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Mini-U-Boot im Blutkreislauf
Roboter soll Aneurysmen behandeln

Im Science-Fiction-Klassiker "Die phantastische Reise" aus dem Jahr 1966 wird ein U-Boot so verkleinert, dass es in den Adern eines Menschen Blutgerinnsel beseitigen kann. Forscher aus Lübeck kommen dieser Vision jetzt näher: Sie steuern einen winzigen Roboter durchs Modell einer Hirnarterie.

Von Frank Grotelüschen | 01.11.2021
Illustration eines Blutgerinnsels
Illustration eines Blutgerinnsels, das lebenswichtige Gefäße verstopfen kann. (Imago)
Anna Bakenecker hält ein kleines Plastikröhrchen gegen das Licht. Am Boden des Röhrchens: ein dunkler Krümel. "Das ist ein kleiner miniaturisierter Schwimmer, kleiner als ein Reiskorn - 1.2 Millimeter im Durchmesser, 3 Millimeter lang." Dann zeigt die Forscherin an der Uni Lübeck, wie der winzige Schwimmer unterm Mikroskop aussieht: wie ein kurzes Stück einer Spiralnudel. Produziert wurde er per 3D-Drucker, erläutert Anna Bakenecker: "Diese Form haben wir dann magnetisch beschichtet, mit magnetischen Nanopartikeln. Wenn wir jetzt von außen Magnetfelder anlegen, können wir diesen Roboter durch den Körper, durch Blutgefäße steuern. So die Idee."

Magnetfelder bugsieren den Roboter durch Blutgefäße

Ein klitzekleiner Roboter, der von einem Magnetfeld ins Rotieren gebracht wird und sich durch das Blut in der Ader vorwärts schraubt – so die Vision des Lübecker Forschungsteams. Anders als bei früheren Ansätzen braucht dieser Roboter weder Motor noch Steuerung, sondern wird allein durch ein äußeres Magnetfeld angetrieben und gelenkt – was die Technik deutlich vereinfacht.
Basis ist, neben dem 3D-gedruckten Schwimmer, ein neuartiges Bildgebungsverfahren namens Magnetic Particle Imaging. Dabei werden Nanopartikel in den Körper injiziert und durch starke Magnetfelder sichtbar gemacht. "Das sind Eisenoxid-Nanopartikel, die magnetische Eigenschaften haben", erklärt Thorsten Buzug, Direktor an der Fraunhofer-Einrichtung für individualisierte und zellbasierte Medizintechnik (IMTE) in Lübeck. "Darauf aufbauend haben wir jetzt die Möglichkeit, mit denselben Magnetfeldern, die für die Sichtbarmachung von Nanopartikeln sorgen, auch für den Antrieb von kleinen Schwimmern zu sorgen."
Ein Mitarbeiter des Pharmakonzerns Johnson & Johnson zeigt einen Biochip, der zum Einsatz in der Organ-On-Chips-Technologie entwickelt wurde | Johnson & Johnson via AP
Gewebe auf dem Biochip | Forscherteam züchtet erstmals intakte Blutgefäße Die Organ-on-a-Chip-Technologie gilt als eine der wichtigsten Zukunftstechnologien in der Medizin. Das Verfahren soll Vorteile gegenüber der konventionellen Wirkstoffforschung und klinischen Studien bieten.
Der entsprechende Scanner sieht aus wie ein Magnetresonanztomograph, nur ist die Röhre viel kleiner: Es passt kein Mensch rein, sondern nur eine Maus. Das Gerät kann Magnetfelder erzeugen, die den Schwimmroboter sowohl vorwärtstreiben als auch im Körper sichtbar machen – die Voraussetzung für einen Einsatz in der Medizin. Vor einiger Zeit wagte das Lübecker Team einen ersten Test – allerdings nicht im Tierversuch und schon gar nicht am Menschen, sondern mit einem Modell aus Kunststoff. Es ist groß wie ein Radiergummi und durchsichtig. Im Inneren ist ein rotes Äderchen zu erkennen mit einer deutlich sichtbaren Ausstülpung.

Erste Probefahrt im Modell einer Hirnarterie

"Diese Modelle sind Gefäß-Phantome, die 1:1 eine Hirnarterie abbilden, die mittlere Hirnarterie der rechten Seite von einer echten Patientin", sagt Hannes Schwenke, Oberarzt am Institut für Neuroradiologie in Lübeck. "Man sieht zum einen, dass diese Arterie einen sehr geschwungenen Verlauf hat. Und dann diese kleine Blase, also diese Aussackung, die das Aneurysma darstellt."
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Mit diesem Modell einer Hirnarterie testeten die Fraunhofer-Forscher, wie sich ihr magnetischer Mikro-Roboter durch Adern bugsieren lässt. (Fraunhofer IMTE)
An diesem Gefäß-Modell hat die Arbeitsgruppe den Mini-Roboter getestet. Anna Bakenecker präsentiert das Ergebnis: Ein Video, das den Winzling auf seinem Weg durch das gewundene Äderchen zeigt. "Eine kleine Ameise, die da durchläuft. Man sieht, wie sich dieser kleine Schwimmer da so ein bisschen durchschraubt und durch die Arterie gesteuert wird." Keine zehn Sekunden dauert die Reise des Roboters zu seinem Ziel, dem Aneurysma. "Das war in Echtzeit", sagt Bakenecker: "In der Geschwindigkeit läuft der kleine Schwimmer durch das Gefäß."

Neues Werkzeug zur Behandlung von Aneurysmen

Für die Medizin verspricht das neue Behandlungsmöglichkeiten: Bislang werden Aneurysmen therapiert, indem man einen Katheter in die Hirnvenen einführt. Mit einem magnetgesteuerten Miniroboter – so die Hoffnung – könnte das schonender passieren. Außerdem könnten sich Ausstülpungen behandeln lassen, die sich heute per Katheter gar nicht erreichen lassen. "Wenn wir jetzt an Aussackungen und Aneurysmen von Hirnarterien denken, die viel weiter in der Peripherie liegen, da kommt man dann nur noch sehr schwer hin", erläutert Hannes Schwenke. "Und das wäre dann mit so einer Methode natürlich ganz großartig."

Wilder Ritt im Blutfluss

Eine weitere Perspektive: Der Roboter ließe sich ins Zentrum eines Tumors leiten, um dort ein Medikament freizusetzen – was eine Chemotherapie effektiver und schonender machen könnte. Doch bevor daran zu denken ist, gibt es noch manche Forschungshürde zu nehmen, "Es sind natürlich jetzt Experimente mit verschiedenen Blutfluss-Situationen durchzuführen", sagt Thorsten Buzug. "Da kann es schon ziemlich turbulent zugehen, je nachdem in welcher Körperregion man ist. Das Steuern solcher kleinen Devices wird dann sehr, sehr schwierig. Das müssen wir noch in den Griff bekommen."
Außerdem wollen die Fachleute ihren Miniroboter weiter verkleinern – vom Millimeter- in den Mikrometermaßstab. Und sollten diese Weitentwicklungen gelingen, scheint das wohl wichtigste Ziel in Reichweite: ein erster Test in den Blutgefäßen eines Menschen.