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Industrie 4.0
"Viele Unternehmen sind völlig überfordert"

Auf der Hannover Messe dreht sich zur Zeit alles um lernende Fabriken und die smarte Produktion. Das größte Problem dabei ist für viele Unternehmen die notwendige Vernetzung. Bisher gibt es noch keine allgemein gültigen Standards für eine abgestimmte Produktion.

Peter Welchering im Gespräch mit Uli Blumenthal | 25.04.2016
    Die Zahlen "4.0" stehen bei der Hannover Messe am Stand der Firma Endress + Hauser Messtechnik.
    Industrie 4.0 ist eines der beherrschenden Themen auf der Hannover Messe 2016. (dpa / picture alliance / Ole Spata)
    Uli Blumenthal: Wie sieht es denn in der Fabrik aus, in der das Auto mit der Lackierstraße darüber diskutiert, ob es rot oder grün lackiert wird?
    Peter Welchering: Anarchisch sieht es dort aus – noch, muss man sagen. Denn in der Industrie-4.0-Fabrik soll das Produkt mit den Maschinen reden, die Maschinen tauschen untereinander Daten aus. Und der Mensch soll das Ganze auch noch von seinem Smartphone oder Tablet aus überwachen. Also die Systeme miteinander kommunizieren, und sie kommunizieren über die Cloud und mit der Cloud. Dabei gibt es gleich mehrere Probleme. Aber am drückendsten ist es bei der dafür notwendigen Vernetzung. Wir haben nämlich noch keine allgemeingültigen Standards für diese abgestimmte Produktion.
    "Standards für die Industrie-4.0-Anwendungen gibt es viele"
    Blumenthal: Nun hat ja Wirtschaftsminister Gabriel anlässlich der Industriemesse in Hannover noch mal die Arbeit der Standardisierungsgremien in Sachen Industrie 4.0 hervorgehoben. Zur Standardisierung gibt es ja auch eigene Veranstaltungen auf der Messe in Hannover. An fehlenden Standards kann es doch nicht liegen, oder?
    Welchering: Standards für die Industrie-4.0-Anwendungen gibt es viele. Dialekte noch viel mehr. Und das ist das Problem. Wir haben es mit einem Riesendurcheinander bei den Standardisierungsorganisationen zu tun. Da gibt es das "Industrial Internet Consortium". Bei denen ist zum Beispiel Chiphersteller Intel Mitglied. In der "Internet of Things Security Foundation", da ist Prozessorhersteller ARM Mitglied. Und diese beiden Standardisierungsgremien etwa geben ganz unterschiedliche Normempfehlungen für Industriesteuerungen heraus. Teilweise widersprechen die sich sogar. Intel will mit dem IIC seinen Hardware-Standard durchsetzen. ARM will mit der "Internet of Things Security Foundation" wiederum die eigenen Standards gegen Intel durchsetzen. Und damit noch nicht genug. Mit der Open Connectivity Foundation gibt es noch eine dritte Standardisierungsorganisation. Und da will etwa Qualcom seine Prozessorstandrads durchsetzen.
    "Insgesamt haben wir eine unbefriedigende Situation"
    Blumenthal: Digitalkommissar Günther Oettinger hat hier ja schon einheitliche europäische Standards für die Fabrik der Zukunft angemahnt. Wie sieht es denn damit aus?
    Welchering: Sowohl die Hardwarestandards für die Industriesteuerungen, als auch Protokolle für den Datenaustausch in der Fabrik 4.0 sind in erster Linie eine Angelegenheit amerikanischer Hersteller. Und mit denen arbeiten südkoreanische Produzenten zusammen und machen ihre Interessen geltend. Die deutsche Verbändeplattform Industrie 4.0 wartet da noch ab. Insgesamt haben wir da eine unbefriedigende Situation: Schon die Entwicklerkarten für die Industriesteuerungen, die hier in Hannover gezeigt werden, weisen ganz unterschiedliche Steckbuchsen auf und müssen mindestens fünf sechs Schnittstellen implementiert haben, damit für die unterschiedlichen Plattformen entwickelt werden kann.
    Bei der sogenannten Machine-to-Machine-Kommunikation sieht es nicht viel besser aus. Da gibt es keine klar definierten Schnittstellen. Aber enorm viele herstellereigene Erweiterungen. Da fordert die EU-Kommission zwar immer lautstark allgemeinverbindliche Standards, nur sie hat weder welche vorgelegt, noch setzt sie welche durch.
    Blumenthal: Nun sieht ja das deutsche Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende solche einheitlichen Standrads zumindest für den europäischen Energieverbund vor. Ist das eine Lösung?
    Welchering: Europaweit ist da ein einheitlicher Befehlssatz für Smart-Meter, also digitale Stromzähler und für die Steuerung der Stromnetze, also die Smart-Grids verabschiedet worden. Der hilft aber nicht viel weiter. Was nämlich von den Herstellern erwartet wurde, das haben weder EU-Gremien noch die Bundesregierung geliefert. Nämlich ein einheitlicher Standard für das smarte Heim. Da ist es ähnlich chaotisch wie bei der Industrie 4.0.
    Gäb es einen effizienten Vernetzungsstandard fürs smarte Heim, würde der für die Kommunikation in der Fabrik übernommen, keine Frage. Aber gegenwärtig haben wir auch im smarten Heim etwa ein Funkthermostat mit eigenem Befehlssatz und Kommunikationsprotokoll, der über ein zentrales Haus-Gateway, wiederum mit einem eigenen Befehlssatz Kommunikationsprotokoll den Heizkessel der Gasheizung mit einem dritten Befehlssatz ansteuern soll.
    Dafür gibt es inzwischen immerhin Übersetzungsstandards, aber keinen wirklich einheitlichen Standard. Und deshalb sind auch so viele Unternehmen, die in dem Bereich entwickeln, völlig überfordert. Denn sie müssen immer drei oder vier Standards im Auge haben. Das verteuert die Entwicklung. Und insbesondere kleinere Firmen sind da schnell auch finanziell überfordert.
    Sich ankündigende Tendenzen
    Blumenthal: Gibt es denn Lösungsansätze auf der weltgrößten Industriemesse in Hannover?
    Welchering: Es gibt – mal vorsichtig ausgedrückt – Tendenzen, die sich ankündigen. Zum einen erklären immer mehr Hersteller, und hier in Hannover eben auch Aussteller, dass sie der Meinung sind, dass letztlich die Open Connectivity Foundation einheitliche Standards definieren kann, weil hier auch Konkurrenten Mitglied sind. Zum zweiten gibt es eine Art Übergangslösung. Die besteht in Gateways, die etwa Feldbussignale so übersetzen, dass Webservices die verstehen und umgekehrt. Und es gibt Entwicklungskits mit Steuerungskarten, die nicht nur 5-6 Schnittstellen aufweisen, sondern auch gleich drei bis vier Protokolle implementiert haben. Das hat den Vorteil: Man kann einmal entwickeln, alles andere an Übersetzungsarbeiten übernimmt dann die Karte. Aber das ist eben auch nur eine Übergangslösung. Immerhin meinen die meisten Aussteller, die ich heute dazu gesprochen habe, dass wir noch zu lange diese Übergangslösungen brauchen werden.