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Große Verluste bei den kleinen Fischen

"Static Kill" ist offenbar ein Erfolg: Dem Energiekonzern BP ist es gelungen, das havarierte Bohrloch im Golf von Mexiko mit schwerem Schlamm zu stopfen. Doch die Folgen der Ölkatastrophe werden das marine Ökosystem noch Jahre belasten.

Martin Visbeck im Gespräch mit Katrin Zöfel |
    Katrin Zöfel: Die Zahl ist gewaltig: 780 Millionen Liter Rohöl sind Schätzungen zufolge seit dem Blow-out auf der Ölbohrplattform Deepwater Horizon ins Meer geflossen. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass nun zumindest kein Öl mehr nachkommen wird. Doch die Folgen bleiben immens. Kurz vor der Sendung habe ich mit dem Meereswissenschaftler Martin Visbeck vom IfM Geomar gesprochen und ihn gefragt, welche Konsequenzen sich trotz des Erfolgs von heute Morgen nicht mehr verhindern lassen.

    Martin Visbeck: Wir haben es ja im Golf von Mexiko mit einer der größten Ölkatastrophen zu tun, die durch den Menschen verursacht wurden. Wir machen uns große Sorgen um das marine Ökosystem. In vielen Bereichen sind ja jetzt schon Schäden aufgetaucht, insbesondere an den Küstenzonen, in Flachwassergebieten. Dort, wo die kleinen Lebewesen, Seevögel, Fische laichen, hat man ja auch schon im Fernsehen viele der Bilder gesehen, leider auch weiter draußen. Ziemlich in der Nähe der Ölaustrittsstelle ist das Laichgebiet einer Thunfischart. Die haben ungefähr im April ihre Eier abgelegt und die Jungfische werden mit dem ölverseuchten Wasser sich auseinandersetzen müssen. Wir rechnen damit, dass dieser Jahrgang schwach ausfallen wird, also große Verluste bei den kleinen Fischen. Weiterhin wird das Öl natürlich vertrieben mit der Zirkulation, wird einen größeren Bereich beeinflussen. Wie genau welche Arten betroffen sind, das ist noch im Moment Teil der Untersuchungen.

    Zöfel: Es war ja auch die Rede von sauerstofffreien Zonen, die durch den Abbau des Öls entstehen könnten. Weiß man da schon inzwischen mehr?

    Visbeck: Das Öl wird ja abgebaut durch Bakterien im Meer. Am Anfang wirkt es chemisch und auch durch Sonnenlicht optisch. Warmes Wasser wie im Golf von Mexiko hilft aber auch dem bakteriellen Zersetzungsprozess. Das ist auf der einen Seite gut für die Umwelt, weil das Öl eben zerlegt wird in viele kleine, nicht mehr schädliche Teile. Auf der anderen Seite brauchen die Bakterien dafür auch Sauerstoff. Den entziehen sie aus dem Meer. Das Meer wird sauerstoffärmer, und gerade im Golf von Mexiko hat man auch einen Bereich in Küstennähe, wo Sauerstoff sowieso schon arm ist. Wenn dann noch durch den Ölunfall der Sauerstoff weiter runtergeht, wird man da eine Ausdehnung der sogenannten Todeszonen vermuten müssen. Das wird auch hinzukommen noch in den nächsten Monaten. Da machen wir uns schon Sorgen, denn soviel Öl und so ein starkes Bakterienwachstum, das haben wir schon lange nicht mehr gesehen. Da kann man noch sich auf einige Überraschungen gefasst machen.

    Zöfel: Wo ist das Ökosystem am verletzlichsten gegenüber dieser Katastrophe?

    Visbeck: Wir gehen davon aus, dass die großen Tiere, die Fische, die können verseuchte Gebiete meiden, die sind denen ja auch nur wenige Stunden ausgesetzt, die werden sich da sozusagen schadfrei halten. Allerdings die Kleinen, die nicht schnell schwimmen können, gerade Jungfische, frisch gelaichte, Larven, alle möglichen Arten von kleinstem Plankton, die werden besonders stark leiden. Und wenn das dann in einer Region ist, wo die Kinderstube ist, und das ist tatsächlich für viele Fische dieser Region des Golfs von Mexiko, dann muss man damit rechnen, dass ein ganzer Jahrgang wahrscheinlich stark belastet, wenn nicht gar aussterben wird.

    Zöfel: Die Hurrikansaison ist auch noch lange nicht vorbei. Werden die eher einen positiven Einfluss haben, dadurch, dass vielleicht mehr Sauerstoff ins Wasser kommt, oder wird das ein negativer Einfluss sein?

    Visbeck: Ja, die Hurrikansaison ist mitten am Laufen. Zum einen, könnte man sagen, ein gewisser positiver Effekt besteht dadurch, dass die starken Winde das Wasser mehr durchmischen, dort natürlich auf der einen Seite Sauerstoff in die Tiefe bringen, das ist vielleicht ein guter Faktor. Sorge macht uns aber doch eher, dass eben auch ölbelastetes Wasser weit ins Hinterland getragen wird. Noch liegt der Ölfilm ja an den Barrier Islands, also außen vor. Wenn aber dann die großen Wellen, die starken Winde dieses Wasser weiter ins Hinterland in die Marschen tragen, wird man dort auch noch große Schäden hervorrufen. Also ist die Hoffnung eigentlich doch eher, dass diese Region dieses Jahr vielleicht verschont bleibt von einem großen Wirbelsturm, denn ich glaube, das würde noch eher schädigende Auswirkungen auf das jetzt schon belastete Ökosystem haben.

    Zöfel: Können Sie inzwischen sagen, wie weit sich das Öl aus dem Golf von Mexiko heraus "weltweit" verbreiten wird?

    Visbeck: Wir haben dazu selber Modellsimulationen angestellt, wo wir eines der besten Strömungsmodelle des Ozeans benutzt haben. Und das wird in der Tat stattfinden. Unsere Rechnungen sagen, dass über sechs, acht Monate gerechnet ungefähr die Hälfte des belasteten Wassers den Golf von Mexiko verlassen wird. Die genaue Menge hängt aber stark von der Situation des Loop Currents ab. Das ist eine schnelle Strömung im Golf von Mexiko selber. Manchmal ist die so gelagert, dass ölbelastetes Wasser direkt da rauskommt, in den Atlantik. Manchmal wird durch Ringbildung das verhindert. Die momentane Situation ist mal mehr Ringe, mal weniger Ringe, das war so ein bisschen unentschieden. Deswegen glaube ich, ist die Hälfte eine gute Zahl. Allerdings, was dann passiert, das belastete Wasser wird ganz stark verdünnt, im Floridastrom und auch im Golfstrom-System, sodass die ökologischen Schäden da deutlich geringer sind, Verdünnungsraten in Floridastrom von 1:500, muss man sich vorstellen: ein Teil belastetes, also öliges Wasser, 500 Teile frisches Wasser vermischt, ist ja nicht mehr ganz so wild. Im Golfstrombereich eher 1:1000 verdünnt. Das geht also sehr langsam und wird ordentlich verdünnt, sodass wir glauben, dass die Schäden dort nicht mehr sehr hoch sein können.