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"Hier werden jeden Tag die Menschenrechte mit Füßen getreten"

Angesichts der Forderung von UN-Generalsekretär Kofi Annan, das Gefangenenlager Guantánamo zu schließen, hat die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages, Herta Däubler-Gmelin (SPD), davor gewarnt, sich der amerikanischen Doppelmoral zu beugen. Guantánamo verstoße in vielfacher Hinsicht gegen die Menschenrechte. Dabei sähen sich die USA als Verteidiger der Menschenrechte, so Däubler-Gmelin.

Moderation: Hans-Joachim Wiese | 18.02.2006
    Hans-Joachim Wiese: Guantánamo, der Name wird für die US-Regierung zunehmend zu einem schweren Makel. Der scharfen internationalen Kritik an dem amerikanischen Gefangenenlager auf Kuba hat sich jetzt auch UN-Generalsekretär Kofi Annan angeschlossen und die schnellstmögliche Schließung des Lagers gefordert. Zuvor hatte ein Expertenbericht der UN-Menschrechtskommission festgestellt, die Behandlung der Gefangenen und die Verhörmethoden auf Guantánamo grenzten an Folter. Am Telefon begrüße jetzt die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages Herta Däubler-Gmelin, SPD, schönen guten Morgen.

    Herta Däubler-Gmelin: Guten Morgen Herr Wiese.

    Wiese: Frau Däubler-Gmelin, die US-Regierung hat die Kritik und die Forderung nach Schließung des Lagers mit dem Argument zurückgewiesen, es diene der Bekämpfung gefährlicher Terroristen. Wenn das so ist, dann müsste das Lager ja eigentlich auch in unserem Interesse sein?

    Däubler-Gmelin: Nein, das ist ja vor allen Dingen auch ein leicht durchschaubarer Versuch, den Ball zurückzuspielen. Der wird aber gar nicht gelingen können. Übrigens weder in den Vereinigten Staaten selbst, noch in der internationalen Weltöffentlichkeit. Wer, und das ist ja heute sehr leicht möglich, weil ja veröffentlicht wurde, diesen sehr nüchternen und sehr ausführlichen Bericht von Professor Nowak und anderen Experten sieht, der wird sehen, dass nicht nur der Grund für das Lager, sondern auch die Art und Weise wie es geführt wird und die Behandlung der dort gefangen gehaltenen Menschen mit US-Recht, mit Völkerrecht und mit unserem Rechtsverständnis und auch mit unserem Kulturverständnis in keiner Weise in Einklang steht.

    Wiese: Im Grunde genommen, Sie sagten es selber, steht dieses Gefangenenlager auch nicht im Einklang mit US-Rechtsnormen. Die US -Regierung hat das Gefangenenlager ja damals ganz bewusst auf Kuba errichtet und nicht auf amerikanischem Boden, wo bestimmte Mindeststandards für die Behandlung der Gefangenen gelten müssten. Wie lässt sich das denn mit unserem, ja, zivilisatorischen Verständnis vereinbaren? Das geht doch eigentlich gar nicht.

    Däubler-Gmelin: Nein, es lässt sich weder mit unserem Kulturverständnis vereinbaren, noch mit unserem Rechtsverständnis. Übringens, das macht ja auch den Wert dieses UN-Dokumentes aus, dass ja nun auch weiter nicht nur diskutiert, sondern auch weiter besprochen werden wird, ist völlig klar, dass das, was da von der Bush-Regierung behauptet wird, nämlich es gäbe eine Diskrepanz zwischen dem so genannten Kriegsrecht, dass sie auf den Kampf gegen den Terror anwenden und des humanitären Völkerrechts in Bezug auf das, was sie da tun, in keiner Weise haltbar ist. Und ich glaube das ist der enorme Vorzug, und es bringt natürlich nicht nur das europäische Parlament, dass das ja gestern getan hat, dazu zu sagen, so kann das nicht weitergehen, hier muss nicht nur die Anti-Folterkonvention, sondern auch anderes internationales Recht eingehalten werden. Die Menschen dort müssen die Möglichkeit haben, einen Anwalt zu sehen, sie müssen die Möglichkeit haben, sich gegen - nach vier Jahren, das muss man sich mal vorstellen, die die zum Teil schon dort sind - sie müssen die Möglichkeit haben, vor ein Gericht zu gehen und die fordern natürlich auch, und das tut auch der UN-Bericht, dass hier nicht nur Klarheit geschaffen werden muss, sondern dass die Leute, die dort zu Unrecht festgehalten und zu Unrecht gefoltert wurden, dass die auch eine Genugtuung und eine Entschädigung bekommen.

    Wiese: Folter ist ja nun ein dehnbarer und durchaus umstrittener Begriff. Sie haben ihn gerade benutzt. Sehen Sie tatsächlich in der Behandlung der Gefangenen auf Guantánamo Folter?

    Däubler-Gmelin: Folter ist insofern gar nicht dehnbar, als wir zum Beispiel im deutschen nationalen Recht, dann zum Beispiel auch in der europäischen Anti-Folterkonvention - und vergessen wir bitte nicht, die USA sind so genannte beobachtende Mitglieder - ganz klare Definitionen haben und das haben wir auch in der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen. Erinnern Sie sich dran, in den USA selbst hat jetzt endlich einmal der Kongress aufgenommen und gesagt, dass das, was hier so behauptet wird, das sei ja ein vager Begriff, oder man könne das ausdehnen und man könne verschärfte Verhörmethoden neben entwürdigender und folternder Behandlung hier sozusagen einführen, mit der Folgerung, dass das zulässig sei, dass das nicht stimmt. Das heißt, hier gibt es klare Verbote gegen die verstoßen wird und deswegen muss diese Methode verändert werden, das ist die Folgerung der McCaine-Initiative, deswegen muss das Lager geschlossen werden. Und ich muss sagen, ich bin sehr froh, dass es auch in Europa auch bei den Regierungen mittlerweile diese Forderungen gibt. Sie erinnern sich daran, in England war es jetzt der Nordirlandminister der britischen Regierung, der das sehr klar gesagt hat, in Deutschland war es der Beauftragte der Bundesregierung für die Vereinten Staaten und ich bin ganz sicher, dass zum Beispiel die parlamentarische Versammlung des Europarates oder auch der Menschenrechtsausschuss sich mit diesen Fragen befassen muss, genau wie das Parlament der Vereinigten Staaten.

    Wiese: Aber die Bundesregierung hat sich gestern doch recht vorsichtig, zwar kritisch, aber recht vorsichtig geäußert, Guatanamo sei mit europäischen Rechtsnormen und Wertvorstellungen nicht vereinbar, das ist klar. Sie verzichtet aber auf konkrete Forderungen an Washington etwa nach schnellstmöglicher Schließung. Da müssten doch deutlichere Worte fallen, auch der Verbündeten.

    Däubler-Gmelin: Ich denke das auch und ich denke, dass das auch nicht mehr lange auch sich warten lassen darf, weil es ist ja nicht ausschließlich jetzt ein juristisches oder ein Problem, dass hier internationales Recht und Standards durchgehalten werden, sondern, hier werden jeden Tag die Menschenrechte mit Füßen getreten. Und das von einem Land, das sich ja zum Verteidiger der Menschenrechte erklärt hat. Diese Doppelmoral, diese Doppelzüngigkeit, die kommt natürlich in unserer sowieso sehr aufgeregten Welt ausgesprochen schlecht an. Und dieser Bericht der Vereinten Nationen, der ist in der Welt, der wird jetzt von der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen im März in Genf behandelt, der wird durch die verschiedenen Parlamente behandelt, das heißt, dieses Thema kann man nicht mehr so behandeln, wie es Herr Rumsfeld versucht, nicht mal mehr mit einer, wie er das nannte, einer Medienkampagne, damit hier, wie gesagt, die Menschen vielleicht keinen Anstoß mehr daran nehmen, sondern das kann man nur dadurch ändern, indem man Guantanamo schließt und sich auch der Bekämpfung des Terrors an die klaren, internationalen Normen hält.

    Wiese: Stichwort Doppelmoral: Guantanamo ist ja nicht der einzige Makel, der das Bild von der westlichen Demokratie verdüstert. Es sind jetzt neue Folterbilder aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis in Bagdad aufgetaucht, neulich waren prügelnde britische Soldaten in Basra zu sehen. Was ist da los? Hat der Kampf gegen den internationalen Terrorismus die Sensibilität im Westen für Menschenrechtsverletzungen untergraben?

    Däubler-Gmelin: Ja, die Verführung der Macht kommt hinzu und das geht natürlich nicht, weil jeder mit der Zeit merkt, dass das, was hier eigentlich verteidigt werden soll, nämlich die Grundlagen unserer Gesellschaft und die Menschenrechte, dass das mit Füßen getreten wird. Und wenn das dann auch noch so selektiv mit der Verfolgung bestimmter Menschen, bestimmter Bevölkerungskreise verbunden wird, dann ist es natürlich ganz besonders schädlich und wir dürfen uns in eine solche Doppelmoral nicht hineinziehen lassen, sondern wir müssen auf Ausgleich und auf ungeteilte, auf verbindliche Menschenrechte überall großen Wert legen.

    Wiese: Ist auch die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in diesem Rahmen zu sehen?

    Däubler-Gmelin: Ich bin da, wie Sie wissen, sehr geteilt, weil ich bin natürlich eine außerordentlich starke Vertreterin der Pressefreiheit. Ohne das werden Missbrauchsmöglichkeiten oder Verletzungen von Rechten und von Menschenrechten ja gar nicht mehr publik und das darf nicht sein. Auf der anderen Seite, ist es, glaube ich, schon so, dass jemand der sich durch Karikaturen verletzt fühlt, dass der dagegen protestieren darf. Die Frage ist nur, wie macht er das? Das selbst rechtfertigt dann keineswegs wieder Gewalt und es rechtfertig schon überhaupt nicht, dass man auf der anderen Seite hier organisierte Proteste sozusagen gegen den Westen, gegen die Kultur vorgehen. Nur wir müssen natürlich sehen, wir leben in einer sehr aufgeregten Zeit, wo es sehr viele, gerade auch Muslime gibt, die sich nicht respektiert fühlen, die sich als Underdogs fühlen und die beziehen natürlich ihre Wut nicht nur aus ihren täglichen Lebenssituationen, sondern auch aus solchen Folterbildern der Amerikaner, in Abu Ghraib oder auch aus der Tatsache von Guantánamo. Deswegen ist das alles ungeheuer wichtig, dass wir da weggehen von dieser Doppelmoral.

    Wiese: Das war in den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des deutschen Bundestages, Herta Däubler-Gmelin.