Donnerstag, 25. April 2024

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Hubertus Knabe fordert Mauer-Museum im Zentrum Berlins

Der Leiter der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, hat grundsätzliche Änderungen bei der Erinnerung an die SED-Diktatur gefordert. Knabe sagte, der Berliner Senat habe es sich mit seinem Mauer-Gedenkstättenkonzept zu einfach gemacht. Man brauche "im Zentrum der Stadt eine Erinnerung an dieses weltweit einmalige monströse Bauwerk".

21.06.2006
    Christoph Schmitz: Die Tyrannei der DDR an der innerdeutschen Grenze hatte hunderte Opfer gefordert. Wer in den Westen wollte, wurde erschossen. Denn ohne Grenzwall und Mauer hätte es den sozialistischen Staat nicht lange gegeben, das hatte Berlins Kultursenator Thomas Flierl selbst eindeutig zweideutig feststellen müssen. Nun muss gerade der PDS-Mann dafür sorgen, dass die Überreste der DDR-Diktatur sichtbar und historisch korrekt dargestellt werden. Dazu hat er dem Senat ein "Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner Mauer" vorgelegt, der Senat hat es gestern beschlossen. Abgeordnetenhaus und Bundestag müssen noch zustimmen, damit die Gedenkstätte Bernauer Straße ausgebaut, damit im künftigen U-Bahnhof unter dem Brandenburger Tor ebenso wie am Checkpoint Charlie Orte der Information eingerichtet werden können. Ein dezentrales Gedenken und Aufklären an authentischen Orten soll es also geben, kein zentrales inszeniertes Mahnmal.

    Ist das die richtige Grundsatzentscheidung, habe ich Hubertus Knabe gefragt, Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen Berlin.

    Hubertus Knabe: Ja, ich glaube man macht es sich da ein bisschen einfach. Denn der Ausgangspunkt der ganzen Debatte war ja, dass irgendetwas fehlt in der Stadt, weil Millionen Besucher hier nach Berlin kommen und nach der Mauer suchen und sie nicht finden. Dabei muss man wissen, dass die Mauer in den Augen der ausländischen Touristen auf Platz Eins noch vor dem Brandenburger Tor steht. Und wenn sie dann nach Berlin kommen, finden sie eben praktisch nichts mehr von dieser weltweit bekannten Sehenswürdigkeit in Anführungsstrichen. Und hier, glaube ich, hat es sich der Senator ein bisschen einfach gemacht, indem er einfach die vorhandenen Reste, die noch da sind, in ein Papier geschrieben hat und gesagt hat, das ist jetzt unser Mauergedenken, wir werden das vernetzen. Ich glaube, dass man hier etwas anderes braucht, nämlich im Zentrum der Stadt eine Erinnerung an dieses wirklich weltweit einmalige, monströse Bauwerk.

    Schmitz: Wie soll das geschehen? In welcher Form? In einem Museum?

    Knabe: Ja, ich denke, dass hier einmal zu berücksichtigen ist, der Beschluss des Deutschen Bundestages, am Brandenburger Tor eine zentrale Mauergedenkstätte zu schaffen. Nach dem Konzept des Berliner Kultursenators soll dieser Gedenkort jetzt praktisch unter die Erde verbannt werden, in die U-Bahn-Station. Ich glaube nicht, dass das das ist, was dem Bundestag damals vorgeschwebt hat. Darüber hinaus meine ich, dass man in der Tat ein modernes, zentrales Museum zu diesem Thema bräuchte, in der Stadt. Da würde sich anbieten etwa der Tränenpalast, wo hunderttausende Menschen durchgegangen sind, am Bahnhof Friedrichstraße bei der Grenzpassage. Und das letzte Element, das ich vermisse ist, dass man an einer Stelle in der Stadt das Grenzregime wirklich komplett nachempfinden kann. Das heißt, was sich zwischen zwei Wachtürmen abgespielt hat, Vorderlandmauer, Hinterlandmauer, Panzersperre, PKW-Graben und so weiter und so fort. Das kann man eben nicht vermitteln, wenn man nur über die Stadt verstreute Reste von Beton den Besuchern zeigt.

    Schmitz: Wollen Sie damit andeuten, dass hier im Grunde der Bock zum Gärtner gemacht wurde, indem ein PDS-Mann als Kultursenator, Thomas Flierl eben, das Gedenken der Maueropfer historisch darstellen sollte?

    Knabe: Also für die Opfer ist das natürlich schon eine etwas bizarre Vorstellung, dass ausgerechnet ein Politiker der alten Diktaturpartei, die diese Mauer gebaut hat, hier das Mauergedenken jetzt verantwortet. Aber man soll ja auch Politikern Lernfähigkeit zubilligen und wenn denn hier ein gutes Mauergedenken herauskäme, dann würde sicherlich niemand dagegen Einwände erheben. Hier habe ich das Gefühl, wie überhaupt in der Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur, dass man versucht, durch Differenzierung, Verwissenschaftlichung und auch ein bisschen die Verschiebung der Koordinaten, das Ganze weniger schlimm erscheinen zu lassen, als es war. Wenn zum Beispiel gesagt wird, dass man am Checkpoint Charlie an den Kalten Krieg erinnern will, dann suggeriert das für viele die von der PDS häufig vorgetragene These, dass die Mauer im Grunde ein Produkt des Kalten Krieges gewesen sei. Doch nicht der Westen hat die Mauer gebaut, sondern die Diktaturpartei in der DDR und das muss man ganz deutlich machen. Und vor allem auch, wozu das dann geführt hat: Dass eben ganz junge Leute waren das ja meistens, 18-, 19-, 20-Jährige, die da abgeschossen oder auch angeschossen wurden, schwer verletzt dann in Haft genommen wurden, hier in Hohenschönhausen in das Haftkrankenhaus des Staatssicherheitsdienstes kamen. Diese tödliche und grauenhafte Dimension des Grenzregimes der DDR, das geht, das ist jedenfalls meine Befürchtung hier, dann sehr leicht verloren.

    Schmitz: Muss man sich nicht andererseits auch fragen, ob die Vielzahl der Gedenkstätten, der Gedenkorte in Berlin, die ja noch zunehmen wird, nicht die Gefahr in sich birgt, dass die Stadt sozusagen überlagert wird und nicht mehr die Gegenwart zur Geltung kommt, durch das große, vielfältige Erinnern?

    Knabe: Ja, diese Gefahr ist sicherlich nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber hier ist eigentlich ein anderes Problem. Nämlich, dass die Erinnerung einseitig erfolgt und teilweise auch geradezu falsch. Wir haben hier gerade vor kurzem in Berlin ein stalinistisches Denkmal mit einem Sowjetsoldaten für 11 Millionen Euro saniert. Luxussaniert möchte man sagen, während die Stätten der friedlichen Revolution '89, oder auch des Volksaufstandes 1953, verrotten, verkommen, nicht sichtbar sind. Und auch die Haftorte hier entweder gar nicht zugänglich sind, oder in einem maroden baulichen Zustand sich befinden und bis heute nicht die Förderung bekommen, die sie bräuchten, um sie zu erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Hier gibt es ganz deutlich eine Schieflage zu Ungunsten der Opfer der SED-Diktatur.