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Heile, heile Mauer

Durch Risse in Betonbauten kann Wasser eindringen und ein darunter liegendes Stahlskelett beschädigen. Dagegen soll selbstheilender Beton immun sein. Wie die menschliche Haut kann er kleinere Risse selber flicken, bevor ein größerer Schaden entsteht. In München testen Ingenieure die Selbstheilungskräfte der neuen Baustoffe

Von Martina Preiner | 15.05.2013
    Am Lehrstuhl für Baustoffkunde und Werkstoffprüfung der TU München hat man sich voll und ganz dem Beton verschrieben. Nicht nur die Wendeltreppe ist aus dem grauen Baustoff, sondern auch der daneben platzierte Kickertisch.

    Die Arbeitsgruppe von Christian Große prüft die Beschaffenheiten unterschiedlicher Betonsorten, eine Reihe von bildgebenden Verfahren hilft ihnen dabei.

    "Hier haben wir die Ultraschallprüfung, hier drüben ist die Infrarotthermografie, dann haben wir hier Radar, dann haben wir hier einen sehr empfindlichen Laservibrometer, damit kann man auch sehr empfindliche Schwingungen aufzeichnen."

    In den Beton hineinzuschauen ist Großes Spezialgebiet. Eines seiner laufenden Projekte ist selbstheilender Beton.

    Kleine, abnutzungsbedingte Risse in dem Baustoff haben zwar wenig Einfluss auf seine Stabilität, machen ihn allerdings durchlässiger für Wasser und Salze. Das kann dann beispielsweise die korrosionsgefährdeten Stahlträger von Gebäuden angreifen.

    "Die Idee liegt auf der Hand, wenn wir uns den menschlichen Körper anschauen: Die Haut kann sich selber heilen, die Knochen können sich bis zu einem bestimmten Bereich auch heilen. Und die Frage ist, ob wir unseren wichtigsten Werkstoff Beton nicht auch in die Lage versetzen können, selber Risse, natürlich auch in Grenzen, zu heilen."

    Derzeit lässt Große drei verschiedene Selbstheilungsmechanismen, die letztlich die Lebenserwartung von Beton steigern sollen, gegeneinander antreten. So setzen seine Mitarbeiter täglich neue Betonblöcke an. Entweder werden diese mit Hydrogelen versetzt, die Feuchtigkeit aufsaugen, sich dabei ausdehnen und so die Risse stopfen; oder mit Bakterien, die im Beton überleben und Abnutzungserscheinungen mit ihren Kalkausscheidungen beheben können. Und auch mit Harz gefüllte Glasröhrchen können Risse verschließen.

    Beim sogenannten Bruchversuch drückt ein Balken mit konstanter Kraft so lange gegen die Mitte eines Betonblocks, bis Risse entstehen. Parallel dazu wird der Widerstand, den der Block leistet in Form einer Kraftkurve gemessen. Der Betonblock ist in diesem Fall mit einem Satz fünf Millimeter dicker Glaskapillaren präpariert, die mit Harz gefüllt sind.

    "Und jetzt ist der Beton gebrochen. Bis einundzwanzig Kilonewton ist er gefahren, dann ist der Beton gerissen, die Kraft fällt ab und langsam baut sich die Kraft dann wieder auf."

    Die wieder zunehmende Kraftkurve ist ein Zeichen dafür, dass der Betonbruch auch die Harzkapseln getroffen hat. Das auslaufende Harz verteilt sich in den Rissen und macht den Beton erneut widerstandsfähig. Im Nachhinein wird der genaue Verlauf des Heilungsprozesses per Ultraschall, Radar und anderen Verfahren untersucht. Alle drei Ansätze, also Bakterien, Gele und Harz, funktionieren prinzipiell ganz gut. Großes Arbeit soll Aufschluss darüber geben, wie sie am besten angewendet werden sollten. Natürlich hat jede Methode auch ihre Nachteile. Glasröhrchen so in den Beton einzubringen, dass sie nicht platzen, erfordert beispielsweise einiges an Fingerspitzengefühl - im großen Maßstab könnte das zum Problem werden. Auf die Frage, welche der drei Selbstheilungsarten in seinen Augen vorne liege, gibt sich Große neutral.

    "Ich empfinde mich ein bisschen wie der Schiedsrichter in dem Spiel. Ich gucke nach tatsächlich: war das ein Tor oder war das keins. Da arbeiten wir auch mit Kollegen aus der Bauindustrie zusammen. Und da sind wir selber sehr gespannt, welches dieser Verfahren dann das Rennen macht, aber das wird eine Entscheidung sein, die jetzt nicht sehr schnell gefällt wird."

    Selbstheilender Beton ist allerdings nicht für jedes Bauwerk von Nöten. Er wird vor allem dort zum Einsatz kommen, wo es sich nicht vermeiden lässt, dass er mit Salzen in Berührung kommt - also bei Schutzwänden an Autobahnen etwa oder Gebäuden in Meeresnähe.