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Im Gedärm der Fliege

Um bedrohte Tierarten schützen zu können, müssen Lebensraum und Anzahl der Exemplare ermittelt werden. Dafür nutzen Forscher zum Beispiel Kamerafallen oder sehr sensible Mikrofone. Nun gibt es eine neue Methode: Berliner Wissenschaftler analysieren DNA-Spuren im Magen von Insekten, die sich von anderen Tieren ernähren.

Von Marieke Degen | 07.01.2013
    Fabian Leendertz und seine Kollegen vom Robert-Koch-Institut sind immer auf der Suche nach neuen Krankheitserregern. Normalerweise untersuchen sie dafür tote Affen im Dschungel. Seit neuestem haben sie Verstärkung aus dem Tierreich:
    Sie sind klein, nervig, und nicht besonders wählerisch, was ihr Futter angeht.

    "Wir haben mit Aasfliegen gearbeitet, also diese ganz normalen Fliegen, wie man sie hier auch in Deutschland kennt, die so an der Fensterscheibe sitzen, und wir haben die eingesammelt, gefangen, weil die naturgemäß auf toten Tieren sitzen und uns interessiert: Was hat die Tiere getötet? Und da dachten wir eben, vielleicht können uns diese Fliegen dabei behilflich sein."

    Wenn das Tier an einem Virus gestorben ist, dann sind im Gedärm der Fliege noch Spuren des Virus zu finden - in Form von Erbgutschnipseln, die man im Labor analysieren und zuordnen kann. Aber nicht nur das: In der Fliege finden sich natürlich auch Erbgutschnipsel von den toten Tieren selbst. Und das hat Fabian Leendertz und sein Team auf die Idee gebracht, Fliegen als Detektoren für die Artenvielfalt einzusetzen.

    "Das Problem ist, wenn man Wildtiere sehen möchte und erfassen, dass sie einfach unglaublich schwierig zu sehen sind. Vor allem, wenn man in so einen Regenwald geht, der ist dicht, man sieht nichts. Und Fliegen finden alles."

    Und sie fressen alles, egal ob Kadaver von Schimpansen, Gazellen, Elefanten oder Mäusen. Mithilfe der Fliegen müsste man also herausfinden können, welche Säugetiere sich generell im Urwald so tummeln. Um das zu überprüfen, haben die Forscher einfache Fliegenfallen aufgestellt – im Dschungel an der Elfenbeinküste und in Madagaskar.

    "Wir haben die Fliegen im Wald dann erstmal in ein Röhrchen getan und konserviert, also tiefgefroren und nach Deutschland gebracht, und da haben wir dann die ganze Fliege einfach zermatscht, und daraus deren Erbgut oder alles, was eben an dieser Fliege ist, extrahiert. Und haben dann aus diesem Mix an Fliegen-DNA aber auch DNA von dem, was sie gegessen hat, Analysen durchgeführt."

    Und es hat gut funktioniert.

    "Also wir finden fast die gesamte Diversität an Primatenarten, die es zum Beispiel in der Elfenbeinküste gibt, innerhalb von 100 Fliegen. Und das wird dann ein interessantes Werkzeug, um festzustellen, was gibt es alles in einem Wald?"

    Die Biologin Ida Bærholm Schnell forscht am Naturkundemuseum in Kopenhagen. Sie arbeitet gerade an einer ganz ähnlichen Methode, mit Blutegeln. Vom Berliner Fliegen-Ansatz ist sie begeistert.

    "Damit lassen sich auch Tierarten aufspüren, die so selten oder scheu sind, dass man sie im Dschungel nie zu Gesicht bekommt. Die Methode ist außerdem sehr günstig – trotz der Laborkosten für die DNA-Analysen. Man muss nur Fliegenfallen aufstellen und bekommt sehr viele Informationen innerhalb kürzester Zeit. Das ist viel billiger als die herkömmlichen Methoden, bei denen Forscher tagelang durch den Wald streifen und Tiere beobachten oder deren Hinterlassenschaften analysieren."

    Die Fliegen werden die traditionellen Methoden zur Erfassung der Arten trotzdem nicht ersetzen.

    "Man muss ja erstmal eine DNA-Datenbank erstellen, mit der man die DNA-Stücke, die man aus den Fliegen gewinnt, abgleichen kann. Dafür müssen die Tiere auf ganz herkömmliche Weise erfasst werden. Aber wenn man weiß, welche Tiere in dem Gebiet normalerweise leben, lässt sich mit den Fliegen gut überprüfen, ob bestimmte Tierarten noch da sind oder nicht."

    Die Forscher vom RKI wollen die Methode noch weiter verfeinern. Damit sie nicht nur nachweisen können, dass die Fliege zum Beispiel Schimpanse gefressen hat, sondern auch, von wie vielen verschiedenen Schimpansen. Die Fliegen könnten so auch als Frühwarnsystem für Krankheitsausbrüche fungieren.

    "Es ist ganz bekannt, dass immer wenn eine Epidemie von Ebola-Viren unter Menschenaffen ist, dann stecken sich auch die Menschen in den Dörfern an. Weil die Jäger in den Wald gehen, und dort mit den Affen in Kontakt kommen. Aber das wird immer zu spät entdeckt. Und wenn wir jetzt über so ein Fliegensystem sagen könnten: Mensch, jetzt sind auf einmal unheimlich viele tote Gorillas oder Schimpansen in diesem Wald, dann könnte man natürlich rechtzeitig reagieren."