersetzt, ins Exil geht und im Ausland als Animateur in einem Erlebnisbad jobbt, Aram Tafreshian seinen mäßig talentierten Freund, der sich anpasst und so die Hauptrolle übernimmt. Bettina Hoppe spielt in einer Doppelrolle zunächst eine fanatisch antifaschistische Regisseurin und anschließend den neuen Intendanten, der in einer internen Rede an die Theatermitarbeiter seine Vorstellungen erklärt:
    "In einer Sache sehe ich die Aufgabe einer Institution wie des Theaters grundsätzlich anders, als dies ihre bisherige Arbeit spiegelt. Ich meine den nationalen Charakter. Das Theater muss den seelischen wie geistigen Aufschwung des gesamten Volkes, des Landes und der Nation befördern und beflügeln. Ich möchte unseren Zuschauern ein möglichst breites Spektrum der Theaterkunst bieten, das zu allererst in unseren heimischen Traditionen wurzelt. Unsere Sache, liebe Kollegen, ist eine nationale."
    Nicht kritisch habe das Theater zu sein, sondern kathartisch. Und es soll nicht mehr so viel Theaterblut vergießen, schon gar nicht in Kindervorstellungen. "Das billige, anmaßende, auf Provokation gebaute Theater, diese unchristliche Ästhetik, die sich an Missgestalten ergötzt, ist am Ende", so verlautbart die neue Leitung. Vor dem Theater soll eine riesige Statue des heiligen Georg errichtet werden, und der Erzbischof von Budapest soll das Haus weihen. Für Homosexuelle ist natürlich auch kein Platz mehr, weshalb der opportunistische homosexuelle Emporkömmling beabsichtigt, eine Frau zu heiraten. Beim Skypen teilt er dies seinem exilierten Expartner mit. In immer wieder grotesk erstarrenden Gesichtsausdrücken des Erschreckens und abgerissenen Worten imitiert Tim Porath dabei die kuriosen optischen Effekte, die bei schlechten Skype-Verbindungen auftreten. Das alles ist derb komisch, ist Karikatur mit deftiger Sprache. Das gilt auch für die Szene, in der der neue, hier Grünberg genannte Intendant, eine Dramaturgin feuert, von ihr aber vorher noch verlangt, ihn auszupeitschen, da er ja doch nur der talentlose "Clown einer nationalistischen Pseudokultur sei".Auch die Filmszene hat die Kulturrevolution von rechts erreicht: Da verweigert der Adolf-Hitler-Darsteller einen Selbstmord vor der Kamera, da das eine Sünde sei, solange, bis der Bischof per Handy die Pistole geweiht und die Beichte abgenommen hat.
    Mephistoland ist ein europäisches Absurdistan mit einer ziemlich unangenehmen hintergründigen Fragestellung: Was ist, wenn die Zeit vorbei geht, in der Politiker die Kultur durch Desinteresse und Mittelkürzungen gefährdeten; was, wenn Neonationalisten sie nach ungarischem Vorbild auch andernorts wiederentdecken als Turbo für die Verstärkung eigentlich überwunden geglaubter Affekte. Noch dürfen wir mit András Dömötörs Satire über die rechte Saat lachen, aber das schäbige zwischenmenschliche Klima und das jämmerliche Niveau öffentlicher Debatten, auf dem sie wachsen kann, hat auch unseren Alltag längst erreicht.