Donnerstag, 18. April 2024

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Homophobie im Fussball
"Mein Leben ist zur Hölle geworden"

Halil İbrahim Dinçdağ outete sich als türkischer Schiedsrichter an der Schwelle zum Profifußball als homosexuell. Er erhielt ein Berufsverbot und stieß auf öffentliche Anfeindungen. Der Sportler will nun für Gleichberechtigung werben und anderen homosexuellen Türkinnen und Türken als Vorbild dienen.

Von Ronny Blaschke | 19.04.2014
    FC St. Pauli - SV Sandhausen am 25.10.2013 im Millerntorstadion in Hamburg. Die Paulifans setzten mit Transparenten ein Zeichen gegen Homophobie und Sexismus.
    In Deutschland setzen Fußball-Fans verstärkt Zeichen gegen Homophobie und Sexismus. (dpa / Angelika Warmuth)
    Die Debatte um Homophobie im Fußball wird in Deutschland seit Jahren geführt, durch das Coming-out des ehemaligen Nationalspielers Thomas Hitzlsperger hat sie ein prominentes Gesicht. Aktivisten in Berlin und Leipzig haben durch die Aufmerksamkeit neue Unterstützung erhalten. Nun wollen sie die Debatte erweitern, auf Länder, in denen Homosexualität noch immer tabuisiert wird. Zum Beispiel mit einem Gast aus der Türkei.
    Das Berliner Abgeordnetenhaus. Die Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth begrüßt auf einem Empfang der Grünen Halil İbrahim Dinçdağ: "Ich wurde in Deutschland herzlich empfangen, das hat mich sehr berührt. Die Leute waren interessiert, sie haben viele Fragen gestellt. Zu Hause ist das Gegenteil der Fall. Homosexuelle haben es in der Türkei schwer, vor allem im Fußball."
    Ein aufstrebender Schiedsrichter
    Halil İbrahim Dinçdağ ist in der Hafenstadt Trabzon ein aufstrebender Schiedsrichter gewesen, er stand an der Schwelle zum Profifußball. Beruflich hatte er sich als lokaler Radio- und Fernsehmoderator einen Namen gemacht. Der Türkische Fußballverband verlangt von seinen Schiedsrichtern das Absolvieren des Militärdienstes. Halil Dinçdağ ist schwul, er wurde von der Armee Anfang 2009 ausgemustert, wegen "psychosexueller Störungen". Der Fußballverband Trabzon suspendierte Dinçdağ und spielte diese Information einigen Medien zu. Bald darauf fand er sich auf den Titelseiten der großen Zeitungen wieder.
    "Mein Leben ist zur Hölle geworden. Ich habe Drohungen erhalten, Sportreporter haben Witze über mich gemacht. Ein Fußballfunktionär hat mir empfohlen, mit einer neuen Identität von vorn anzufangen. Ich habe meinen Moderatorenjob verloren, auf Dutzende Bewerbungen habe ich nur Absagen erhalten. Ich musste nach Istanbul umziehen, weil es dort anonymer ist. Mein Privatleben ist zerstört. Zum Glück hält meine Familie zu mir, vor allem meine Schwester", erzählt Dinçdağ.
    Kein Schutz für Lesben und Schwule
    Seit 1858 ist Homosexualität in der Türkei nicht mehr verboten, doch in der Verfassung gibt es keinen Schutz von Lesben und Schwulen. Für den Ministerpräsidenten Erdoğan ist Homosexualität mit dem Islam "unvereinbar". Immer wieder werden Kundgebungen von der Polizei aufgelöst. So stärkt der Staat ein homophobes Klima: Allein 2012 wurden elf Homosexelle ermordet. In türkischen Musik- oder Künstlerkreisen sind Schwule und Lesben oft akzeptiert. In der Fußball-Atmosphäre geht es hingegen immer auch um die Ehre des Landes. Vor den Spielen der höchsten Spielklasse Süper Lig wird die Nationalhymne gesungen. Daniela Wurbs koordiniert für Football Supporters Europe internationale Fanarbeit. Das Netzwerk hatte 2012 in Istanbul einen europäischen Fankongress organisiert.
    Wurbs: "Und es gibt natürlich in der Türkei auch homophobe Fangesänge. Es gibt große Fangruppen, die durchaus sehr mafiös organisiert sind, wo es ganz massive Überschneidungen gibt in die Vereinsführungen hinein, oder auch Einflussnahme. Und die kann man tendenziell als sehr regierungstreu und nationalistisch beschreiben. Dann gibt es aber auch Fangruppen, die sich als links und regierungskritisch verorten, die sich auch sozial und gesellschaftlich engagieren."
    Solidarität mit homosexuellen Aktivisten
    Der Gezi-Park in Istanbul war vor gut einem Jahr Ausgangspunkt einer landesweiten Protestwelle. Dabei gingen Fangruppen auch auf homosexuelle Aktivisten zu. Der Schiedsrichter Halil İbrahim Dinçdağ gilt für beide Seiten als Identifikationsfigur. "Und in Bezug auf Halil gab es eine Solidaritätsaktion im März, von einer Fangruppe aus Ankara. Da laufen eben ganz viele Aktionen dieser Art, die sich meist außerhalb des Stadions bewegen, weil eben im Stadion die Repression doch sehr groß ist, weil auch die Bannerkontrolle sehr massiv ist. Man darf nicht fluchen, es gibt keinerlei Möglichkeiten, sich in irgendeiner Form politisch zu äußern. Es sei denn, es ist im Sinne der Regierungspolitik", berichtet Wurbs.
    Sie sagt, dass junge Türken Rollenvorbilder brauchen. Halil İbrahim Dinçdağ kann dieses Vorbild sein. Für eine Woche ist er in Berlin und Leipzig zu Gast gewesen. Es war seine erste Reise außerhalb der Türkei. Er gab Interviews, sprach mit Politikern, nahm an Podiumsdiskussionen teil. In Berlin und Leipzig pfiff Dinçdağ jeweils ein Freundschaftsspiel, in Kreuzberg zwischen Türkiyemspor und Tennis Borussia Berlin. Die Zuschauer bejubelten den Schiedsrichter, zeigten Transparente, machten Gruppenfotos. Mit dabei: Torsten Siebert vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg. "Ich denke, dass er auch hier in der türkischen Community in Berlin eine Vorbildfunktion übernehmen kann. Dass ganz viele aus dem Umfeld von Türkiyemspor, auch Spieler, die einen türkischen Hintergrund haben, anschließend noch auf ihn zugegangen sind und sich bedankt haben und das ganz großartig fanden, was er da jetzt macht. Ich gehe davon aus, dass sein Besuch auch in den türkischen Medien aufgegriffen wird."
    Vorbildfunktion für homosexuelle Türken und Türkinnen
    In der Türkei erhält Halil İbrahim Dinçdağ Anrufe und Briefe von Männern und Frauen, die Angst vor einem Coming-out haben. Im Internet verfasst er meinungsstarke Texte. Auch die Oppositionspartei CHP hat ihn als Redner eingeladen. Dinçdağ hat den Fußballverband Trabzon auf Schmerzensgeld verklagt. Am Dienstag soll das Urteil fallen.
    "Ich werde danach weiter für die Gleichberechtigung werben. In der Türkei und vielleicht auch im Ausland. Ich habe Einladungen aus Kanada und Italien erhalten. Und auch bei den Internationalen Verbänden, bei Uefa und Fifa, werde ich für unsere Rechte eintreten. Die Unterstützung in Deutschland hat mir viel Kraft gegeben."