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Jede Kugel ist ein Verlust

Wenn ein Anschlag oder Mord passiert ist, macht sich kolumbianische Gitarrist Cesar López auf den Weg, um noch mitten im blutigen Getümmel mit seinen Musikern ein Konzert zu spielen. Auch Weltstar Juanes engagiert sich für Frieden in Kolumbien und fördert Hip-Hop-Projekte für Kinder.

Von Burkhard Birke | 19.11.2012
    Maschinengewehre zu Gitarren: Schon 17 Kalaschnikow hat Instrumentenbauer Luis Alfredo Paredes in Bogotá in E-Gitarren verwandelt: Gespielt werden sie unter anderem von Cesar López und dem Batallon ártistico de reacción: Man könnte sie auf Deutsch wohl die schnelle Eingreiftruppe der Musiker nennen:

    "Nach einer Bombenexplosion oder wenn wir hörten, dass eine Führungspersönlichkeit ermordet wurde oder etwas Schlimmes passiert war, sind wir sofort los, um vor Ort zu singen: Inmitten zerbrochener Scheiben, im Getümmel von Rotem Kreuz, Polizei…. Einige Leute haben uns dann Zettel gereicht mit Texten wie: Wir müssen die Angst besiegen. Die Angst darf nicht die Vernunft besiegen. Oder: Wer schießt, hat Angst. Oder: Die Angst, im Herzen ehrlich zu sein."

    Geboren in Bogotá in der Stunde der Not nach einem Anschlag mit 30 Toten vor rund zehn Jahren, gibt es Ableger der Musikereingreiftruppe in Cali und Medellin. Sie verständigen sich bei Zwischenfällen per Telefonkette und tauchen auf, um Trost zu spenden.

    Toda Bala es perdida: Jede Kugel ist ein Verlust, eine Verschwendung heißt ein Album zum Gratis-Herunterladen. Lieder aus Texten der Opfer, Songs für den Frieden, die längst nicht nur über Gewalt und Traumaverarbeitung reden.

    "In den Problemvierteln öffnen wir mit der Musik Türen zu den Gewalttätern. Und wir selbst stellen fest, dass diese Menschen, die wir als monströs, gewalttätig, als dunkle Gestalten sehen, dass auch die eine andere Seite haben - trotz ihrer Waffen und ihrer brutalen Gewaltakte. Sie sind auch Menschen, die sich um ihren Sohn, den Bruder kümmern. Im Grunde sind es gespaltene Persönlichkeiten."

    An diese andere, positive Seite wollen Cesar López und seine Musikerfreunde appellieren, und zwar möglichst früh. In der Metropole Medellin, unterstützt er deshalb ein Hip-Hop-Projekt für Kinder, das der 27-jährige Jeihhco koordiniert.

    "Wir wollen die Leben der Menschen verändern, hier in der Comuna 13. Das Viertel ist in den letzten Jahrzehnten von Gewalt heimgesucht worden. Mit dem Hip Hop wollen wir aus dieser Kriegszone ein Viertel von Künstlern machen."

    Statt Krieg zu spielen, Hip Hop tanzen: Mehr als 300 Kinder rappten und tanzten bereits mit Jeihhco und seinen Freunden, von denen zwei gerade ermordet wurden. Leider nicht der erste Rückschlag, der erste Mord: Nicht alle Herzen lassen sich mit Musik und Kunst erweichen.

    "Wir dürfen nicht zulassen, dass die Angst uns jetzt heimsucht und aufgeben."

    Kein geringerer als der Weltstar Juanes appelliert an Jeihhco und seine Freunde jetzt mit Durchhalteparolen. Auch Juanes unterstützt das Hip-Hop-Projekt. Mit seiner Stiftung Mi Sangre kämpft er gegen Landminen und für Frieden in Kolumbien. Er hofft auf erfolgreiche Verhandlungen und baut vor Ort auf die friedenschaffende Kraft der Musik, der Kunst überhaupt:

    "Durch die Kunst sprechen wir die Herzen an, wir stellen eine Verbindung untereinander her auf einer Ebene, wo Status, Politik und Religion keine Rolle spielen, es ist die Ebene der Gefühle. Wir können die Vergangenheit hinter uns lassen, uns klar werden, woher wir kommen und wo wir hin wollen. In jeder Gesellschaft spielt Kunst eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Frieden zu schaffen. Deshalb ist Musik und Kunst an sich in Kolumbien von elementarer Bedeutung."