Montag, 06. Mai 2024

Archiv

Griechenland
"Die Lernkurve ist steil"

In der Diskussion um den Kurs der neuen griechischen Regierung hat sich der Europawissenschaftler Josef Janning für eine andere Zusammensetzung der Troika ausgesprochen. Dieses Zerrbild von seelenlosen Technokraten müsse korrigiert werden, sagte er im DLF. Zudem sollte das Gremium von demokratisch gewählten Abgeordneten begleitet werden.

Josef Janning im Gespräch mit Peter Kapern | 04.02.2015
    Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
    Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. (AFP / John Thys)
    Josef Janning vom European Council on Foreign Relations erklärte, die Zusammensetzung des Krisenländer-Kontrollorgans Troika könne einvernehmlich geändert werden. Die Troika werde derzeit als eine technokratische Gruppe von Rotstiften gesehen. Sie habe nicht die nötige politische Durchschlagskraft entwickeln können. "Sie sind bewusst unpolitisch."
    Dieses Zerrbild von seelenlosen Technokraten müsse korrigiert werden. Er schlug vor, das Gremium um politische Mandatsträger zu erweitern. Außerdem könne man Gremien entwickeln, an denen sich die Spitzen der Kreditgeber beteiligten. Kreditnehmer müssten sich jedoch auch weiterhin ein Monitoring im Hinblick auf die Verwendung der Gelder gefallen lassen. Zugleich attestierte Janning der griechischen Regierung, allmählich ein Gespür für die politische Realität zu bekommen. "Die Lernkurve ist durchaus steil", sagte der Experte.
    Josef Janning vom European Council on Foreign Relations auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2008.
    Josef Janning vom European Council on Foreign Relations auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2008. (Imago / Wolf P- Prange)

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Ein Elefant im Porzellanladen – ein Sprichwort, das manchem beim Blick auf die ersten Tage der neuen griechischen Regierung durch den Kopf gegangen sein mag. Die Partner in der EU reihenweise brüskiert, die Geldgeber an den Finanzmärkten entsetzt. Mittlerweile agieren Alexis Tsipras und seine Mannschaft etwas vorsichtiger. Das Hinausposaunen halbgarer Forderungen wird zunehmend durch das diplomatische Vier-Augen-Gespräch ersetzt. Heute war Finanzminister Varoufakis bei Mario Draghi und der EZB in Frankfurt zu Gast, während sein Chef, Ministerpräsident Alexis Tsipras, in Brüssel bei EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vorbeischaute.
    Mitgehört hat Josef Janning, Europaexperte beim Think Tank European Council on Foreign Relations. Guten Tag, Herr Janning.
    Josef Janning: Guten Tag, Herr Kapern.
    "Versuchsballons haben für Irritationen gesorgt"
    Kapern: Herr Janning, seit eineinhalb Wochen ist nun die neue Regierung von Griechenland mit Alexis Tsipras an der Spitze im Amt. Welche Lernkurve hat diese Regierung in dieser Zeit hingelegt, wenn sie denn überhaupt eine hingelegt hat?
    Janning: Mein Eindruck ist, die Lernkurve ist durchaus steil. Vielleicht könnte sie noch steiler ausfallen, aber man muss berücksichtigen, dass hier eine Regierung aus der Opposition und ohne jede Vorerfahrung ins Amt kommt, die noch dazu sich selbst festgelegt hat im Wahlkampf, radikale Änderungen vorzunehmen. Das heißt, hier findet ein Prozess statt, in dem zunächst einmal die Akteure selbst lernen müssen, welche Spielräume sie tatsächlich haben. Dazu dienen die Gespräche und dazu dienen wahrscheinlich auch verschiedenste Versuchsballons, die für Irritationen gesorgt haben, weil man so natürlich auch als Neuling im politischen Raum sehr schnell erkennt, was geht, oder wo könnte etwas gehen und was geht auf keinen Fall.
    Kapern: War es denn noch innerhalb des akzeptablen Spielraums der neuen griechischen Regierung, die Troika aus dem Land zu werfen?
    Janning: Das war wahrscheinlich nicht klug. Vor allen Dingen war es insofern unbedacht, weil zwar das Instrument der Troika oder ihre exakte Zusammensetzung ja durchaus einvernehmlich verändert werden kann, aber die Tatsache, dass Kreditnehmer dieser internationalen Institutionen, ob des IWF oder des europäischen Rettungsfonds sich ein Monitoring, eine Kontrolle der Verwendung und auch der Erfüllung der Auflagen, der vereinbarten Auflagen gefallen lassen müssen, gar nicht beseitigt werden kann. Das macht im Übrigen Griechenland selbst ja auch nicht, denn Griechenland ist Mitglied im IWF, und immer dann, wenn der IWF anderen Ländern hilft, wie zum Beispiel Argentinien, dann sind die Griechen auch nicht dafür, dass dies ohne jede Kontrolle stattfindet.
    Kapern: Sie sagen es. Es ist relativ plausibel, dass diejenigen, die einem anderen Geld leihen, auch schauen wollen, wofür dieses Geld verwendet wird und ob die damit verbundenen Auflagen eingehalten werden. Nun geht aber der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hin und sagt, na ja, ich habe durchaus Sympathien für den Rauswurf der Troika. Was hat das zu bedeuten?
    Janning: Ich glaube nicht, dass er Sympathien für den Rauswurf hat, aber ich glaube, er hat ein Verständnis dafür, dass eine Gruppe von Rotstiften – und so werden die Troika-Mitglieder in den Partnerländern angesehen – allein nicht die nötige politische Durchschlagskraft erzeugt, denn sie sind ja bewusst unpolitisch. Sie gehen allein ein auf die Zahlen.
    "Gläubiger sollen überlegen, wie die Griechen auf die Beine kommen können"
    Kapern: Soll man Parlamentsabgeordnete dort hinschicken?
    Janning: Nein! Möglicherweise könnte man erstens dafür sorgen, dass es immer wieder Gremien gibt, an denen die Spitzen der jeweiligen Institutionen beteiligt sind, weil die natürlich nicht nur technisch argumentieren, sondern auch eine nach außen wirksame politische Argumentation erbringen können.
    Zum zweiten könnte man sich vorstellen, dass es eine regelmäßige interparlamentarische Gruppe gibt, wo Europaabgeordnete, Abgeordnete aus nationalen Parlamenten der Geberstaaten mit griechischen Abgeordneten zusammenwirken, denn es geht ja oft darum, dieses Zerrbild, das entstanden ist von der Troika, von seelenlosen Technokraten, die niemandem Rechenschaft schulden, zu korrigieren und damit auch in den politischen Diskurs einzuführen, dass sich sehr wohl die Gläubiger Gedanken machen, wie die Griechen auf die Beine kommen können, und nicht nur einfach ein Schema F exekutieren.
    Kapern: Aber, Herr Janning, man muss doch auch mal einen Blick auf die andere Seite dieses Mechanismus werfen. Wenn nun Politiker bei dieser Überwachung mitmischen würden, das würde doch wieder nur den Verdacht in den Geberländern und bei den Steuerzahlern der Geberländer erwecken und verstärken, dass dort ökonomisch Notwendiges einer politischen Opportunität unterworfen wird.
    Janning: Ja, das ist schon richtig. Nur wenn man eine solche Ergänzung vornimmt, dann stärkt man damit die Arbeit der Kontrolleure, denn deren Auftrag ist eigentlich ein unpolitischer. Sie sollen nicht vermitteln, sondern sie sollen überwachen. Gleichzeitig wird aber deutlich, dass eine politische Vermittlungsleistung zu erbringen ist; die könnte etwa auch durch häufigere und klarere Worte europäischer Regierungschefs oder Finanzminister in Griechenland selbst erzeugt werden. Aber wenn man dies etwa durch demokratisch gewählte Abgeordnete begleitet, ohne damit das Mandat der Kontrolleure zu verändern, dann ist das eine sinnvolle Angelegenheit.
    "Ewigkeitsanleihen" wird es in Griechenland nicht geben
    Kapern: Der griechische Finanzminister Varoufakis hat ja mittlerweile zwei Vorschläge unterbreitet, die einen Schuldenschnitt, den er zunächst gefordert hatte, überflüssig machen könnten. Er sagte, es sollten Anleihen ausgegeben werden, die nur dann bedient werden, wenn die griechische Wirtschaft wächst, und die Kreditlaufzeiten sollen auf ewig umgestellt werden. sind das brauchbare Vorschläge?
    Janning: Wahrscheinlich nicht. Es ist durchaus plausibel, an eine Anleihekonstruktion zu denken, die wachstumsgekoppelt ist. Das heißt, die in guten Jahren einen höheren Ertrag abwerfen würde als in schlechten Jahren. Ich glaube nicht, dass es da ein prinzipielles Nein der anderen gibt, sondern man wird sich die Details ansehen wollen.
    Es gibt auch in anderen Staaten schon mal Situationen, Ewigkeitsanleihen auszugeben. Nur das wird man mit Griechenland nicht machen wollen. Der griechische Fall ist ja insofern kompliziert, weil die Griechen in diesem Jahr kurzfristiger fällig werdende Anleihen bedienen müssen, und das, was sie sich bisher überlegt haben, um da rauszukommen, wird nicht klappen. Das hat auch heute noch EZB-Präsident Draghi klar gemacht: Es wird keine neuen kurzfristigen Anleihen geben können. Und es wird auch keine gute Idee sein, die ebenfalls Varoufakis, der griechische Finanzminister geäußert hat, nun etwa die EZB oder den Rettungsfonds an den griechischen Banken zu beteiligen. Das werden die Partner nicht mitmachen.
    Kapern: Ja was nun? Also doch ein Schuldenschnitt?
    Janning: Nein. Ein Schuldenschnitt hilft Griechenland ja nicht kurzfristig. Griechenland hat für den Teil der Schulden, die in der öffentlichen Hand beziehungsweise in bilateralen Vereinbarungen mit Euro-Staaten sind, bereits außerordentlich günstige Konditionen, sehr, sehr niedrige Zinsen und eine lange Laufzeit. Diese Laufzeit zu strecken, könnte im Ergebnis eines Verhandlungsprozesses eine Option sein, hilft der griechischen Regierung aber in den nächsten Jahren bis 2020 überhaupt nicht.
    Kapern: Weil da die kurzfristigen Anleihen bedient werden müssen. Wie kann denn dieses Problem geregelt werden?
    Janning: Dies kann nur dadurch geregelt werden, dass die Griechen tatsächlich ihre Ausgaben unter Kontrolle halten, dass sie versuchen, auf der Einnahmenseite konsequenter voranzugehen. Tsipras muss an seinem eigenen Wahlversprechen gemessen werden, das Steuersystem tatsächlich effektiver zu machen. Bislang ist sehr viel an Sparleistung in Griechenland durch das Zusammenschneiden von Leistungen erreicht worden und nun muss sehr viel mehr Aufmerksamkeit und Energie investiert werden in eine leistungsfähige öffentliche Verwaltung, die tatsächlich auch eine effiziente Umsetzung und auch eine Art steuergerechte Einnahmenpolitik des Staates sicherstellt.
    Kapern: Nun hat Alexis Tsipras leider auch versprochen, Sozialausgaben wieder anzuheben.
    Janning: Ja, das ist ein Fehler, sofern es über symbolische Gesten hinausgeht. Im Moment hat ja die griechische Regierung einen kleinen Überschuss erzielt. Das würde ihr durchaus ein bisschen Luft geben, die aber nur dann vernünftig eingesetzt würde, wenn sie dazu diente, konsequentere Reformschritte zu flankieren.
    Kapern: Josef Janning, der Europaexperte beim Think Tank European Council on Foreign Relations. Herr Janning, danke für Ihre Expertise. Danke, daß Sie Zeit für uns hatten.
    Janning: Gern.
    Kapern: Tschüss, schönen Tag.
    Janning: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.