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"Hurra! Wir haben das erste AKW eingeweiht"

An Polens Bergbau- und Kohleindustrie hängen Zehnttausende Jobs. Neue Energien sind deshalb leidlich unpopulär. Gleichzeitig plant die Regierung den Bau zweier Atomkraftwerke, das wiederum gegen den Bürgerwillen - und als das Land, das 2013 die Weltklimakonferenz ausrichtet.

Von Sabine Adler | 07.12.2012
    Darius Szwed, Co-Vorsitzender der polnischen Grünen, nennt seinen Premierminister "Mister Veto". Auch wenn Polen im nächsten Jahr nach 2008 zum zweiten Mal die Weltklimakonferenz ausrichtet, heißt das nicht, dass unser Nachbarland neuerdings ein gesteigertes Interesse an der CO2-Reduktion hat, das Gegenteil ist der Fall. Ehrgeizigere Klimaziele in der EU, zum Beispiel bis zum Jahr 2030 den Ausstoß auf 30 Prozent gemessen an 1990 zu begrenzen, blockiert Warschau regelmäßig, so auch im zu Ende gehenden Jahr.

    Warum Donald Tusk, der sich der EU und Deutschland gegenüber in vielen anderen Fragen konstruktiv und keineswegs so störrisch verhält, wie sein Vorgänger Jaroswaw Kaczynski, warum Tusk in Klimafragen so unnachgiebig agiert, erklärt der Grünen-Co-Vorsitzende Darius Swed zunächst mit einer Personalfrage:

    "Der heutige Umweltminister Marcin Korolec ist der ehemalige Wirtschaftsminister. Er weiß nicht, was unter nachhaltiger Entwicklung zu verstehen ist. Ich habe ihn mehrfach zu überzeugen versucht, dass er Anstrengungen unternehmen muss, um den Energieverbrauch in der Wirtschaft zu senken."

    Der Umweltminister, wie die gesamte derzeitige Regierung aus der liberal-konservativen Bürgerplattform und Bauernpartei, will die heimische Kohleindustrie schützen, statt sie zu knebeln; denn über 80 Prozent der Energie für Wirtschaft und private Verbraucher liefern Bergbau und Kohlekraftwerke. An Braun- wie Steinkohle hängen 100.000 Arbeitsplätze und das Wohl und Wehe ganzer Regionen. Für Darius Szwed von den Grünen kein Argument, denn der Kohlesektor braucht dringend eine Generalüberholung.

    "Unser Stromnetze und Kraftwerke stammen aus den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Sie gehören ins Museum, damit kann man keine Energie mehr produzieren. Die Regierung kündigt viel an, aber die Investoren rühren sich nicht. Im Gegenteil. Es gibt einen kompletten Stillstand bei den Investitionen. "

    Viel zu wenig ist nach Meinung von Umweltschützern in Polen das Bewusstsein ausgeprägt, Energie effizienter einzusetzen. Stattdessen sucht die polnische Regierung auf immer neue Ressourcen, wie Schiefergas, das russische Erdgasimporte überflüssig machen soll.
    Oder Atomstrom, gleich zwei AKWs sind geplant.

    "Unsere Regierung unterstützt die Atomindustrie. Gegen den Willen der Mehrheit in der Gesellschaft, die gegen Atomkraftwerke ist. Der schlimmste Albtraum, der ich mich vorstellen kann, ist dass sich am 31.12.22 an der deutsch-polnischen Grenze zwei Demonstrationen gegenüber stehen, eine aus Berlin, die andere aus Warschau. Die deutsche Demonstration ruft – Hurra! Wir haben das letzte AKW geschlossen! Die polnische – Hurra! Wir haben das erste AKW eingeweiht!"

    Von den Klimakonferenzen jetzt in Doha und nächstes Jahr in Polen erwarten die Grünen nichts. Statt auf symbolische Gesten auf höchster Regierungsebene und Lösungen für die ganze Welt zu hoffen, raten sie, klein anzufangen.

    "Bei Klimafragen arbeiten Grüne bereits jetzt mit regionalen Verwaltungen und fortschrittlich eingestellten Bürgermeistern zusammen, die verstehen, dass das Einsparen von Energie in ihrem Interesse ist. Es ist wirtschaftlich und hilft, Armut aufgrund immer höherer Energiekosten zu beschränken. Davon sind in Polen fast eine Million Menschen betroffen. Außerdem bringt eine höhere Energieeffizienz auch ökologische und klimatische Vorteile. Die Regierung hat absolut keinerlei politische Vorschläge in dieser Richtung."

    Als Vorbild dient Deutschland: 30.000 neue Arbeitsplätze versprechen sie sich vom Ausbau Erneuerbarer Energien und führen sofort die Vergleichszahl an: In Deutschland seien durch die Nutzung der regenerativen Ressourcen 400.000 neue Jobs entstanden.

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