Dienstag, 23. April 2024

Inklusion und Politik
"Wenn ich ein Wahlprogramm lesen soll, bin ich überfordert"

Ob in der Schule, auf dem Arbeitsmarkt oder im demokratischen Prozess: Deutschland hat bei der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen erheblichen Nachholbedarf. Das wurde in der ersten Diskussionsrunde "Inklusion und Politik" des DLF-Symposiums deutlich.

Von Fabian Wahl | 03.12.2015
Die Teilnehmer des ersten Panels zur Inklusion und Politik: Horst Frehe, Joachim Busch, Christina Marx, Thomas Krüger (von links nach rechts).
Die Teilnehmer des ersten Panels zur Inklusion und Politik: Horst Frehe, Joachim Busch, Christina Marx, Thomas Krüger. (DLF/Sturmberg)
Horst Frehe ist hochqualifiziert. Er hat mehrere Studien absolviert, darunter Volkswirtschaftslehre, Politikwissenschaften und Soziologie. Die Bundesagentur für Arbeit bot ihm dennoch einen Job als Pförtner in einem Stahlwerk an, weil er im Rollstuhl sitzt. "Die Bundesagentur für Arbeit war nicht in der Lage, mir ein Angebot zu machen", berichtete Frehe, ehemaliger Abgeordneter in der Bremer Bürgerschaft, auf dem DLF-Symposium "Wunsch oder Wirklichkeit? Inklusion in Politik, Medien und Gesellschaft".
Frehe kritisierte, dass Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt in vielerlei Hinsicht benachteiligt werden. Neben schlechteren Jobperspektiven nannte er die Bezahlung. "Man kann darüber nachdenken, dass Menschen mit Behinderungen in Behindertenwerkstätten auch den Mindestlohn erhalten", sagte er.
Komplizierte Wahlprogramme
Joachim Busch, Bundesvorstand der Bundesvereinigung Lebenshilfe, machte auf Barrieren bei der politischen Beteiligung aufmerksam. "Wenn ich ein Wahlprogramm lesen soll, bin ich überfordert", sagte Busch, der Lernschwierigkeiten hat. Für viele sei die Auseinandersetzung mit politischen Programmen mit Schwierigkeiten verbunden. "Was zu hoch gegriffen ist, legt man weg oder tut es in den Papiercontainer. Das kann auch die Politik nicht wollen."
Joachim Busch, Vorstand Bundesvereinigung Lebenshilfe.
Joachim Busch, Vorstand Bundesvereinigung Lebenshilfe. (DLF/Sturmberg)
Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, erklärte, Demokratie funktioniere nur , wenn man an ihr teilhabe, mitbestimmen und wählen könne. Er sprach sich ebenfalls für Reformen auf dem Arbeitsmarkt aus. Zudem verlangte er mehr Inklusion in Schulen. Zwar gebe es inzwischen mehr Sensibilität für das Thema Inklusion. Zugleich betonte er aber: "Wir müssen jedem Zugang ermöglichen." Busch warb dafür, Schülern mit Behinderung individueller zu unterstützen. "Man muss sehen, wo jeder Verstärkung braucht." Die Schule müsse erkennen, was der jeweilige Schüler für Chancen habe.
Das Thema Inklusion bietet auch beim DLF-Symposium viel Diskussionsbedarf.
Das Thema Inklusion bietet auch beim DLF-Symposium viel Diskussionsbedarf. (DLF/Sturmberg)
"Arbeitgeber haben ein unklares Bild" Die Leiterin Aufklärung bei der Aktion Mensch, Christina Marx, zeichnete ein differenziertes Bild. Auf dem Arbeitsmarkt tue sich langsam etwas. Es seien mittlerweile mehr Menschen mit Behinderung in Beschäftigung, auch auf dem ersten Arbeitsmarkt, als noch vor Jahren. Dennoch seien Menschen mit Behinderung leider noch viel häufiger arbeitslos als Menschen ohne Behinderung. "Die Arbeitgeber haben ein unklares Bild. Sie denken meistens an Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung." Bei Arbeitgebern aber auch bei Bewerbern gebe es eine hohe Hürde im Kopf. Beide Seiten sollten mutiger sein. (fwa/bw)