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Island
Kahlschlag beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Die im April gewählte neue Regierung Islands nimmt drastische Sparmaßnahmen in der Kultur vor. Besonders stark ist davon der öffentlich-rechtliche Rundfunk RÚV betroffen. Viele Mitarbeiter wurden überraschend entlassen.

Von Jessica Sturmberg | 21.12.2013
    Das Funkhaus des isländischen Senders RUV
    Statt Jahresrückblick wird mitunter im isländischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk Musik oder Wiederholungen gesendet. (Jessica Sturmberg)
    Im Radioprogramm RÁS 1, dem Informations- und Kulturkanal des isländischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks, läuft momentan nicht das gewohnte Programm. Ein Sprecher kündigt an, dass statt der Sendung "Út um græna grundu – Raus ins Grüne" Musik gespielt wird. Wer sich von den Hörern etwa auf die elfte von insgesamt zwölf Folgen einer Reise zu einem der Schauplätze der isländischen Sagas gefreut hatte, wird enttäuscht. Diese wird es nicht mehr geben. Der Reporterin und Moderatorin der Sendung wurde mitten in der Produktion gekündigt.
    Sie ist eine von insgesamt 39 Beschäftigten, die ganz plötzlich entlassen wurde. So wie auch Sportreporter Adolf Erlingsson:
    "Ich bin morgens um 9 Uhr zur Arbeit gekommen, da kam mir eine weinende Frau mit einer Kiste entgegen. Da war mir schon klar, dass da irgendetwas im Gange ist, Mitarbeitern gekündigt worden war. Dann wurde ich auch gleich zum Abteilungsleiter bestellt, der mir ein Kündigungsschreiben in die Hand gab. Ich sollte sofort meine Sachen packen - nach 22 Jahren! Ich bräuchte auch nicht mehr während der dreimonatigen Kündigungsfrist arbeiten, sondern solle sofort gehen."
    Ein paar Minuten um den Schreibtisch zu räumen, der Internetzugang war bereits gesperrt. Adolf Erlingsson hat jahrelang alle großen Sportereignisse begleitet, sowohl für das Fernsehen als auch für das Radioprogramm. Er ist eine der Stimmen im isländischen Rundfunk, und kann es immer noch nicht fassen:
    "Das war so brutal, wie die Mitarbeiter gekündigt wurden, so ohne Vorwarnung, einfach nur, bitteschön, fahr nach Hause. Hier im Sport hat mein Kollege, dem ebenfalls gekündigt wurde, am Jahresrückblick gearbeitet, er war mittendrin und sollte auch einfach gehen."
    Statt Jahresrückblick wird Musik oder Wiederholungen gesendet. Die Hörer sind empört, einige junge Frauen organisierten spontan eine Protestveranstaltung im größten Kinosaal Reykjavíks.
    Der Rundfunkdirektor Páll Magnússon, vergleichbar mit einem Intendanten hierzulande, verteidigte das Vorgehen im eigenen Fernsehprogramm.
    Diese drastische Form der Massenentlassungen sei deswegen notwendig geworden, um der Politik aufzuzeigen, dass die Kürzungen des Rundfunketats nicht ohne Folgen blieben. Dass es hör- und sichtbar werde, wenn die Politik solch massive Sparmaßnahmen vornehme.
    Vor ein paar Jahren wurde das Rundfunkgebührensystem in Island geändert. Statt Gebühren, die eine Verwaltungseinheit beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk zuvor eingezogen hatte, wird seither eine sogenannte "nefskattur", eine Art Pro-Kopfsteuer erhoben, die direkt in den staatlichen Haushalt fließt und somit für allgemeine Haushaltskonsolidierung genutzt wird. Die Vorgängerregierung hatte dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk für 2013 eigentlich eine Kompensation für bereits erbrachte Sparleistungen der vergangenen Jahre zugesagt. Doch die neue konservativ-liberale Regierung, die noch zahlreiche Wahlversprechen einlösen will, hat diese nicht nur gestrichen, sondern weitere Kürzungen vorgenommen. Im Parlament erläuterte Kultusminister Illugi Gunnarsson dazu:
    "Als man dachte, man könnte 715 Millionen Kronen in den Betrieb von RÚV stecken, hat man damit gerechnet, dass das Haushaltsloch schon geschlossen wäre. Aber die Realität ist, dass das Defizit in diesem Jahr 25 Milliarden Kronen betragen wird, und dann ist es notwendig, drastische Maßnahmen zu ergreifen."
    Das sehen die Mitarbeiter anders. Besonders bei Kanal 1 - dem Herzstück des isländischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks und mit 80 Jahren das mit Abstand älteste Programm. Jetzt sollen elf Mitarbeiter die Inhalte liefern, die zuvor ein Team aus doppelt so vielen Beschäftigten und der Mithilfe von freien Autoren geleistet haben. Wie das gehen soll, das weiß bei Kanal 1 noch niemand. Und auch der Direktor Páll Magnússon hat darauf keine Antwort gegeben. Inzwischen hat er selbst den Hut genommen, will aber noch ein weiteres Jahr seine Bezüge kassieren.