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Gros: "Ein Streit um das Budget ist immer vorprogrammiert"

Der seit Wochen tobende Streit um den EU-Haushalt sei heftiger als sonst, beschreibt es auch Daniel Gros, Direktor des Centre for European Policy Studies. "Es gibt juristisch natürlich eine Möglichkeit, die einfach besagt, wenn nichts passiert, dann wird einfach das alte Budget fortgeschrieben." Damit könne sogar ein britisches Veto umgangen werden.

Daniel Gros im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 22.11.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Seit Wochen, seit Monaten bereits tobt in Brüssel und in Straßburg ein Streit, und wie immer, wenn es ums Geld geht, dann geht es ans Eingemachte. Die Frage ist: Wie hoch soll das Budget der Europäischen Union ausfallen bis zum Jahr 2020? Sollen die Mittel auf über 1000 Milliarden ansteigen, wie es die EU-Kommission will und das EU-Parlament, oder soll es mehr oder weniger eingefroren werden oder kräftig gekürzt werden, wie es die Briten wollen?

    - Am Telefon begrüße ich Daniel Gros, er ist Direktor des Zentrums für europäische Politikstudien, eine europäische Denkfabrik mit Sitz ebenfalls in Brüssel. Schönen guten Tag, Herr Gros.

    Daniel Gros: Guten Tag!

    Heckmann: Herr Gros, der Streit um das EU-Budget, ist das ein Zeichen dafür, dass die Fliehkräfte in Europa sich verstärkt haben?

    Gros: Ein Streit um das Budget ist immer vorprogrammiert, denn dabei geht es ja immer nur, wer was an wen bezahlt. Und nur ein klein bisschen auch wofür, und da wird jedes Mal gestritten. Es ist allerdings doch schon so, dass dieser Streit etwas heftiger ist als sonst, einfach weil es die Krise gibt. Und auch, weil sich Großbritannien doch schon gedanklich immer weiter von der EU entfernt. Und das, was der frühere Premierminister Blair bereit war zu zahlen, heute der jetzige Premierminister nicht mehr bereit ist, auf den Tisch zu legen – nicht nur, weil es Großbritannien schlecht geht, sondern einfach auch, weil sich Großbritannien weniger und weniger dem europäischen Gedanken verpflichtet fühlt.

    Heckmann: Das heißt, Herr Gros, dahinter steht auch der Streit um die Frage, was die Union eigentlich sein soll: Soll es wirklich eine Union sein oder soll es bei einer Freihandelszone sozusagen bleiben oder sogar wieder zurückgedreht werden?

    Gros: Genau! Diesen Streit gab es schon vor Jahren. Aber bis vor Kurzem zumindest hat Großbritannien doch eingewilligt, den europäischen Gedanken über eine Freihandelszone hinaus mitzutragen. Das ist jetzt immer weniger der Fall. Von Solidarität möchte Großbritannien gar nichts wissen. Und deswegen wird natürlich dieser Streit noch heftiger ausgetragen werden als früher.

    Heckmann: Aber ist das nicht in einer gewissen Hinsicht auch nachvollziehbar? Die Briten und die Schweden sagen ja, während alle Länder wegen der Krise sparen müssen, Schulden abbauen müssen, soll für Europa mehr ausgegeben werden, das sei den Menschen vor Ort nicht vermittelbar, die Lohn- und Rentenkürzungen hinnehmen müssen, Steuererhöhungen beispielsweise auch. Ist die Europäische Union, ist die Zentrale also im Prinzip nicht ein bisschen blind für die Realitäten vor Ort?

    Gros: Natürlich! Wenn man das aus der nationalen Sicht so betrachtet, stimmt das. Man muss aber auch sehen, dass es ja schon einige Sachen gibt, bei denen man auf nationaler Ebene sparen könnte und dann einen Teil des Geldes auf EU-Ebene ausgibt. Netto käme immer noch eine Ersparnis heraus. Das ist insbesondere der Fall bei den gemeinsamen Forschungsausgaben, auch bei der Frage, wie viele Konsulate und Botschaften muss eigentlich jedes kleine Land im Rest der Welt unterhalten. Da gäbe es also viele Einsparpotenziale auch auf nationaler Ebene, wenn man denn gewillt wäre, es der EU zuzutrauen.

    Heckmann: Aber muss man nicht akzeptieren, dass es Länder gibt, die sagen, warum dann immer mehr Aufgaben auf die Europäische Union übertragen, warum immer mehr Geld von der nationalen Ebene auf die europäische übertragen?

    Gros: Natürlich! Wenn man glaubt, man kann alles alleine besser machen – und das ist anscheinend in Großbritannien der Fall -, dann sollte man sagen, Schluss damit, kürzen wir lieber das Budget. Wenn man allerdings dagegen sieht, dass viele Länder einfach zu klein sind, um wirklich auf der Weltbühne alleine agieren zu können, dann müsste man das schon einsehen und sagen, es gibt doch gewisse Sachen, die wir besser zusammen machen. Und das wird auch in den meisten Ländern so gesehen.

    Heckmann: Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz von der SPD, sagte heute im Deutschlandfunk, wenn sie, die Regierungschefs, das Budget denn kürzen wollen, dann sollen sie gefälligst auch sagen wo. Aber da wolle ja keiner ran. Die einen wollten die Landwirtschaftssubventionen behalten, man will auch nicht an die Transfers heran, die für die süd- und osteuropäischen Länder gedacht sind, auch nicht an die Forschung. Sind wir also ein Europa der Egoisten?

    Gros: Wenn es ums Geld ausgeben geht, sind wir alle Egoisten, das ist ganz klar. Aber man müsste sich schon mal die grundsätzliche Frage stellen: Brauchen wir wirklich eine europäische Landwirtschaftspolitik, die im Grunde genommen nur Geld an reiche Bauern verteilt? Solche grundsätzlichen Fragen sollten jetzt vielleicht aufs Tapet gekommen. Deswegen hoffe ich, dass dieser Streit zumindest diesmal zu einer grundsätzlichen Entscheidung führt.

    Heckmann: David Cameron, der britische Regierungschef, der hat ja schon angekündigt, entweder wird das Budget gekürzt oder ich lege mein Veto ein. Er hat diese Äußerung auch schon wieder ein bisschen relativiert. Aber es gibt in Brüssel Gerüchte, wonach ein Haushaltsplan auch ohne Großbritannien aufgestellt werden sollte und könnte. Ein mögliches Szenario aus Ihrer Sicht?

    Gros: Es ist möglich, aber es wäre juristisch extrem schwierig. Im Grunde genommen geht es den Briten ja auch gar nicht so sehr um die Höhe des Haushalts. Ich glaube kaum, dass dort die britische Regierung sagen würde, wir legen ein Veto ein, nur weil der gesamte Haushalt zu groß ist. Im Grunde genommen geht es Großbritannien immer wieder nur, wie viel bezahlen wir denn netto in diesen Haushalt ein. Und wenn das gekürzt werden kann, dann wird es letztendlich zu einem Kompromiss kommen. Die Frage ist halt nur: Wer bezahlt für einen noch größeren Rabatt an das Vereinigte Königreich.

    Heckmann: Wozu sicherlich die anderen Parteien nicht bereit sein dürften, nehme ich mal stark an. Welche Folgen hätte es denn, wenn da wirklich keine Einigung kommen sollte, heute oder in den nächsten Tagen? Dann müsste möglicherweise in Zukunft von Jahr zu Jahr entschieden werden, mit entsprechendem Aufwand, mit entsprechenden Kosten und mit dem entsprechenden jährlich wiederkehrenden Streit.

    Gros: Genau! Es gibt juristisch natürlich eine Möglichkeit, die einfach besagt, wenn nichts passiert, dann wird einfach das alte Budget fortgeschrieben. Jeden Monat kann ein Zwölftel vom alten Budget ausgegeben werden. Und die gesetzliche Grundlage dafür, die könnte interessanterweise mit einer qualifizierten Mehrheit beschlossen werden. In dieser Hinsicht könnte man also das britische Veto schon umgehen.

    Heckmann: Die Europäische Union streitet um das künftige Budget – wir haben gesprochen mit dem Direktor des Zentrums für Europäische Politikstudien in Brüssel, mit Daniel Gros. Danke Ihnen für das Gespräch!

    Gros: Gerne geschehen.

    Heckmann: Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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