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Gute Unis - schlechte Schulen

Zehntausende Brasilianer protestieren momentan gegen die Verschwendung von Steuermilliarden für den Bau der WM-Stadien. Das Geld hätte ins marode Bildungs- und Gesundheitssystem fließen müssen, kritisiert Rainer Schmidt, Gastprofessor an der Uni Sao Paolo. Besonders in staatliche Schulen müsste investiert werden.

Rainer Schmidt im Gespräch mit Manfred Götzke | 18.06.2013
    Manfred Götzke: Wenn im fußballverrückten Brasilien Hunderttausende gegen Fußball protestieren, ja, da muss schon einiges im Argen liegen. Umgerechnet elf Milliarden Euro sollen Confed-Cup und die WM 2014 kosten – natürlich auch, weil die Stadien am Ende viel teurer waren als ursprünglich geplant.

    Die Demonstranten finden, dieses Geld wäre an anderer Stelle viel besser aufgehoben, zum Beispiel im maroden Gesundheits- und Bildungssystem. Was genau an Schulen und Unis falsch läuft, das möchte ich jetzt mit Rainer Schmidt besprechen. Er ist 2009 Gastprofessor für Deutschland- und Europastudien an der Uni von Sao Paulo. Hallo Herr Schmidt!

    Rainer Schmidt: Ja, hallo, hier Rainer Schmidt!

    Götzke: Herr Schmidt, sind Ihre Studenten in den letzten Tagen überhaupt zu Ihren Vorlesungen gekommen oder waren die alle auf der Straße?

    Schmidt: Gestern waren meine Veranstaltungen nicht gut besucht, am Nachmittag schon, am Abend habe ich es ausfallen lassen müssen, weil der Campus leer gefegt war.

    Götzke: Woran krankt es denn aus der Sicht der Studierenden am brasilianischen Bildungssystem vor allem?

    Schmidt: Es gibt etwas, was die Studenten, aber auch was die breite Bevölkerung gegen die Regierung aufgebracht hat, nämlich, dass sich in den letzten Jahren ein Ungleichgewicht eingestellt hat zwischen den Chancen, die Schüler von öffentlichen Schulen haben, auf gute Universitätsausbildung. Es ist leider so, dass praktisch nur Privatschüler, Schüler, die hohe Investitionen … oder Eltern, die für ihre Kinder hohe Investitionen in die Schulbildung leisten können, dass die nachher eine Chance haben, auf die guten, öffentlichen Universitäten gehen zu können.

    Götzke: Das heißt, auch als guter Absolvent einer staatlichen Schule habe ich so gut wie keine Chance auf eine der guten, staatlichen Unis zu kommen?

    Schmidt: Ja, das ist leider so, weil die Qualität der Privatschulen viel höher ist und die Qualität der öffentlichen Schulen leider weit da hinterherhinkt.

    Götzke: Kann sich denn eine, ich sag mal, normale Mittelschichtsfamilie die Kosten für Privatschulen leisten in Brasilien?

    Schmidt: Das wird immer schwieriger. Also für gute Privatschulen muss man schon der Oberschicht angehören, bis in die Mittelschicht hinein wird es schwierig.

    Götzke: Das ist ja eine relativ seltsame Entwicklung, dass die staatlichen Universitäten, dass dort investiert wurde, aber in die Schulen nicht. Wie ist das denn überhaupt zu erklären?

    Schmidt: Ja, das ist zum einen leicht zu erklären, dass es für beide Systeme weiter Finanzierungsschwierigkeiten gab, die weit zurückliegen, also bis in die 80er-Jahre hinein zurückgehen. Bis weit in die Militärdiktatur hinein, bis in die 80er-Jahre war das öffentliche Schulsystem eigentlich noch in Ordnung, aber dann wurde nicht mehr investiert, weder in die Schulen, noch in die Universitäten, und es ist Lula gewesen, der dann in den 2000er-Jahren angefangen hat mit massiven Investitionen in die Federais, in die staatlichen, in die Bundesuniversitäten, dieses Finanzierungsdefizit der Bildung auszugleichen.

    Aber wie man weiß, wirken Investitionen in den Universitäten viel schneller als in den Schulen, insofern ist das eine Folge praktisch der Logik, der Demokratie selber. Man will schneller Erfolge, und die bekommt man eher an den Universitäten als an den Schulen.

    Götzke: Dennoch verwundert das ja ein bisschen, Lula gilt ja so ein bisschen als Präsident der Armen, der Unterprivilegierten. Da in ein etwas elitäreres Universitätssystem zu investieren statt in die Schulen, mutet da doch etwas seltsam an.

    Schmidt: Ja, das ist richtig, das ist auch paradox, zumal der Vorgänger Soziologe der Universität war, an der ich gerade bin, und keinerlei Interesse an den Investitionen in die Universitäten gehabt hat, und Lula, das arme Arbeiterkind aus dem Nordosten, aus dem armen Nordosten, baut dann die Universitäten aus. Aber Lula hat sehr viele wichtige Investitionen in das Bildungssystem gemacht, um eben auch Geld … um die Wirtschaft voranzubringen und um dann Investitionen tätigen zu können, die sich ja langfristig auszahlen.

    Götzke: Das heißt, um noch mal ein Fazit zu ziehen: Die Demonstranten, die jetzt sagen, die elf Milliarden Euro, die zum Teil auf obskure Weise in den Stadionbau geflossen sind, die hätten eigentlich ins Schulsystem fließen müssen?

    Schmidt: Die hätten ins Schulsystem, in die Bildung insgesamt fließen müssen, aber auch ins Gesundheitssystem. Dort sind noch massive Lücken, und das ist aufgrund der gerade eben von mir beschriebenen sozialen Schieflage immer wieder ein schwieriges Thema.

    Götzke: Ändert sich denn momentan da etwas dran? Also die Nachfolgerin von Lula, investiert die mittlerweile auch ins Schulsystem, oder ist das ganze Geld jetzt tatsächlich für den Stadionbau draufgegangen?

    Schmidt: Nein, es gibt sowohl Investitionen in die Schulen, es gibt aber auch Gesetzgebungen, wie zum Beispiel ein Quotensystem, das nicht ganz unumstritten war, aber jetzt schon anfängt zu wirken. Das heißt, die staatlichen Universitäten, in Brasilien gibt es ein geteiltes, ein bipolares Universitätssystem, das heißt, sowohl die Länder wie auch der Bundesstaat, der Bund, tätigt Investitionen und organisiert Universitäten.

    Und an den staatlichen Universitäten müssen jetzt schon zehn Prozent der aufgenommenen Studenten von öffentlichen Schulen stammen. Und gleichzeitig wird auch investiert. Aber wie ich gerade eben schon sagte, die Wirkungen der Investitionen in das Schulsystem sind langsam.

    Götzke: Zehntausende Brasilianer protestieren gegen die Verschwendung von Steuermilliarden für Fußballstadien, die eigentlich in der Bildung gebraucht würden. Was genau falsch läuft, hat uns Professor Rainer Schmidt von der Uni Sao Paulo gesagt. Vielen Dank!

    Schmidt: Vielen Dank!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.