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Inventur der Ozeane

Meeresbiologie. - Winzige Algen, Bakterien und andere Einzeller in den Weltmeeren bilden die Basis der dortigen Nahrungspyramide und tragen im Fall der Algen auch dazu bei, dass im Wasser und in unsere Atmosphäre genügend Sauerstoff zum leben ist. Doch unser Wissen über das Plankton ist begrenzt. Eine zweieinhalbjährige Expedition des Segelschiffs "Tara" sollte das ändern. Auf dem derzeitigen Treffen der europäischen Wissenschaftler ESOF in Dublin stellten Wissenschaftler die ersten Ergebnisse vor.

Von Jochen Steiner | 13.07.2012
    Es ist kein gewöhnliches Segelboot, das am East Dock im Hafen von Dublin festgemacht hat. Die "Tara" ist ein Forschungsschiff mit einem besonderen Rumpf:

    "Er wurde so gebaut, dass das Schiff vom Meereis nicht zerdrückt werden kann. Der Rumpf ist aus 26 Millimeter dickem Aluminium gefertigt, das ist für ein Boot schon etwas Besonderes","

    sagt Loic Vallette, Kapitän der "Tara". Er steht am Steuerrad, umringt von allerhand Monitoren und Knöpfen. Bei einer früheren Expedition konnte das Boot so vom driftenden arktischen Meereis eingeschlossen und unbeschadet mitgenommen werden. Bei der nun Ende März abgeschlossenen Weltreise war das Eis kein Problem – das Schiff segelte zweieinhalb Jahre lang über die eisfreien Regionen der Ozeane. Vallette:

    ""Die Reiseroute wurde aufgrund der vorherrschenden Windrichtungen geplant. Das hat sehr gut funktioniert! Wir sind manchmal drei oder vier Wochen lang nur gesegelt und mussten gar nicht oder nur selten die Motoren anschalten."

    60.000 Meilen hat die 15-köpfige Crew aus Forschern und Besatzungsmitgliedern zurückgelegt. An über 150 Stellen nahmen die Wissenschaftler Wasserproben, aus unterschiedlichen Ökosystemen und aus unterschiedlichen Tiefen, um mehr über das Plankton herauszufinden.

    "Das Plankton ist sehr wichtig für uns, weil es die Luft produziert, die wir atmen – diese Organismen setzen Sauerstoff frei. Ohne das Plankton würde es uns gar nicht geben, weil in der Luft zu wenig Sauerstoff wäre, um an Land überleben zu können","

    erklärt Dr. Eric Karsenti vom European Molecular Biology Laboratory in Heidelberg und einer der Chef-Wissenschaftler von "Tara Oceans". Plankton, das sind winzige Lebewesen, deren Schwimmrichtungen von den Meeresströmungen vorgegeben werden: verschiedene Bakterien, Algen, Pfeilwürmer, Fischlarven, Krill, und viele mehr. Karsenti:

    ""Eine der wichtigen Fragen ist: Wie groß ist die Biodiversität des Planktons? Das wissen wir noch nicht. Es gab auch schon zuvor Untersuchungen dazu, aber es wurden nicht alle Organismen systematisch erfasst. Bei unserem Projekt erfassen wir von den kleinsten Bakterien bis hin zum Zooplankton, den kleinsten Tieren, die mit einigen Millimetern schon recht groß ist, alles. Und wir bestimmen die Arten mit Hilfe von optischen und genetischen Methoden."

    Im vorderen Teil der 36 Meter langen "Tara" steht Dr. Emmanuel Reynaud vom University College Dublin. Er ist für die optischen Geräte an Board verantwortlich, zu denen auch eine Kamera mit besonderen Eigenschaften zählt:

    "Im Grund genommen ist es eine kleine Kammer, durch die Meerwasser fließt und jedes Mal, wenn ein Partikel durchschwimmt macht sie ein Foto. So kamen wir schnell auf 10.000 bis 15.000 Aufnahmen von lebenden Tieren."

    Einen Teil der riesigen Datenmengen wertet die Kamera selbständig aus und weist dem Plankton den richtigen Artnamen zu. Aber da den Forschern auch viele neue Arten ins Netz gingen sind der optischen Technik Grenzen gesetzt. Dann helfen genetische Analysen weiter. Noch stehen die Wissenschaftler erst am Anfang der Datenauswertung. Doch eine Zahl verrät Eric Karsenti bereits:

    "Wir gehen davon aus, dass es allein von den Eukaryonten, deren Zellen den unseren ganz ähnlich sind, 1,5 Millionen Arten gibt. Das wussten wir vorher noch nicht!"

    In den nächsten Jahren wollen die Wissenschaftler außerdem herausfinden, wie sensibel die unterschiedlichen Plankton-Arten mit sich ändernden Umweltbedingungen zu Recht kommen, zum Beispiel was die Wassertemperatur oder die Verfügbarkeit der Nährstoffe angeht. Durch den Klimawandel könnte es am Beginn der Nahrungskette im Meer zu großen Veränderungen kommen. Manche Plankton-Arten könnten sich vermutlich schnell anpassen, wohl aber nicht alle, vermuten die Forscher. Ob diese dann immer noch eine wichtige Aufgabe uneingeschränkt erfüllen können, nämlich große Mengen an Kohlendioxid aus dem Wasser und der Atmosphäre aufzunehmen, bleibe abzuwarten, so der Zellbiologe Karsenti, der vor einigen Jahren von Ozeanen noch recht wenig wusste. Das hat sich nach dieser Expedition jedoch geändert:

    "Jetzt habe ich den Aufbau der Ozeane wirklich verstanden! Als Wissenschaftler war das schon sehr, sehr aufregend!"