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Isenschmid: Ich habe Vertrauen in die Unabhängigkeit von Schmidts Urteil

Keines der zu beurteilenden Bücher sei von der Deutschen-Buchpreis-Jurorin Christina Schmidt lektoriert worden, sagt Andreas Isenschmid über die Kritik an ihrer Doppelfunktion. Man könne seine "Duzfreundschaften" mit einigen Verlegern dann als ebenso hemmend empfinden, erklärt der Juryvorsitzende weiter.

Andreas Isenschmid im Gespräch mit Christoph Schmitz | 27.06.2012
    Christoph Schmitz: Am Anfang aber zum Buch. Allein der Name signalisiert Bedeutsamkeit - Der Deutsche Buchpreis. Für den besten deutschsprachige Roman eines Jahres. Datum und Ort der Preisverleihung signalisieren Renommee: zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse im Oktober. Der Name des Verleihers signalisiert Seriosität. Der Deutsche Buchpreis steht "für eine garantiert unabhängige und kompetente Preisträgerermittlung", sagt der Börsenverein. Nun ist es bald wieder so weit, die siebenköpfige Jury wird zuerst eine Longlist, dann eine Shortlist erstellen, um daraus den Sieger zu küren. Unter den Verlagen, die ihre Romane beim Preis eingereicht haben, gehört auch der C.H.Beck-Verlag in München. Mit seinem Erfolgsautor Norbert Scheuer und dessen neuem Roman "Peehs Liebe" darf sich C.H.Beck einige Chancen für 2012 erhoffen. Allerdings: In der Jury wird dann eine Jurorin mitzuentscheiden haben, die selbst für den C.H.Beck-Verlag arbeitet. Sie heißt Christina Schmidt, ist offiziell freie Lektorin, verfügt aber über ein Büro im C.H.Beck-Verlag. Dort ist sie für deutsche Literatur zuständig, halbtags, wie es heißt. - Ist die vom Börsenverein garantierte Unabhängigkeit bei der Preisermittlung dann überhaupt noch gewährleistet? Das habe ich den Sprecher der Jury gefragt, den Literaturkritiker Andreas Isenschmid.

    Andreas Isenschmid: Wir haben in der Jury ausführlich darüber diskutiert, nachdem bekannt geworden ist, dass Frau Schmidt ihr Engagement für den einen der paar Verlage, für die sie arbeitet, vergrößert hat, und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir kein Problem sehen. Das Hauptargument war, dass keines der Bücher, über die wir zu urteilen haben, irgendwie, irgendwann von Frau Schmidt lektoriert worden ist, und im Übrigen sind wir der Ansicht, dass sie genauso wie wir alle imstande ist, ein sozusagen literatur-ästhetisch-kritisch-qualifiziertes Urteil abzugeben und dabei allfällige Bindungen auszublenden. Wir haben sie sogar ganz bewusst gebeten, dass sie bei Büchern des Beck-Verlages, falls solche im Rennen sein sollten, nicht in den Ausstand tritt, weil dann käme tatsächlich das Problem auf, dass ein Autor, nur weil er bei Beck ist und eine Jurorin ein bisschen bei Beck ist, eine Stimme verliert. Das soll nicht der Fall sein, sie soll auch bei Beck-Büchern offen sagen, was sie literaturkritisch denkt.

    Schmitz: Aber nehmen wir an, der C.H.Beck-Autor Norbert Scheuer beispielsweise käme mit seinem Roman "Peehs Liebe" auf die Shortlist, oder gewönne den Preis, dann würde es doch immer heißen, kein Wunder, die Jurorin Christina Schmidt arbeitet ja auch für denselben Verlag - würde es in der Öffentlichkeit heißen, unter Kritikern, die Frau Schmidt kennen, vielleicht nicht. Und selbst wenn "Peehs Liebe" nicht gekürt würde, sondern am Schluss dann nicht weiter in Erwägung gezogen würde für den Preis, könnte es heißen, kein Wunder, das ist zwar ein toller Roman, vielleicht sogar der beste, aber wegen Schmidts Verbindung zu C.H.Beck konnte man ihm den Preis einfach nicht geben. Das heißt, diese Zwickmühle bleibt doch?

    Isenschmid: Das kann es möglicherweise heißen, aber erstens ist ja Frau Schmidt nicht alleine mit ihrem Urteil, sondern es sind ein paar Leute, die sie überzeugen muss, bevor es so weit ist, und zweitens könnte es in dem Fall, den Sie gerade konstruieren, ja auch heißen, ja kein Wunder, der Juror X ist ja mit Scheuer oder einem anderen per du, oder der Juror X hat ein Buch publiziert im Verlag des Buches, das gerade den Preis bekommen hat. Es gibt immer im Literaturbetrieb, der ein kleiner Betrieb ist, einen hohen Grat an Vernetzung, und ich glaube, wenn man nicht ein vollkommen pessimistisches Menschenbild hat, muss man davon ausgehen, dass Berufsleute abstrahieren können von den Paarbindungen, in denen sie drin sind. Ich gestehe Ihnen persönlich, dass ich die Duzfreundschaften, die mich mit einigen Autoren verbinden, und die Duzfreundschaften, die mich mit einigen Verlegern verbinden, wenn schon, ebenso hemmend empfinden könnte wie die kleine berufliche Bindung, die Frau Schmidt zum Beck-Verlag hat. Bindungen sind immer da, man muss annehmen, dass der Einzelne davon abstrahieren kann und dass eine Jury ihn bis zu einem gewissen Grat majorisiert. Und drittens: Wenn ich dann schon feststellen würde als Jurysprecher, dass jemand Gründe vorbringt, wo ich merke, das bringt sie jetzt nur vor, weil sie da und dort im Brot steht, dann würden wir schon Alarm schlagen - keine Sorge.

    Schmitz: Aber hier geht es ja vielleicht nicht um Bindungen, sondern um Interessenkonflikte. Sollte man dann, wenn Interessenkonflikte auch nur theoretisch möglich sind, nicht besser von vornherein auf solche Nähen verzichten?

    Isenschmid: Ich glaube, wenn Sie das machen, dann haben Sie relativ bald keine Jury mehr, weil Sie werden immer einen Juror finden, dessen Lebenspartner beim Verlag XY arbeitet, oder einen Juror finden, dessen Buch gerade beim Verlag rauskam - ich muss mich ja nicht wiederholen. Die Bindungen sind mannigfaltig und die Annahme, dass jemand wie ein Urteilsautomat auf seinen Steuerzettel guckt und sagt, ach bei dem Buch muss ich dann ja sagen, scheint mir wirklichkeitsfremd.

    Schmitz: Das heißt, Sie sehen das Ansehen durch die jetzige Jurybesetzung nicht getrübt?

    Isenschmid: Nein - ganz besonders auch deswegen nicht, weil ich Frau Schmidt seit langen Jahren kenne und auf die wohlbegründete Unabhängigkeit ihres Urteils alles Vertrauen habe, und das ist ja nicht bloß Vertrauen. Ich meine, man kann ja sehen, wie die Frau gearbeitet und geurteilt und gedacht hat.

    Schmitz: ... , sagt Andreas Isenschmid, Sprecher der Jury des Deutschen Buchpreises 2012.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.