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Journalismus in Krisenländern
Das Katz- und Maus-Spiel mit der Zensur

Presse- und Meinungsfreiheit werden weltweit zunehmend eingeschränkt. In Krisenländern wie Venezuela gehört Zensur gegen Medien inzwischen zum Alltag. Die Maßnahmen werden immer komplexer – genau wie die Versuche von Journalisten, sie zu umgehen.

Von Jenny Genzmer | 10.04.2019
Proteste in Venezuela im Februar gegen Staatschef Maduro.
Zensur hat es in Venezuela zwar immer wieder gegeben, doch seit Beginn der Staatskrise habe sie zugenommen, sagen Journalisten. (picture alliance/ dpa / Ernesto Costante)
Andrés Azpurúa sitzt in einem der gläsernen Veranstaltungsräume vom Internet Freedom Festival in Valencia. Er forscht zu Internetzensur bei der Organisation "Venezuela inteligente" in Caracas. In seinem Land werde zurzeit unbegrenzt und systematisch zensiert, sagt er. Die venezolanische Telekommunikationsbehörde entscheide, welche Webseiten die Internetanbieter sperren müssen, einen Gerichtsbeschluss dafür gebe es nicht. Zensur habe es zwar immer wieder gegeben, aber die letzten zweieinhalb Monate seit Beginn der Staatskrise seien die schlimmsten gewesen.
"So viele Medien-Webseiten sind gesperrt worden, Online-Nachrichtendienste aus Venezuela, es gibt keinen freien Fernsehsender, Change.org wird geblockt, Soundcloud wird geblockt, Youtube, Periscope, Facebook und auch Instagram."
Die Blockaden seien nicht durchgängig, sondern kämen in kurzen Intervallen immer wieder vor. Für Journalistinnen und Journalisten in Venezuela heißt das, dass sie kreativ werden mussten, damit ihre Nachrichten die Menschen auf ihren Kanälen auch erreichen. Eine der ersten News-Websites, die in Venezuela zensiert wurde, war der kolumbianische Kanal NTN 24. Um der Zensur zu entgehen, haben sie erst eine neue Domain für die Webseite eingerichtet.
"Und dann hat so ein Katz- und Maus-Spiel begonnen, denn auch diese Seite wurde von der Regierung geblockt, dann gab es wieder eine neue usw. Dann haben sie einen eigenen Twitter-Account für venezolanische Zuschauer eingerichtet, sie haben eine Mobile App auf den Markt gebracht, so dass die Leute sich den unzensierten Stream ansehen konnten. Das war die eine Entwicklung. Andere Medien haben ihre News in kleinen Einheiten als Audiomessages zusammengefasst und über Social Media und Whatsapp verbreitet."
Journalisten lernen, über die Zensur ihrer Arbeit zu berichten
Ein Teil der Arbeit von Andrés Azupurúa ist das Training von Journalistinnen und Journalisten. Wenn Zensur Alltag ist, muss auch darüber berichtet werden, findet er. Aber dann sei es auch wichtig, zu verstehen, wie das Internet genau funktioniert. Immer mehr Reporterinnen und Reporter lernen das gerade. Und nicht nur das:
"Viele Journalistinnen und Journalisten sind mittlerweile sehr versiert auf Social Media geworden. Sie verlassen sich nicht mehr nur auf den Newsroom, um ihre Inhalte zu veröffentlichen, sondern nutzen ihre eigenen Social-Media-Kanäle. Sie schreiben noch immer ihre Stücke und die sind auch auf der Website, aber sie müssen selbst etwas dafür tun, damit ihre Texte gelesen werden."
Venezuela ist eines der Länder, in denen sehr gezielte Maßnahmen unternommen werden, um bestimmte Internetseiten und Apps zu sperren. Das "Open Observatory of Network Interference", kurz Ooni, hat eine freie Software entwickelt, um solche Maßnahmen sichtbarer zu machen – nicht nur in Venezuela, sondern weltweit. Das funktioniert, indem Netzwerkdaten von Nutzerinnen und Nutzern protokolliert und ausgewertet werden, sagt Maria Xynou, Leiterin der Forschungsabteilung bei Ooni.
"Das heißt, es geht um die Art von Zensur, die auf Netzwerk-Ebene von Internet-Service Anbietern ausgeführt wird, also wie sie den Zugang zu Internetseiten oder Apps blockieren. Häufig aufgrund von Regierungsanweisungen, manchmal auch nach eigenem Ermessen."
Immer mehr Medien zensieren sich selbst
Das sei allerdings meistens dann der Fall, wenn die Zensurgesetze vage und unklar formuliert sind. Auf welcher rechtlichen Basis und ob überhaupt, ist in jedem Land unterschiedlich. Das macht es auch schwer, Zensurmaßnahmen miteinander zu vergleichen und zu bewerten. Zumal die Datenlage nicht für alle Länder einheitlich ist. Trotzdem könne man Korrelationen zwischen politischen Ereignissen und Zensurmaßnahmen erkennen, sagt Xynou.
"Das heißt, wir sehen einen Trend zur Zensur von Nachrichten, bei Wahlen, Protesten oder anderen politischen Ereignissen auf der Welt. Zum Beispiel haben wir gesehen, dass Social-Media-Dienste während der Präsidentschaftswahl in Uganda 2016 geblockt wurden, im selben Jahr gab es einen Internet-Shutdown in Gambia, auch dort bei den Präsidentschaftswahlen. Wir haben Blockaden von Social Media und vielen Medienwebseiten während der Proteste in Pakistan 2017 gesehen, dasselbe während der Anti-Regierungsproteste im Iran Anfang 2018, als dort Telegram und viele andere bekannte Dienste gesperrt wurden."
Maßnahmen von Zensur nehmen nicht nur zu, sie werden vor allem immer komplexer und dynamischer. Unter anderem in Venezuela haben Journalistinnen und Journalisten gelernt, kreative Wege zu finden, ihre Inhalte sichtbarer zu machen. Häufig ist das aber wegen der Repressionen kaum möglich, die in vielen Staaten mit der Zensur einhergehen. Nichtregierungsorganisationen weltweit berichten, dass sich immer mehr Medien deshalb selbst zensieren. Zensur ist also nicht allein eine technische Frage, sondern vor allem eine gesellschaftliche, die für Bürgerinnen und Bürger weltweit immer alltäglicher wird.