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Homosexuelle Flüchtlinge in Deutschland
Vogelfrei im Asylbewerberheim

Es sind nicht immer Krieg und Terror, weshalb sich Flüchtlinge auf den Weg nach Deutschland machen. Manche kommen, weil sie in ihren arabischen Heimatländern wegen ihrer sexuellen Orientierung drangsaliert oder bedroht werden. Hierzulande hoffen sie, mit ihrer Homo- oder Transsexualität frei und sicher leben zu können. Doch oftmals werden sie enttäuscht und erfahren in Deutschland wieder Gewalt. Vor allem in den Flüchtlingsheimen.

Von Igal Avidan | 26.01.2016
    Gegen Homophobie und Transphobie: Regenbogenfahne in Berlin
    Gegen Homophobie und Transphobie: Regenbogenfahne in Berlin - trotzdem gibt es homesexuelle Flüchtlinge, die sich in Berlin unsicher fühlen. (dpa / picture alliance / Gregor Fischer)
    Bis vor einem Jahr sei sein Leben noch in Ordnung gewesen, erzählt Mo, ein Frauenarzt aus Ägypten. Der 35 Jahre alte Vater von zwei kleinen Töchtern unterrichtete an der Universität in Kairo, engagierte sich für die Hilfsorganisation 'Ärzte ohne Grenzen' und akzeptierte sein Doppelleben als schwuler Familienvater. Bis er eines Tages festgenommen wurde – weil er Sex mit Männern hatte.
    "Ich wurde im Polizeirevier erniedrigt – physisch und verbal. Nach acht Stunden ließen sie mich frei, weil sie wohl befürchteten, dass ich an den Folgen meiner 'Behandlung' sterben könnte."
    Daraufhin habe er beschlossen, Ägypten sofort zu verlassen, zumal er bereits ein Visum für Schweden hatte. Ausführlich schildert er, wie er auf Umwegen nach Berlin kam. Aber auch in der vermeintlich liberalen Stadt erlebte der kräftig gebaute Mo Gewalt, und das ausgerechnet in der zentralen Anmeldesstelle für Flüchtlinge, der Berliner Asylbehörde "Lageso".
    "Ein Mitarbeiter trug in meinen Unterlagen ein, ich sei ein sunnitischer Moslem, und das, obwohl ich darauf bestand, dass ich kein Moslem mehr bin. Die Sicherheitsleute waren aggressiv. Einer beschimpfte mich und sagte, ich sei nur gekommen, um Sex mit Männern zu haben. Ich sollte zu meiner Müllhalde in Ägypten zurückkehren. Ein anderes Mal warfen mich die Wachposten sogar zu Boden. Die meisten von ihnen sind arabischstämmig, denn sie beschimpften mich auf Arabisch, nicht auf Deutsch. Ich wusste: Würde ich mich bei der Polizei darüber beschweren, würde ich nichts erreichen, weil alle anderen Sicherheitsmänner den Angreifer schützen würden. Bei solchen Vorfällen sind die Flüchtlinge immer die Verlierer."
    "Schwule sind für die Araber vogelfrei"
    Mag sein, dass Mo seine Erfahrungen aus Kairo auf Berlin überträgt. Jedenfalls versteckte er seine Homosexualität, als er drei Monate lang im Flüchtlingsheim in Berlin-Wedding lebte. Mittlerweile durfte er als besonders schutzbedürftiger Flüchtling in eine Wohngemeinschaft ziehen. Seitdem sei er nur einmal in der U-Bahn von arabischstämmigen Fahrgästen beschimpft worden, als er seinen Freund geküsst habe, sagt Mo.
    "Ich fühle mich unsicher in Berlin und möchte daher umziehen – nach Westdeutschland. Es tut mir leid, dass ich das über meine Landsleute sagen muss, aber wir Schwulen sind für die Araber vogelfrei, weil sie niemals gelernt haben, dass man als Homosexueller geboren wird, dass man das nicht ändern kann und das keine Krankheit ist."
    Ähnliches haben auch der 30-jährige Aws und der 21 Jahre alte Steve erlebt. Die beiden Syrer sind ein Paar, sie fallen mit Undercut-Frisuren und modischen Bärten auf. Gemeinsam sind sie aus Syrien nach Deutschland geflohen. In ihrer Heimat konnten sie ihre Sexualität nur im Geheimen ausleben, erzählt Aws.
    "Um in Sicherheit zu leben, musste man mit seiner Homosexualität diskret umgehen. Ich hielt mich daran und hatte daher zunächst keine Nachteile. Vor dem Krieg ging das noch, aber inzwischen ist die Lage katastrophal: Man muss überall aufpassen. Die Schwulen kommunizieren nur über soziale Medien und man vertraut nur Menschen, die man schon lange kennt und über einen Freund kennen gelernt hat."
    Hilfe durch Schwulen- und Lesbenverband
    Über das katholische Hilfswerk "Caritas" fanden die beiden syrischen Männer den Weg zum Schwulen- und Lesbenverband (LSVD), der den beiden vorläufig eine kleine Wohnung finanziert. Im Moment fühlen sie sich sicher und frei, aber nur unter Gleichgesinnten.
    Auch Maggie hat aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Schikanen und Diskriminierung erfahren. Die 25jährige fällt auf: blonde Rastazöpfe, perfektes Make-up, lange Fingernägel mit rotem Glitzerlack, schwarze Lederjacke mit Nieten und schwarze hohe Schuhe. Nur ihre Stimme verrät: Maggie ist transsexuell. (Anmerkung der Redaktion: In der gesendeten Fassung hieß es fälschlicherweise: "Maggie ist transsexuell, ein Mann in Frauenkleidern.") In Beirut, der libanesischen Hauptstadt, arbeitete sie als Visagistin und Stylistin, außerdem trat sie fünf Jahre lang in sogenannten Dragqueen-Shows auf.
    Früher sei Beirut eine tolerante Stadt gewesen, erzählt Maggie, doch das ändere sich durch die vielen konservativen syrischen Flüchtlinge. Viele Schwulen-Clubs wurden geschlossen, Homo- und Transsexuelle verhaftet. Im letzten Jahr wurde Maggie ein Video aus ihrer Show zum Verhängnis.
    "Einige Reporter filmten mich tanzend bei einer Dragqueen-Show und in dem Fernsehbericht wurde schließlich mein wahrer Name eingeblendet. Danach verlor ich meine Arbeit und erlebte viel Ablehnung in meiner Umgebung. Als ich mich auf der Straße ausweisen musste, zeigte mich der Polizist an – weil ich ja Frauenkleider anhatte, aber in meinem Personalausweis als Mann gelte. Ich wurde wegen der Verwendung einer "illegalen Identität" zu sieben Tagen Haft verurteilt."
    Homophopie ist leider weit verbreitet
    Tagsüber ein Mann, nachts eine Frau: Dieses Doppelleben wurde Maggie zu gefährlich. Deshalb ergriff sie die Flucht nach Europa. Auch Maggie bekam Unterstützung vom LSVD, dem Lesben- und Schwulenverband. Zur ersten Registrierung bei der Asylbehörde wurde sie von einem ihrer Mitarbeiter begleitet, sagt die Berliner "Caritas"-Chefin Ulrike Kostka.
    "Das Projekt 'Miles' ruft bei uns an,... und sagt, ich habe hier jemanden, der zu dieser Zielgruppe gehört, und... jemand von der 'Caritas' begleitet dann die Person ins 'Lageso' und unterstützt sie bei den ganzen Prozessen dort."
    Schikanen erlebte Maggie trotzdem.
    "Ein Sicherheitsbeamter im Aufnahmeheim sagte, er schäme sich als Araber, weil ich ein arabischer Transgender sei. Was ist schändlich daran? Und was geht ihn das überhaupt an? In der Unterkunft haben mich andere Flüchtlinge beschimpft und auch versucht, mich zu schlagen. Diese Menschen aus muslimischen Ländern und aus Albanien akzeptieren weder Transgender noch Schwule."
    Jouanna Hassoun betreut als einzige hauptamtliche Mitarbeiterin des LSVD Mo, Aws, Maggie und weitere 150 Schwule, Lesben und Transgender in Berlin, die als besonders schutzbedürftige Flüchtlinge gelten. Der Verband zahlt vorübergehend Miete und Fahrkarten, organisiert auch Deutschunterricht. Die Palästinenserin Hassoun war einst selbst Flüchtling und kam als Kind mit ihren Eltern aus dem Libanon. Joanna Hassoun beklagt eine weit verbreitete Homophobie bei Muslimen in Deutschland, sogar in der dritten Generation.
    "Viele Familien wissen, dass ihr Sohn schwul ist, ihre Tochter lesbisch. Aber sie möchten nicht darüber sprechen. Es wird weiterhin tabuisiert. Die Homophopie ist leider in der muslimischen, aber auch in orientalischen Kreisen verbreitet. Die Aufklärung auf, dass das keine Krankheit ist, die fehlt. Da kommt hinzu der religiöse Aspekt, dass es eine Sünde ist, homosexuell zu sein oder als Transperson zu leben. Und wenn man damit aufwächst von klein auf, dann kriegt man das vom Kopf erst mal nicht raus, auch nicht als Erwachsener, wenn man unreflektiert ist."