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Heimatsprache
Türkisch für Migrantenkinder in München

Warum fühlen sich viele Kinder der mittlerweile dritten Generation türkischer Gastarbeiter nicht richtig wohl in Deutschland? Weil sie ihre Muttersprache nicht sprechen dürfen, meint man am Institut für Bayerische Migration und beim Münchner Deutsch-Türken-Verband. Doch viele Schüler mit Migrationshintergrund können weder die eine noch die andere Sprache richtig.

Von Susanne Lettenbauer | 18.04.2017
    Die Lehrerin Hava Kolbasi unterrichtet an einer Gesamtschule in Köln türkischstämmige Schüler in ihrer Muttersprache.
    In Bayern bieten nur noch die Konsulate mit Lehrkräften aus der Türkei Türkischkurse an, und zwar gleich in den Moscheen. (dpa / picture-alliance / Oliver Berg)
    Im Türkischkurs vom Deutsch-Türken Verband München geht es locker zu. Die Schülerinnen und Schüler treffen sich jeden Samstag in den angemieteten Klassenräumen eines Integrationsvereins. Sie spielen Theater, lernen Gedichte und Schach. Nicht nur umgangssprachlich, sondern auch auf Hochtürkisch:
    "Leider können die türkischen Kinder hier nicht mehr ihre Muttersprache", sagt Lehrerin Neslihan Tomruk. "Wir versuchen es ihnen beizubringen, spielerisch und recht schnell, es sind doch Kinder von türkischen Eltern."
    Bedauern und Scham
    Die 10- bis 16-Jährigen unterhalten sich lieber deutsch miteinander, auch im Alltag, in der Schule. Türkisch können sie zwar rudimentär, aber für die Konversation mit den Verwandten in der Türkei reicht es nicht mehr, bedauern Selim und Ayse:
    "Also ich kann schon reden und so, aber da gibt's noch paar einzelne Wörter. Wenn ich in den Urlaub fahre, in die Türkei jedes Jahr, dann denken die sich schon, was für ein Lappenkind ist das denn, kann kein Türkisch, da schämt man sich schon."
    "Wenn meine Eltern mich was fragen und ich versuche ihnen was zu erklären, oder allgemein bei meinen Großeltern, die reden ja nur türkisch, und wenn ich versuche mit denen zu reden, dann verstehen die mich nicht und das ist für mich ja auch wichtig, dass die mich besser kennenlernen und nicht sagen, das ist die Enkelin, die kein Türkisch kann."
    Von Vätern zum Sprachkurs gedrängt
    Einige Zimmer weiter warten die türkischen Väter. Sie sind noch in der Türkei geboren und haben ihre Kinder extra in den Sprachkurs geschickt, teilweise dazu gedrängt. Warum konnten sie ihren Kindern nicht ihre Muttersprache beibringen?
    "Es funktioniert einfach nicht. Eltern sind nicht wie Lehrer, da ist die Distanz einfach nicht da, das funktioniert einfach nicht."
    "Wenn ich es zu Hause versuche - geht nicht, aber hier mit den anderen Kindern haben sie die Möglichkeit, sich besser auszudrücken, hier ist alles gemischt."
    Früher wurde nicht nur den türkischen, auch anderssprachigen Eltern mit Migrationshintergrund von Kinderärzten empfohlen, von Anfang an einsprachig, also deutsch mit den Kindern zu reden. So wäre eine bessere Integration möglich. Der Münchner Sprachforscher Till Woerfel hat andere Erfahrungen gemacht.
    Missverständnis Sprachkompetenz
    In einer gerade abgeschlossenen Studie an seinem Institut für Deutsch als Fremdsprache befragten er und seine Kollegen 300 zweisprachig aufgewachsene türkische, griechische und italienische Schülerinnen und Schüler von Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien; gaben ihnen kleine Aufgaben, die sie schriftlich in beiden Sprachen beantworten mussten.
    Das Ergebnis: "Da hat sich gezeigt, dass die Kinder, die eine hohe Kompetenz beim Verfassen von schriftlichen Texten in ihrer Erstsprache hatten, das auch in ihrer Zweitsprache, im Deutschen gezeigt haben. Das heißt, es ist ganz wichtig, die Erstsprache zu fördern." Oft mangele es den Eltern an Deutsch-Kenntnissen, betont Woerfel. Sie würden ihren Kindern nur rudimentäre Sprachkenntnisse im Deutschen beibringen können.
    Woerfel empfiehlt: "Unbedingt daran festhalten, die Kinder zweisprachig aufwachsen zu lassen, unbedingt die Familiensprache zu vermitteln und darüber hinaus den Kindern Angebote suchen, die das Türkische fördern, egal in welcher Form das ist."
    Bessere Ergebnisse durch Mehrsprachigkeit
    Die sogenannte Halbsprachlichkeit, bei der Kinder keine Sprache richtig lernten, hätte eher etwas mit einer generellen Spracherwerbsstörung und sozialen Aspekten zu tun, meint Woerfel. Um später einmal richtig Deutsch zu sprechen, wäre sogar ein bilingualer Kindergarten von Vorteil.
    "Konzepte der durchgängigen sprachlichen Bildung zeigen, dass Schülerinnen und Schüler, die mehrsprachig aufwachsen, dort besser abschneiden, wenn ihre beiden Sprachen gefördert werden und zwar über einen Zeitraum von mindestens sechs Jahren. Bei dem Projekt Mehrsprachigkeit hat sich auch gezeigt, dass der Besuch des Herkunftssprachenunterrichts nur dann valide positive Ergebnisse zeigt, wenn er mindestens sieben Jahre besucht wurde."