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"Ich bin voooll sauer!"

Bei türkischen Migranten wie bei Deutschen gibt es immer noch viele gegenseitige Klischees zu überwinden. Mit diesen spielt die Berliner Künstlerin Idil Baydar besonders gerne. Auf der Bühne und vor allem im Netz macht sie sich über Integrationsunwillige lustig. Die Fangemeinschaft der Deutsch-Türkin wird immer größer.

Von Johannes Nichelmann | 07.08.2012
    Gerda Grischke: "Dresden! Ist kein Dresden sagt er! Wo sind wir hier? Was ist das hier für ein Land?"
    Frau:" "Istanbul! Türkei!’’"
    Gerda Grischke: " "Ne! Was für ein Istanbul? Ich hab Dresden gebucht. Butterfahrt mit "Bild der Frau" oder "Spiegel" oder was."
    Frau: "Istanbul!"
    Gerda Grischke: "Das kann nicht sein!" "

    Eine Frau mit großer Brille, lockigen Haaren und Küchenschürze schreit sich durch eine Fußgängerzone in Istanbul. Gerda Grischke ist da angekommen, wo sie niemals hinwollte. Vom Sofa in Berlin aus, landet sie versehentlich im bunten Treiben am Bosporus.
    "Wo sind überhaupt die Schafe? Das hab ich mich die ganze Zeit gefragt. Gibt überhaupt kein einziges Schaf. Und keine Ziege und was. Normalerweise, na ist doch deren Ding? Na, ich verstehe das auch nicht."

    Hinter der deutschen Klischee-Figur, die Angst vor allem Fremden hat, steckt die Deutsch-Türkin Idil Baydar. Die Berliner Schauspielerin ist ein gefeierter You-Tube Star. Ihre Videos erreichen bis zu 800.000 Klicks. Knapp ein dutzend hat sie bisher veröffentlicht. Es geht darum den Leuten auf deutscher und türkischer Seite das zu geben, was sie jeweils vom Anderen sehen wollen. Mehr Klischee geht nicht.

    "Also es wird über die einen gesprochen oder es wird über die anderen gesprochen. Aber über das, was eigentlich gemeinsam im Miteinander leben entsteht, wird sehr wenig gesprochen. Und wo da die Konflikte sind. Zum Beispiel, wie Türken Deutsche sehen oder wie Deutsche Türken sehen."

    Neben Gerda Grischke gibt es noch Jilet Ayse. Ein junges Mädchen. Prollig, überschminkt und im Besitz unzähliger Mobiltelefone. Sie hat Streit mit ihrer Schwester, die mit einem - und das ist für Jilet Ayse das Schlimmste - Deutschen zusammen ist.

    "Erzählt sie mir: Ja, er räumt auf und er putzt. Und ich bin so: Und das ist ein Mädchen! Das ist doch kein Mann! Ich bin so sauer, ey. Manchmal Du musst eine Frau ihren Platz schicken. Verstehst Du? Wie ein Hund manchmal. Es ist traurig. Aber es ist so! Ich verdiene das dann auch auf die Fresse zu kriegen. Deshalb ich mach gar kein Drama! Ich wisch das Blut weg! Verstehst Du?"


    In den 70er Jahren kommen Idil Baydars Eltern nach Deutschland. Sie wächst in Niedersachsen auf, ist Scheidungskind und Waldorfschülerin. Später geht es nach Kreuzberg - hier gibt die Schauspielerin unter anderem Nachhilfe in verschiedenen Jugendeinrichtungen. Zeit ihres Lebens steht sie zwischen den Kulturen. Für die einen ist sie eben die Deutsche, für die anderen die Türkin. Ganz typisch eben, sagt sie.

    Baydar: "Ich hab diese ganzen, wirklich tiefen Familienkonstellationen von Außen beobachten dürfen und das ist, glaube ich, auch wirklich ein Grund, warum ich das sehr gut in diese Comedy mit einbauen kann. Weil ich sehr oft Beobachter war. Und nicht mittendrin."

    Jilet Ayse: "Ganz ehrlich! Sie sagt, er hat keine Zukunft und so. Was er hat keine Zukunft? Er hat HartzIV, er hat Kindergeld. Er nimmt von seiner Mutter..."

    Baydar: "Sehr polarisierend. Also von "fette Sau, Dich sollte man ausweisen", bis "tötet es, bevor es Eier legt", bis "Boah! Du bist so geil, ich liebe Dich!"."

    Die Texte zu ihren Videos entstehen spontan. "Ich ziehe mir mein Kostüm an und sofort kann ich improvisieren" - meint Baydar.

    "Wenn ich das mache, dann immer in Hinblick auf... schon auch ein bisschen was zu verändern, bzw. ein Bewusstsein zu schaffen. Ein Bewusstsein für das, was ist und was sich so entwickelt. Also mir ist das wichtig. Sonst würde diese ganze Sache nicht leben können."

    Und die Sache lebt davon, dass Baydar ihre Figuren genau kennt. Die Sprache, mit denen sie ihnen Leben einhaucht ist überdreht, komisch und doch irgendwie ernst gemeint. So wie halt im echten Leben, sagt die Schauspielerin. Und Gerda Grischke, die unfreiwillige Istanbultouristin, muss noch über einen Schock hinweg kommen. Ihr Sohn hat sich verliebt. In Ayse Gül Attisch.

    "Und dann hab ich gesagt: "Was denn für Enkel, Mathias? Was kommt denn dabei raus? Das möchte ich gerne mal wissen". "