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In der freien Wildbahn angekommen

Umwelt. - Es ist reine Chemie: Steigt der Kohlendioxid-Gehalt in der Luft, dann wird auch mehr davon im Meerwasser gelöst - und das hat Folgen: Das Meerwasser wird saurer. Ein bedenklicher Trend, denn in Experimenten konnte inzwischen vielfach nachgewiesen werden, dass das weitreichende Folgen für die Ökosysteme haben wird. Und nun konnten diese Folgen erstmals sozusagen in freier Wildbahn beobachtet werden.

Von Dagmar Röhrlich | 09.03.2009
    Durch Laborversuche ist längst klar, was passiert, wenn die Meere sauer werden: Jeder, der irgendwie Kalk für seinen Körperbau braucht, bekommt Probleme, erklärt der Meeresgeologe William Howard vom Antarctic Climate and Ecosystems Cooperative Research Center im Hobart:

    "Darunter fallen häufige Lebewesen wie Muscheln oder Austern, aber auch Seeigel oder Seesterne und die Korallen. Dann sind da die vielen Planktonorganismen, von denen viele die Basis der Nahrungskette in den Meeren bilden, etwa Meeresalgen, die winzige Kalkschalen bilden, oder sehr weit verbreitete Mitglieder des tierischen Planktons namens Foraminiferen und viele andere Organismen. Selbst Fische sind betroffen, weil sie für den Aufbau ihrer Gleichgewichtsorgane Kalk einsetzen. Der Grund für diese Probleme ist, dass Kohlendioxid im Wasser eine schwache Säure bildet, die dafür sorgt, dass diesen Organismen weniger Kalk für den Aufbau ihrer Körper zur Verfügung steht."

    In den sehr sauren Ozeanen der Zukunft werden dann viele nicht mehr erwachsen und zeugen keine Nachkommen mehr. Kommt es ganz schlimm, fällt ihre Art komplett aus der Nahrungskette heraus. Dabei hängt einiges von diesen Kalk liebenden Organismen ab. Kein Wunder also, dass Meeresforscher nach Anzeichen suchen, ob die fatale Entwicklung in freier Natur schon eingesetzt hat. Jetzt sind sie vor Tasmanien im südlichen Ozean fündig geworden:

    "Wir haben sowohl geologische Untersuchungen an Meeressedimenten vorgenommen, als auch die Schalen von modernen Meerestieren analysiert. Wir sehen, dass hier die Freisetzung von Kohlendioxid durch den Menschen die Chemie des Meeres bereits so weit verändert hat, dass einige Organismen ihre Schalen nicht mehr so ausbilden können, wie vor Beginn der Industrialisierung. Wir können damit erstmals außerhalb des Labors sicher nachweisen, dass Lebewesen auf die Meeresversauerung reagieren, die vom Einsatz fossiler Brennstoffe angetrieben wird."

    Das Meer vor Tasmanien ist der ideale Ort für diese Beweisführung gewesen - denn dort ist der Ozean sozusagen seiner Zeit voraus:

    "Dieser Meeresbereich nimmt unverhältnismäßig viel menschengemachtes Kohlendioxid auf, weil das Wasser kalt ist und unter anderem starke Winde dafür sorgen, dass sich Atmosphäre und Ozean stark durchmischen. Hier sind die chemischen Veränderungen weiter gediehen als in den meisten anderen Teilen der Weltmeere."

    Die Veränderungen im pH-Wert - also im Säuregrad - sind vor Tasmanien messbar ausgeprägter als anderswo. Das ist der Grund, warum hier schon zu beobachten ist, was beispielsweise im Pazifik noch auf sich warten lassen wird:

    "Die Organismen haben heute um 30 bis 35 Prozent leichtere Schalen als ihre Ahnen vor der Industrialisierung."

    Vor allem das Planktonlebewesen Globigerina bulloides - eine Foraminifere - ist betroffen. Die Bohrkerne, die vor Tasmanien gezogen worden sind, zeigen, dass sie in den vergangenen 50.000 Jahren erheblich dickere Schalen hatten als ihre modernen Vertreter, die den Forschern zwischen 1997 und 2004 in die Falle gingen. Welche Folgen die "Schwindsucht" solcher Lebewesen für die Nahrungskette haben wird, ist derzeit nicht abzusehen. Aber die Ökosysteme werden wohl gründlich durcheinander gewirbelt werden:

    "Normalerweise übernimmt eine andere Gruppe die Rolle eines schwächelnden Organismus‘. Aber wenn die Kalk nutzenden Organismen kränkeln, könnte das gravierende Auswirkungen für die gesamte Nahrungskette in den Meeren haben bis hinauf zu uns Menschen. Denn das alles trifft auch die Fische, die wir verspeisen, seien es nun wilde Fische oder solche, die wir in Fischfarmen züchten."

    Meeresgeologe William Howard warnt: Bei den Wechseln zwischen den Eis- und Kaltzeiten während der vergangenen Jahrmillionen veränderte sich die Meereschemie etwa im gleichen Ausmaß wie heute durch den Menschen. Damals reagierten die Ökosysteme beträchtlich, wie die Bohrkerne vor Tasmanien zeigen. Heute leben wir in einer Warmzeit und der Säuregrad der Meere ist für viele Organismen ohnehin recht hoch. Darauf sattelt der Mensch immer weiter Kohlendioxid auf: Wer Kalk braucht, für den könnte es also kritisch werden.