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Journalist Luchs: Kambodschaner wollen Gerechtigkeit

Die Eröffnung eines Völkermordprozess gegen einen der Schergen der Roten Khmer hat nach Ansicht des Journalisten Robert Luchs mehr als 30 Jahre auf sich warten lassen, weil weder die kambodschanische Regierung noch die USA und China an einer Aufarbeitung interessiert waren. Die Bevölkerung, die zum Großteil immer noch traumatisiert sei, hoffe auf Aufklärung und Gerechtigkeit für die Opfer.

Robert Luchs im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 16.02.2009
    Doris Schäfer-Noske: Morgen beginnt in Kambodscha der Völkermordprozess gegen einen der wichtigsten Schergen der Roten Khmer. Er ist der erste von fünf Angeklagten, die sich für ihre Verbrechen vor dem Tribunal verantworten müssen. Zwölf Jahre zähes Ringen zwischen der kambodschanischen Regierung und den Vereinten Nationen sind diesem Prozess vorausgegangen. Unter dem kommunistischen Pol-Pot-Regime vor über 30 Jahren wurden zahllose Menschen verschleppt und brutal gefoltert. 1,7 Millionen Kambodschaner, also ein Fünftel des kambodschanischen Volkes, wurden damals ermordet. So gut wie alle Intellektuelle, aber auch viele Kinder zählten zu den Opfern. Frage an meinen Kollegen Robert Luchs: Herr Luchs, warum hat es denn so lange gedauert, bis die Vergangenheit nun aufgearbeitet wird?
    Robert Luchs: Also das liegt, ich meine, in der Hauptsache daran, dass die kambodschanische Regierung überhaupt kein Interesse an diesem internationalen Tribunal hatte. Es bedurfte eines massiven Drucks der sogenannten Weltöffentlichkeit, der UNO usw., damit dieses Tribunal seinen Anfang nehmen konnte. Zum Beispiel die Amerikaner hatten kein Interesse daran, was mit der Rolle der USA während dieser Zeit nach dem Vietnamkrieg zu tun hatte. Auch die Chinesen hatten überhaupt kein Interesse daran, weil sie Pol Pot unterstützt haben. Und es gibt Hinweise darauf, dass sie heute immer noch versuchen, das Tribunal in seinem Verlauf zu torpedieren.
    Schäfer-Noske: Inwieweit sind denn die Verbrechen von damals im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung präsent?
    Luchs: Also ich glaube, die sind sehr, sehr tief, sehr prägend präsent. Sie sind nicht nur präsent, es hat sich gerade in letzter Zeit herausgestellt, dass große Teile der kambodschanischen Bevölkerung traumatisiert sind, so stark traumatisiert sind, dass sie eben auch psychologischer Behandlung bedürfen. Ob jetzt die Vergangenheit in den Familien und so weiter diskutiert wird, das ist eine ganz andere Frage, ist auch sehr schwer nachzuforschen. Aber es gibt, vor einigen Tagen erst herausgekommen, eine Untersuchung des Forscherteams der Universität Berkeley in Kalifornien mit einem sehr interessanten Ergebnis. Dies zeigt, dass mehr als zwei Drittel der Befragten – und 1000 sind befragt worden in 124 kambodschanischen Gemeinden – die Einrichtung dieses Tribunals begrüßen. 74 Prozent der Befragten versprechen sich davon Gerechtigkeit für die Opfer der Khmer Rouge und ihre Angehörigen. Und Sie erwähnten es ja schon, es gibt ja keine Familie in Kambodscha, die nicht in irgendeiner Weise, meistens sehr grausame Weise, von diesen Verbrechen der Roten Khmer betroffen war.
    Schäfer-Noske: Also es gibt diesen Wunsch nach Aufarbeitung der Vergangenheit und weniger die Verdrängung dieses Kapitels der Schreckensherrschaft in Kambodscha?
    Luchs: Also das Erstere überwiegt, Verdrängung mag es auch geben, weil eben die Wunden so furchtbar sind, die da gerissen worden sind. Und es ist, glaube ich, eine ganz natürliche menschliche Reaktion, dass man sagt, damit möchte ich jetzt nichts mehr zu tun haben. Da mag auch der Glaube, der Buddhismus als Staatsreligion eine Rolle spielen, die aber meiner Ansicht nach oft überschätzt wird. Man möchte sich schon damit beschäftigen. Man möchte wissen, warum ist das damals passiert, wer steckt dahinter, waren es nur die Roten Khmer, war es das Ausland usw. Man will durch die Beantwortung dieser Fragen auch zu einer Ruhe finden, zu einer inneren Ruhe finden. Und man will sehen, dass es wieder Gerechtigkeit in dem Land gibt.
    Schäfer-Noske: Welche Rolle spielt denn der Buddhismus, was Sie gerade angesprochen haben?
    Luchs: Also er spielt nicht die Rolle, die man annehmen könnte in einem südostasiatischen Land. In anderen Ländern, benachbarten Ländern, ist die Rolle stärker. Auch das hat natürlich damit zu tun, dass die Mönche oder auch der Buddhismus als Religion – es gab ja bei den Pol Pot Angka, das war also die große, übergreifende Ideologie, das war die Religion, und es sollten keine anderen Götter der Religion neben Angka herrschen. Und das führte auch dazu, dass man die Religionsträger angegriffen hat, Mönche sind umgebracht worden, Zigtausende sind umgebracht worden, Pagoden angezündet, Tempel zerstört. Und erst seit einigen Jahren erlebt der Buddhismus wieder einen Aufschwung, der aber wirklich nicht so groß ist. Es gibt ein neues buddhistisches Institut in Phnom Penh, aber man sollte die Rolle nicht überschätzen. Interessant ist auch, dass – ich komme noch mal kurz auf diese Befragung zurück –, dass viele Kambodschaner gesagt haben, sie würden gerne Rache üben, also es sind Hassgefühle da gegen die Roten Khmer. Und das mag überraschen, da der Buddhismus eigentlich die Überwindung von negativen Affekten predigt.
    Schäfer-Noske: Inwieweit gibt es denn eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in Kambodscha, zum Beispiel in Form von Gedenkstätten?
    Luchs: Ja, das soll auch eine Form der Wiedergutmachung sein, dass Gedenkstätten errichtet werden. Es gibt eine Gedenkstätte an den sogenannten Killing Fields. Touristen werden auch immer dort hingebracht vor den Toren Phnom Penh, wo die Gebeine von 15.000 bis 17.000 Menschen liegen, die von den Roten Khmer umgebracht worden sind. Das ist eine Gedenkstätte, ausgebaut worden. Es gibt mehrere dieser Gedenkstätten. Aber ich glaube, da steht man auch noch erst am Anfang.
    Schäfer-Noske: Das war Robert Luchs über die Aufarbeitung der Vergangenheit in Kambodscha. Morgen beginnt der Prozess gegen einen Schergen der Roten Khmer.