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Intoleranz als notwendiges Werk der Liebe

Der Glaube an den einen Gott beschäftigt die Menschen seit mehr als 2000 Jahren. Er hat Gemeinschaften und Gesellschaften geistig begründet. Andererseits hat er auch zu Religionskriegen und Verfolgungen geführt, die bis in die Gegenwart reichen.

Von Christian Forberg | 25.07.2013
    Auf einer internationalen Tagung im thüringischen Gotha, genauer: im Forschungszentrum für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt wurde ein gut hundert Jahre währender Zeitraum aus der Frühen Neuzeit ausgewählt, der bislang noch wenig Beachtung fand.

    Wo liegen die Wurzeln von Toleranz und Religionsfreiheit? In der Frühen Neuzeit, der Reformation? Sie brachte neue Sichten auf Gott und die Welt, aber alsbald auch eine neue Orthodoxie, die mit "Ketzern" nicht viel anders umging, als der bekämpfte Katholizismus.

    "Ist es so, dass aus dem Schoße des Christentums selbst diese Impulse gekommen sind?","

    fragt Professor Winfried Schröder, Geschichts- und Religionsphilosoph an der Uni Marburg, einer der Organisatoren der Tagung:

    ""In den christlichen Randgruppen zum Beispiel. Oder bei christlichen Philosophen? Oder ist die Religionsfreiheit doch letztlich erkämpft worden gegen das Christentum?"

    Als zeitliche Begrenzung setzten die Veranstalter das Jahrhundert zwischen 1580 und 1680, zwischen der Etablierung des Calvinismus und dem Beginn der Frühaufklärung, so Dr. Sascha Salatowsky von der Forschungsbibliothek Gotha:

    "Das heißt, wir haben ganz bewusst den Schwerpunkt gelegt auf das konfessionelle Zeitalter, wo sich ganz bestimmt Theorien herausgebildet haben, die auch eine Relevanz für die Frühaufklärung hatten."

    Neben dem toleranteren Holland und zeitweise auch Dänemark bildete damals die Rzeczpospolita, die Adelsrepublik Polen-Litauen einen Platz, wo verschiedene Religionen friedlich miteinander auskamen. Voraussetzung sei ein 1573 in Warschau unterzeichneter Vertrag gewesen, der den Adligen zwischen Ostsee und Schwarzem Meer die Glaubensfreiheit garantiert habe, sagt Dr. Lukasz Bieniasz von der Uni Wroclaw:

    "Mehr oder weniger hat das funktioniert, obwohl [es] vonseiten der Gegenreformation bereits in den [15]80er-Jahren die Versuche gab, gegen die Dissidenten zu kämpfen. Das waren vor allem Jesuiten. Die waren wirklich engagiert, die Positionen der Dissidenten zu schwächen. Wenn man Dissidenten gesagt hat, dann hat man [darunter] sowohl Katholiken als auch Protestanten verstanden, also die Menschen, die sich im Glauben unterscheiden. Und dann hat sich bis 1658 die Bedeutung geändert: Das waren die Ausgeschlossenen aus dem wahren Glauben."

    Und das war der katholische Glaube. Dieses Changieren zwischen Toleranz und Orthodoxie spiegelte auch das Motto der Gothaer Tagung wider: "Duldung religiöser Vielfalt - Sorge um die wahre Religion" lautete es. Beide Seiten sollten zu Wort kommen, sagt Sascha Salatowsky:

    "Also uns war nicht daran gelegen, sozusagen ein Bashing der Konfessionen zu betreiben und zu behaupten, wir wüssten schon immer alles besser, und wir wüssten auch, wie es endet mit der Toleranzfrage. Sondern es ging uns auch zu zeigen unter dem Stichwort 'cura religionis', Sorge um die Religion, dass es auch gute Argumente für Intoleranz geben kann","

    die aus den monotheistischen Religionen selbst stammen. Auf diesen alttestamentarischen Ursprung ging Jan Assmann, emeritierter Professor aus Konstanz, ein. Der namhafte Ägyptologe, Religions- und Kulturwissenschaftler hielt den gut besuchten öffentlichen Vortrag:

    ""Es ist das Motiv der Treue auf der einen Seite: Wir müssen einem treu sein; es gibt die anderen Götter, die wollen uns verführen. Und wir müssen diesem einen Gott, der uns gerettet hat, der uns aus Ägypten befreit hat, dem müssen wir treu sein. Das ist das eine Motiv. Und das andere Motiv ist das der Offenbarung. Also Gott ist eben nicht verborgen, er hat sich uns offenbart. Damit ist die Wahrheit klar geworden, an der wir festhalten müssen."

    Und zwar mit allen, auch brutalen Mitteln - gegen sogenannte Abweichler in den eigenen Reihen und erst recht gegen die anderen Religionen, die ebenso meinen, dem einen Gott zu dienen und damit exklusiv die Wahrheit zu besitzen. Winfried Schröder rekonstruiert die Denkweise, die Intoleranz als notwendiges Werk der Liebe charakterisiert:

    "So wie wir die alte, verwirrte Dame mit Gewalt davon abhalten, über die Autobahn zu gehen, so sind wir verpflichtet, den Irrenden vor der ewigen Verdammnis zu bewahren. Da müssen wir Bücher verbrennen, da müssen wir Irrlehrer gegebenenfalls auf den Scheiterhaufen schicken. All dies ist, wie Augustinus sagte, dessen Wort viel zitiert wurde, ein Werk im Dienste der Liebe."

    Doch gerade im späten 16. und 17. Jahrhundert vermehrten sich die Stimmen, denen es gleich war, von welcher Position aus der Mensch zu Gott findet. Hauptsache, er sucht ihn noch und lässt sich nicht durch all die Scheiterhaufen abbringen, überhaupt an ihn zu glauben. Was ja - Gott bewahre! - Atheismus wäre. Vor diesem Schreckgespenst warnte zum Beispiel Johann Crell, ein Sozinianer, so benannt nach ihren italienischen "Vätern" Sozzini. Sascha Salatowsky:

    "Das Charakteristische der Sozinianer ist ihre strenge Dogmenkritik, die letztendlich auf eine fundamentale Neubeschreibung des Christentums hinauslief. Also: Ablehnung der Trinitätslehre, Ablehnung der Zwei-Naturen-Lehre Christi, Ablehnung des Dogmas von der Erbsünde - all das sind etablierte Dogmen, auf denen das etablierte Christentum ruht. Insofern haben es die anderen Konfessionen als einen Fundamentalangriff verstanden."

    Zumal jüdische und islamische Religion all das auch ablehnten. Mit dem Ende der polnischen Toleranz Mitte des 17. Jahrhunderts mussten die Sozinianer auswandern. Sie wirkten danach in jenen Gegenden, in denen tolerantere Verhältnisse herrschten, zum Beispiel in Mannheim. Dort im Stadtarchiv arbeitet Dr. Harald Stockert, der das Mannheim der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als "ein öffentliches Asyl für alle Völker und Nationen" vorstellte. So beschrieben es euphorisch Außenstehende. Er selbst nennt es abgemildert "vergleichsweise tolerant":

    "Wir haben ganz klar die Dominanz der Calvinisten. Die werden in den Stadtprivilegien bevorzugt und als Einzige genannt. Andere Konfessionen sind geduldet. Katholiken, Lutheraner, aber auch Sekten wie Sozinianer und Täufer. Bemerkenswert ist, dass auch eine größere jüdische Gemeinde da ist, und die hat sinnigerweise mehr Rechte als die Lutheraner und die Katholiken."

    Auslöser war die Toleranzpolitik des pfälzischen Kurfürsten Karl I. Ludwig, der lange Jahre im holländischen Exil verbracht hatte und dort erlebte, wie und mit wem man einen erfolgreichen "Wirtschaftsstandort" aufbauen kann. Allerdings endete das außergewöhnliche "Mannheimer Experiment", nachdem Ludwig XIV. im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1688/89 Mannheim zerstört hatte. Wenige Jahre zuvor hatte er das "Edikt von Nantes" aus dem Jahre 1598 aufgehoben.

    Im Gegensatz zur französischen Forschung werde dieser Vertrag zwischen Katholiken und Hugenotten zu toleranzfreundlich ausgelegt, legte Dr. Mona Garloff von der Uni Stuttgart dar:

    "Es geht eigentlich nicht um Toleranz, sondern um die Wiedervereinigung der Konfessionen. Toleranz ist die pragmatische Übergangslösung, aber langfristig soll es nur eine Kirche in Frankreich geben."

    Und zwar die katholische. Die reformierten Hugenotten mussten das Weite suchen und fanden tolerantere Verhältnisse in der Schweiz, den Niederlanden und Brandenburg. Vernunft, wie sie später Lessing in seinem "Nathan der Weise" als Basis jeglicher Religion niederschrieb, zog nur langsam ein, was auch Gegenstand der Tagung war. Sie setzte sich dort zuerst durch, wo wirtschaftliche Interessen über das Gift eines religiösen Fanatismus siegten.