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Groß wie ein Wal
Forscher untersuchen den Gigantismus der Bartenwale

Blauwale, eine Unterordnung der Bartenwale, sind die größten Tiere der Welt. Bisher existierten unterschiedlichste Vermutungen, warum sie so riesig geworden sind. Eine aktuelle Studie belegt: Der Klimawandel hatte daran entscheidenden Anteil.

Graham Slater im Gespräch mit Monika Seynsche | 24.05.2017
    Ein Blauwal von oben fotografiert.
    Blauwale sind die größten und schwersten Tiere dieses Planeten. (imago/Nature Picture Library)
    Monika Seynsche: Ein Blauwal wird bis zu 30 Meter lang und um die 200 Tonnen schwer. Allein die Zunge kann so viel wiegen wie ein ganzer Elefant. Damit sind Blauwale die größten und schwersten Tiere, die jemals auf diesem Planeten gelebt haben. Statt Zähnen haben sie Hornplatten, sogenannte Barten im Maul, mit denen sie ihr Futter aus dem Wasser herausfiltern.
    Amerikanische Forscher haben jetzt anhand von Fossilien untersucht, warum Blauwale und andere solche Bartenwale so extrem groß geworden sind. Ich habe den Erstautor der Studie, Graham Slater von der Universität Chicago gefragt, was sie dabei herausgefunden haben. Wann sind die Bartenwale so groß geworden?
    Bartenwale wurden erst vor 3 Millionen Jahren so groß
    Graham Slater: Ja, das ist die interessante Sache. In der Vergangenheit haben Forscher alle möglichen Gründe vorgeschlagen, warum die Bartenwale so groß geworden sind. Mein persönlicher Favorit der bisherigen Ideen war, dass die Tiere so groß wurden, um gigantischen Räubern zu entfliehen. Etwa vor 10 Millionen Jahren gab es extrem große Pottwale mit Zähnen ähnlich denen heutiger Killerwale. Und es gab riesige Haie, die wesentlich größer waren als der Weiße Hai. Aber wir haben herausgefunden, dass diese Räuber zu alt sind. Sie lebten, bevor die Bartenwale so groß wurden.
    Wenn wir uns dagegen anschauen, was in der Umwelt zu genau der Zeit geschah, zu der dieser Wechsel hin zu extrem großen Bartenwalen erfolgte, sehen wir, dass der Planet damals von einer relativ warmen Phase in eine Eiszeit wechselte. Vorher waren die Wassertemperaturen an der Meeresoberfläche relativ hoch und die Nahrungsquellen waren relativ gleichmäßig verteilt. Mit anderen Worten: Es war eine Phase, in der man überall im Meer etwas Futter findet, sowohl an der Küste als auch im offenen Ozean.
    Vor 3 Millionen Jahren dann bildeten sich plötzlich die Eispanzer auf der Nordhalbkugel. Kaltes Wasser wurde produziert und das führte zu einer wesentlich stärkeren Saisonalität und einer ganzen Reihe von Veränderungen in der Verteilung von Ressourcen. Das bedeutet, plötzlich ist da nicht mehr sehr viel los im offenen Ozean, nicht mehr viel Fisch, den man fressen könnte, nicht mehr viel Krill, den man essen könnte. Stattdessen konzentrieren sich all diese Ressourcen entlang der Küstenlinie. Dort treten sehr reiche Futterquellen auf, die aber gleichzeitig durch sehr lange Distanzen voneinander getrennt sind.
    Wenn Sie als Wal effizient das meiste aus diesen Ressourcen herausholen wollen, müssen Sie groß sein, damit Sie große Mengen Nahrung auf einmal fressen und dann diese ganze Energie nutzen können, um den nächsten Futtertopf zu erreichen. Stellen Sie sich einen Elefanten und eine Maus vor, die von einer Nahrungsquelle zu einer zweiten weit entfernten Nahrungsquelle laufen müssen. Der Elefant wird schneller dort sein, schlicht und ergreifend, weil er größer ist. Die Maus wird für den gleichen Weg wesentlich länger brauchen. Wenn man diese Situation auf den Ozean überträgt, ist es plötzlich gut, ein gigantisch großer Bartenwal zu sein und es ist nicht so gut, ein kleiner Bartenwal zu sein.
    Klimawandel schadet auch dem Bartenwal
    Seynsche: Und was bedeutet das für die mögliche Zukunft der Bartenwale, wenn Sie sagen, der Gigantismus hat sich während der Eiszeit entwickelt und wir davon ausgehen müssen, dass es im Zuge des Klimawandels solche Kaltzeiten möglicherweise nicht mehr geben wird?
    Slater: Das ist das Beunruhigende hier. Wir denken immer, Bartenwale sind immer schon so groß gewesen, aber die Fossilien und unsere Analysen zeigen uns, dass das eine relativ moderne Entwicklung ist. Der Gigantismus ist eine Folge sehr spezieller Bedingungen, die erst vor 3 Millionen Jahren auftraten. Und die projizierten Muster des Klimawandels deuten darauf hin, dass wir uns möglicherweise in einem Szenario wiederfinden werden, in dem Ressourcen wesentlich gleichmäßiger verteilt sind in geringer Menge, ähnlich wie es vor Beginn der Eiszeiten war.
    Und das sind definitiv schlechte Nachrichten für gigantische Bartenwale. Sie werden nicht mehr genug Futter an einem Fleck finden. Wenn wir also wirklich die polaren Eiskappen verlieren, dann werden die großen Bartenwale, die wir kennen und lieben, in große Schwierigkeiten kommen.