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Isabel Allende: „Was wir Frauen wollen“
Anekdoten mit Aufruf zum Sturz des Patriarchats

Was wollen Frauen? Keine Opfer mehr sein, sagt Isabel Allende. Die chilenisch-US-amerikanische Bestsellerautorin hat mit ihrem neuen Buch eine Mischung aus anekdotischen Erinnerungen und feministischer Kampfansage geschrieben.

Von Tobias Wenzel | 08.03.2021
Ein Portrait der Schriftstellerin Isabel Allende und das Cover ihres Buches "Was wir Frauen wollen"
Die Schriftstellerin Isabel Allende und ihr Buch "Was wir Frauen wollen" (Buchcover Suhrkamp Verlag / Autorenportrait © Lori Barra)
"Ich habe immer als Feministin gearbeitet und gelebt."
Schon als Mädchen, schreibt Isabel Allende zu Beginn ihres neuen Buchs, habe sie gespürt, dass sie und vor allem ihre Mutter im Chile der 40er gegenüber Männern benachteiligt gewesen seien. Ihre Mutter war mit drei kleinen Kindern von ihrem Ehemann sitzen gelassen worden und musste, mittellos und ohne Berufsausbildung, in ihr Elternhaus in Santiago de Chile zurückkehren. Ihr Talent für die Malerei lebte die Mutter nicht aus, kopierte nur die Bilder anderer Maler, aus Angst, sich als Frau mit künstlerischem Anspruch lächerlich zu machen.
Erst versuchte auch noch die Tochter Isabel, sich den Konventionen anzupassen. Sie heiratete mit zwanzig:
"Miguel und ich hatten zwei Kinder [...]. Ich bemühte mich ernsthaft, meiner Rolle als Ehefrau und Mutter gerecht zu werden. Ich wollte mir nicht eingestehen, dass ich umkam vor Langeweile, mein Hirn wurde mehr und mehr zu Nudelsuppe."
Schriftstellerin Isabel Allende - "Ich bin froh über die Welle junger Feministinnen"
Ihre Mutter hat einmal über Isabel Allende gesagt, dass diese schon mit fünf Jahren Feministin gewesen sei. Das Thema begleitet die Autorin also fast ihr ganzes Leben lang.
Alles änderte sich, als Isabel Allende 1967 mit drei anderen Frauen die feministische Zeitschrift "Paula" leitete. Sie schrieben über Tabuthemen im damaligen Chile: über Gewalt gegen Frauen, Abtreibung, Untreue und Scheidung. Für Allende bedeutete die Arbeit an der Zeitschrift die große Befreiung als Frau.
"Was wir Frauen wollen", tadellos von Svenja Becker ins Deutsche übertragen, ist eine Mischung aus Erinnerungsbuch im Plauderton und feministischer Kampfansage.

Eine Nacht mit Antonio Banderas

Das Buch liest sich leicht. Einerseits, weil jedes Kapitel in der Regel nur zwei bis drei Seiten kurz ist, andererseits, weil Allende zu einem Großteil anekdotisch und oft sehr humorvoll über ihr Leben als Frau schreibt: dass sie früher jahrelang davon geträumt hat, eine Nacht mit Antonio Banderas zu verbringen. Wie eine Brieffreundschaft mit einem Leser, ihrem heutigen dritten Ehemann, entstand, und sie seine Angaben durch ihre Assistentin checken ließ, aus Angst, er könne gemeingefährlich sein.
Immer wieder kippt diese amüsante Unterhaltungsliteratur in das Schreiben einer engagierten Feministin. Allende, die eine eigene feministische Stiftung gegründet hat, ruft junge Frauen zum Kampf für Gleichberechtigung auf. Und sie nennt verstörende Zahlen: Statistisch werde in ihrer Wahlheimat USA alle sechs Minuten eine Frau vergewaltigt und alle neunzig Sekunden eine geschlagen.
"Über neunzig Prozent der Gewalt in der Welt wird von Männern begangen. Bei der Erstürmung des Kapitols waren auch Frauen dabei. Aber die absolute Mehrheit waren Männer. Und viele von ihnen bewaffnet und gewalttätig."
Manchmal erliegt Allende allerdings leider klischeehaften Vereinfachungen. Etwa, wenn sie schreibt, die ganze Welt habe sich dazu verschworen, Frauen einzuschüchtern. Auch neigt sie hier und da zu Kitsch: Das Patriarchat sei aus Stein, der Feminismus sei dagegen "ein bewegter Ozean, mächtig, tief und so unendlich vielschichtig wie das Leben selbst".

Mit dem Flugzeug in den selbstbestimmten Tod

Insgesamt liest man "Was wir Frauen wollen" aber gewinnbringend und gern. Auch, weil Allende das Kunststück gelingt, sich sogar bei Themen wie dem selbstbestimmten Sterben eine gewisse Grundheiterkeit zu bewahren:
"Ein Freund, der etwas älter ist als ich, ein reizender Mensch, und ich, wir haben immer gesagt: Wir wollen keine abhängigen Alten werden. Bevor unsere Körper uns nicht mehr gehorchen, bevor wir dement werden, begehen wir Selbstmord. Mein Freund war Pilot und hatte ein Flugzeug. Unser Plan war, mit seinem Flugzeug über dem Pazifik zu fliegen, bis uns der Treibstoff ausgeht und keine Rückkehr mehr möglich ist. Das wäre ein romantisches Ende geworden. Aber als er über achtzig war, haben sie ihm die Fluglizenz entzogen. Da musste er sein Flugzeug verkaufen. Unser Plan ging also nicht auf."
En passant, aber umso beeindruckender, zeichnet Isabel Allende ihren Weg als Feministin nach. Einige der Schlüsselmomente ihres Lebens sind erschütternd. Nach dem Tod ihrer Tochter Paula 1992 reiste Allende nach Indien, wo ihr eine Frau ihr Neugeborenes schenken wollte, weil es kein Junge, sondern "nur" ein Mädchen war. In Chile half Allende einer Freundin, unter desaströsen hygienischen Bedingungen eine damals verbotene Abtreibung durchzuführen und übernahm dabei spontan die Rolle der Anästhesistin:
"Meine Hände zitterten so sehr, ich weiß überhaupt nicht, wie ich das mit der Spritze hinbekam. Als es vorbei war, entschuldigte ich mich, ging ins Bad und übergab mich."
"Was wir Frauen wollen" ist, eingebettet in Episoden aus dem Leben der Autorin, ein leidenschaftliches Plädoyer für die Gleichberechtigung der Frau und eine Kampfansage an den Status Quo der Welt:
"Ich will das Patriarchat stürzen."
Isabel Allende: "Was wir Frauen wollen",
Aus dem Spanischen von Svenja Becker,
Suhrkamp Verlag, 186 Seiten, 18 Euro.