Donnerstag, 28. März 2024

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Gravitationswellen-Nachweis
"Einstein hatte recht"

"Es war schon ein glücklicher Zufall." Das sagte Professor Karsten Danzmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, im DLF über den sensationellen Nachweis der Gravitationswellen. Denn eigentlich waren die zum Nachweis erforderlichen Detektoren in den USA nach einem Upgrade zu diesem Zeitpunkt noch in der Testphase.

Karsten Danzmann im Gespräch mit Ralf Krauter | 12.02.2016
    Professor Karsten Danzmann (l-r), Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert Einstein Institut), und die Wissenschaftler Badri Krishnan und Vivien Raymond sitzen am 11.02.2016 bei einer Pressekonferenz in der Leibniz Universität in Hannover (Niedersachsen).
    Professor Karsten Danzmann (l-r), Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert Einstein Institut), und die Wissenschaftler Badri Krishnan und Vivien Raymond sitzen am 11.02.2016 bei einer Pressekonferenz in der Leibniz Universität in Han (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Ralf Krauter: Seit wann haben Sie geahnt, dass Sie und Ihre Kollegen von der LIGO-Kollaboration endlich fündig geworden sind?
    Karsten Danzmann: Noch am selben Tag haben wir das alle gewusst. Es waren ja zwei von unseren Wissenschaftlern, die an dem Tag hier im Institut saßen, als die Warnung vom Computersystem, das die Onlineanalyse macht, hier reinkam, und haben innerhalb einer Stunde draufgeschaut, und das verbreitete sich natürlich wie ein Lauffeuer.
    Aber ich habe es nicht geglaubt, keiner hat es geglaubt am Anfang. Dafür war das Signal einfach zu schön, wie aus dem Bilderbuch, aus dem Lehrbuch. Deshalb, unsere erste Reaktion war, ja, die haben wieder ein Testsignal eingespeist, um zu sehen, ob der Detektor richtig funktioniert. Es hat relativ lange gedauert, bis wir uns davon überzeugt haben, dass das echt war.
    "Man darf sich hier keine Schnellschüsse erlauben"
    Krauter: Wie lange hat es gedauert?
    Danzmann: Das kann man gar nicht so sagen. Tage. Und selbst dann bleibt noch ein gewisses Misstrauen. Und das muss auch so sein. Sie haben ja gesehen, am 14. September war das Signal, und was haben wir jetzt – Februar. Es hat vier Monate gedauert, bis wir so zuversichtlich waren, dass wir an die Öffentlichkeit gegangen sind.
    Man darf sich hier keine Schnellschüsse erlauben, dafür ist das Ganze viel zu delikat und diffizil. Man muss schon wissen, wovon man redet. Es ist weder der Wissenschaft noch der Öffentlichkeit gedient, wenn man mit halb garen Ergebnissen nach vorne geht, die man nicht wirklich verstanden hat. Da gibt es genügend Beispiele. So was machen wir nicht.
    Krauter: Sie selbst haben sich ja schon, wenn ich es richtig weiß, seit 1999 der Jagd nach den Gravitationswellen verschrieben. Damals waren Sie noch am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, wo man auch mit an den Konzepten für diese riesigen Laserlineale getüftelt hat. Was war das für ein Gefühl, nach über 25 Jahren Suche zu realisieren, wir haben es endlich geschafft.
    Danzmann: Tiefe innere Befriedigung, kann man sagen. Freudige Erregung passt auch dazu. Keine Überraschung. Ich habe ehrlich gesagt nie dran gezweifelt, dass wir die Wellen detektieren werden.
    Wir mussten nur besser werden, unsere Geräte verbessern und dann unsere Arbeit ordentlich machen. Das haben wir getan.
    Wir haben unsere Arbeit gut gemacht, und wir haben selbst genügend dazu beigetragen. Unsere Stärke in Deutschland ist es ja, Technologie zu schmieden. Die Technologien immer für die nächste Generation von Gravitationswellendetektoren, die entwickeln wir hier bei uns und erproben sie in unserem Laserinterferometer.
    Alle Technologien, die wir hier entwickelt hatten, die sind in Advanced LIGO, und wie wir gesehen haben, haben sie am ersten Tag hervorragend funktioniert. Denn dieses Ereignis wurde gesehen am ersten Tag, als die beiden Detektoren während der Inbetriebnahme zum ersten Mal stabil liefen.
    Also, es ist schon ein glücklicher Zufall, dass am ersten Tag, wo wir überhaupt etwas hätten detektieren können, gleich so ein dicker Bumms vorbeikam.
    "Man muss sich dann von lokalen Erwägungen frei machen"
    Krauter: Der Detektor in Hannover, von dem Sie sprachen, heißt "GEO600". Der ist im Prinzip deutlich kleiner als das, was man später in den USA dann gebaut hat, wurde als so eine Art Technologietestplattform verwendet. Trotzdem die Frage: Wurmt Sie das nicht ein bisschen, dass jetzt die Detektion in den USA gelungen ist? Weil es gab ja auch in Deutschland durchaus mal Pläne, vergleichbar große Anlagen zu bauen, mit denen man dann auf deutschem Boden sozusagen hätte fündig werden können.
    Danzmann: Nein, das wurmt mich nicht. Natürlich hätte es einen gewissen Charme, wenn hier auch eine stünde, aber ich glaube, man muss sich davon lokalen Erwägungen frei machen. Hauptsache, die Dinger wurden überhaupt gebaut, und Hauptsache, unsere intellektuelle Leistung steckt mit drin. Es ist ja auch unser Detektor. Es kamen ja auch erhebliche Hardware-Beiträge aus Deutschland, zum Beispiel die hochstabilisierten Hochleistungslasersysteme in den LIGO-Detektoren kommen aus Hannover.
    Krauter: Und auch schwingungsdämpfende Vorrichtungen, um die Spiegel möglichst ruhig zu halten, und Auswerteverfahren und Analysemethoden?
    Danzmann: Ja, natürlich, und letztlich das gesamte optische Layout ist das, was hier bei uns bei GEO600 entwickelt und perfektioniert wurde. Und mehr als, ich glaube, die Hälfte aller Computerkapazitäten, die zur Auswertung der Daten benutzt wurden, stehen hier bei uns. Die Signalformen, die synthetischen, die zur Deutung der Daten benutzt wurden, wurden ebenfalls am Albert-Einstein-Institut entwickelt, allerdings bei unseren Kollegen in Golm – wir haben zwei Standorte.
    Krauter: Haben Sie das Gefühl, dass der Beitrag der deutschen Forscher da gestern ausreichend gewürdigt wurde bei der Pressekonferenz in Washington?
    Danzmann: Dafür, dass es eine amerikanische Pressekonferenz war, kam sehr viel Deutschland vor.
    Krauter: Das Max-Planck-Institut wurde auch explizit lobend erwähnt. Die große Herausforderung, Herr Professor Danzmann, bei der Jagd nach Gravitationswellen ist ja, die Myriaden von Störgeräuschen aus den Detektorsignalen herauszufiltern, um dann letztlich diese Nadel im Heuhaufen zu entdecken, um die es ja geht. Was macht Sie und Ihre Kollegen wirklich zu 100 Prozent sicher, dass das jetzt nicht nur irgendein Artefakt ist, ein Störsignal, dass Sie gemessen haben, sondern eine Gravitationswelle?
    Danzmann: Hundertprozentig sicher kann man sich in der Wissenschaft nie sein. Das machen sich die meisten nicht klar, dass jede beliebige, noch so komplizierte Signalform durch Rauschen hervorgerufen werden kann. Selbst, wenn Sie in den Himmel gucken und den Vollmond sehen, dann gibt es eine von Null verschiedene Wahrscheinlichkeit, dass das gerade rauscht.
    Nur ist die so klein, dass kein Mensch davon ausgeht, dass das falsch sein könnte. Das heißt, man muss seine Daten verstehen. Es ist Statistik. Man muss die Wahrscheinlichkeit analysieren, dass ein gewisses Signal durch Rauschen erzeugt wurde.
    Und dazu brauchen Sie lange Zeitserien. Sie müssen Ihrem Detektor lange zugucken, wie er rauscht. Dann bekommen Sie Statistik, und dann können Sie für ein bestimmtes Signal ausrechnen, wie wahrscheinlich es war, dass es durch Rauschen hervorgerufen wurde. So funktioniert das immer.
    Und in unserem Falle mussten wir so lange analysieren, bis wir uns sicher waren, dass die Wahrscheinlichkeit kleiner als einmal in 200.000 Jahren war. Und ich glaube, das ist schon ziemlich sicher.
    Krauter: Trotzdem sehen Sie im Detektor ja nur das, wonach Sie ganz konkret suchen. Steckt da nicht die Gefahr eines Zirkelschlusses drin, weil Sie stecken ja viel Vorinformationen rein, um überhaupt etwas zu finden dann?
    Danzmann: Nein, das ist in diesem Fall gerade nicht so. Natürlich haben wir auch Datenanalysen, wo wir Modellwellenformen reinstecken und nach denen suchen. Aber interessanterweise, die Onlinedatenanalysepipeline, die dieses Ereignis entdeckt hat, ist eine, die nicht nach bestimmten Signalformen sucht, sondern eine, die nur nach korrelierter Überschussenergie in beiden Detektoren sucht.
    Was bedeutet das? Diese Software guckt nach, ob einer der Detektoren irgendein besonderes Verhalten gezeigt hat, irgendeinen Ausschlag beliebiger Form, der ungewöhnlich ist, und sucht dann in den Daten des anderen Detektors, ob zur gleichen Zeit dieser Detektor den gleichen Ausschlag gezeigt hat. Und wenn das so ist, dann gibt es eine Warnung, und dann müssen Menschen drauf gucken und Sinn draus machen. Das heißt, da stecken Sie keine Vorinformationen rein.
    "Einstein hatte recht"
    Krauter: Und die spezielle Form dieser Welle, die dann für Aufmerksamkeit gesorgt hat, die entsprach halt perfekt dem, was man erwarten würde für zwei verschmelzende Schwarze Löcher?
    Danzmann: Ja, und zwar so gut, dass Sie denken könnten, das war eine Simulation. Einstein hatte recht.
    Krauter: Was glauben Sie, war das wirklich nur Zufall oder vielleicht doch Fügung, dass die erste Gravitationswelle genau hundert Jahre nach der Veröffentlichung der Allgemeinen Relativitätstheorie jetzt aufgespürt wurde?
    "Dies ist irgendwie das Jahr der Gravitation"
    Danzmann: Ja, man könnte den Verdacht haben, das war die PR-Abteilung, die die Daten eingespeist hat – aber nein, wir haben einfach Glück gehabt. Es passte alles zusammen.
    Dies ist irgendwie das Jahr der Gravitation, denn es passte ja auch mit LISA Pathfinder schon, unserer Satellitenmission. Hundert Jahre nach der Allgemeinen Relativität, und zwar auf den Tag genau nach der schriftlichen Veröffentlichung wurde unsere Satellitenmission gestartet, und das war auch Zufall.
    Manchmal passiert es halt, und man hat Glück. Auch, dass wir gleich am ersten Tag so ein Ereignis gesehen haben mit LIGO, das jenseits allen Zweifels ist, war einfach Glück. Niemand hat damit gerechnet, am ersten Tag so was sehen zu können. Aber es geht ja jetzt weiter. Es werden weiterhin Daten aufgenommen. Aber jetzt liegen die Detektoren erst mal still und werden verbessert. Wir sind ja noch nicht bei der Designempfindlichkeit bei Advanced LIGO, sondern noch etwa einen Faktor drei davon entfernt. Also da kommt noch mehr.
    Krauter: Astronomen hoffen ja, dass ihnen die Gravitationswellendetektoren künftig ein ganz neues Fenster ins All eröffnen und unser Bild des Kosmos gründlich auf den Kopf stellen könnten, also ähnlich wie die ersten Teleskope vielleicht oder wie später die Radioteleskope. Ist das noch Zukunftsmusik oder schon wirklich greifbar?
    Danzmann: Es liegt nicht weit in der Zukunft, würde ich sagen. Wenn wir von dem ausgehen, was wir jetzt gesehen haben, und annehmen, dass wir die Detektoren so weiterentwickeln, wie es bisher geklappt hat, dann werden wir uns drauf freuen können, regelmäßig solche Ereignisse zu haben. Einmal die Woche, vielleicht einmal am Tag, vielleicht ein paar Dutzend am Tag – das werden wir sehen.
    "So viel Energie in so kurzer Zeit wurde noch nie verbrannt und in Wellen umgesetzt"
    Krauter: Haben Sie schon weitere verdächtige Kandidaten im Visier und gemessen?
    Danzmann: Die Daten werden gegenwärtig analysiert. Wenn wir es verstanden haben, dann werden wir uns dazu äußern, aber es ist ja kein Geheimnis, dass wir ständig Warnungen an die optischen Astronomen rausschicken. Jedes Mal, wenn ein mögliches Ding in unseren Daten war, dann gucken die Kollegen mit optischen und Neutrinoteleskopen, ob man irgendeinen optischen Counterpart dazu sehen könnte. Aber bisher ist nichts gelungen. Bisher ist die Welt dunkel.
    Das ist ja das Erstaunliche. Dieses erste Ereignis ist das gewaltigste Ereignis, das die Menschheit jemals im Kosmos registriert hat, und zwar mit weitem Abstand. So viel Energie in so kurzer Zeit wurde noch nie verbrannt und in Wellen umgesetzt. Aber es ist dunkel.
    Es ist das erste Mal, dass ein Signal aus einer dunklen Schattenwelt zu uns dringt, das nur in Gravitationswellen detektierbar war. Wer weiß, was da alles draußen noch auf uns lauert.
    Krauter: Ist so auch der Satz zu verstehen, der gestern bei der Pressekonferenz fiel: Der Kosmos hat das erste Mal zu uns gesprochen?
    Danzmann: Ja, das passt. Wir haben das erste Mal Ohren bekommen, einen neuen Sinn dazu, und mit den Ohren haben wir gleich beim ersten Versuch etwas gehört, was unsere Augen niemals sehen können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.