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HIV-infiziert und trotzdem Mutter

Das ukrainische Odessa ist Aids-Hauptstadt Europas. Viele HIV-infizierte, schwangere Frauen kommen in das Bezirkskrankenhaus, in dem die Ärztin Swetlana Posochowa arbeitet - denn in ihrer Klinik liegt die HIV-Übertragungsrate von Mutter zu Kind derzeit bei unter fünf Prozent.

Von Mareike Aden | 01.12.2011
    Ein Hochbett, zwei Sofas, ein Kinderbettchen und ein Fernseher, alles auf 17 Quadratmetern. Das ist das Zuhause der 34 Jahre alten Alina und ihrer drei Kinder in einem grauen Hochhaus in einem Vorort von Odessa: Maksim ist sieben, Ruslan vier Jahre und die kleine Maria fünf Monate.

    Das Geld ist knapp, und auch sonst bekommt die alleinerziehende Mutter nur wenig Unterstützung: Aber die zierliche Frau mit blond gefärbten Haaren sieht keinen Grund zur Klage. Denn ihre Kinder sind gesund: HIV-negativ. Alina selbst ist seit 16 Jahren mit dem Virus infiziert –als drogenabhängiger Teenager steckte sie sich an. Drogen nimmt sie schon seit über zehn Jahren nicht mehr.

    "Als ich vor sieben Jahren das erste Mal schwanger wurde, war der Druck riesig. Alle waren kategorisch dagegen, das Kind auszutragen: meine Verwandten und die Ärzte. Bei der Schwangerenberatung wollte man mich zur Abtreibung überreden. Ärzte sagten, dass ich eh nicht bis zur Geburt überlebe. Und meine Verwandten hatten Angst, mich zu verlieren."

    Von anderen infizierten Frauen hörte Alina von einer Ärztin namens Swetlana Posochowa, die im Bezirkskrankenhaus der Stadt arbeite und die wie kein zweiter Arzt in der Ukraine wisse, wie schwangere Frauen mit dem HI-Virus ein gesundes Kind zur Welt bringen können.

    Gerade in Odessa ist so ein Wissen dringend nötig: Offiziell sind hier rund 11.000 HIV-Infizierte registriert. Experten gehen von bis zu 150.000 Fällen in der Stadt mit einer Million Einwohnern aus. Prostitution und Drogen haben in der Hafenstadt vor allem in den neunziger Jahren für eine schnelle Ausbreitung gesorgt.

    "Zur Zeit meiner ersten Schwangerschaft war in der Ukraine sehr wenig bekannt über HIV, und der Zugang zur antiviralen Therapie war noch ganz neu. Swetlana Posochowa war die Einzige, die mir Informationen gab. Erst war sie sehr ernst und fragte kühl: Sind Sie zum Abtreiben hier? Als ich sagte: Nein, ich will das Kind, lächelte sie und sagte: Keine Sorge, alles wird gut."

    Mittlerweile hat Alina mithilfe der Ärztin noch zwei weitere gesunde Kinder zur Welt gebracht. Ein Bluttest hat vor Kurzem ergeben, dass auch das jüngste Baby HIV-negativ ist. Dafür möchte sie der Ärztin persönlich danken und hat in ihre Sprechstunden fünf rote Rosen mitgebracht. Swetlana Posochowa lässt sich stolz mit der kleinen Maria fotografieren. Ein weiteres Foto für ihr dickes Babyalbum.

    "Als 1988 die ersten schwangeren HIV-infizierten Frauen zu uns kamen, wussten wir nicht, was wir mit ihnen tun sollten. Alle hatten Angst: Ärzte, das Klinikpersonal. Wir verbrannten die Bettwäsche, auf der sie gelegen hatten. Es gab keine Informationen."

    Swetlana Posochowa begann sich weiterzubilden zum Thema HIV und Schwangerschaft. Immer wieder reiste sie zu Fortbildungen ins Ausland, vor allem in die USA. 1996 führte sie den Kaiserschnitt an ihrer Klinik ein, der das Infektionsrisiko halbiert, später die antivirale Therapie. So gelang es ihr, die Rate der Infektionsübertragung von Mutter zu Kind auf unter fünf Prozent zu senken.

    Längst hat Swetlana Posochowa ihr Wissen weitergegeben und Ärzte und Personal aus der Ukraine, aber auch aus Russland, Georgien oder Kirgistan geschult. Im Schnitt fünf von 100 geborenen Kindern in ihrer Klinik haben HIV-positive Mütter, sagt sie.

    "Wenn wir Frauen helfen können, die schon so viel Leid durchgemacht haben, ist das eine besondere Freude. Für die Frauen ist das ein Symbol des Lebens, wenn sie ein gesundes Kind bekommen. Sie haben jemanden für den sie nun weiterleben, das stärkt sie moralisch und körperlich zu wissen, dass sie nicht verloren sind auf der Welt."

    Auch an diesem Tag liegen HIV-infizierte Schwangere auf der Station. Mittlerweile machen Drogenabhängige und Prostituierte nur noch fünf Prozent der Infizierten aus, die zu Swetlana Posochowa kommen. Es gibt immer mehr Übertragungen bei Heterosexuellen, längst ist auch die Mittelklasse betroffen. Deshalb müsse es in der Ukraine mehr Aufklärung über geschützten Geschlechtsverkehr geben, sagt die engagierte Ärztin. Und macht sich auf den Weg zu ihrer Visite.

    Der heutige Welt-Aids-Tag ist Tagesthema bei DRadio Wissen