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"Journalisten haben hier eine große Verantwortung"

Der frühere Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Jürgen Chrobog, hat auf die Verantwortung der Medien bei Entführungsfällen hingewiesen. "Internet macht es möglich, auch im fernen Afghanistan kann man sehr genau verfolgen, wie die Diskussion läuft", sagte Chrobog.

Moderation: Jürgen Zurheide | 04.08.2007
    Jürgen Zurheide: Wir wollen uns jetzt dem Thema Entführungen zuwenden, allerdings nicht direkt über das reden, was im Moment in Afghanistan passiert, sondern wir wollen mit jemandem sprechen, der Entführungen von zwei Seiten her kennt. Auf der einen Seite als Politiker, als verantwortlicher Staatssekretär hat er mehrfach mitgeholfen, entführte Menschen wieder frei zu bekommen. Und dann ist er selbst im Jahre 2005 Opfer einer Entführung im Jemen geworden. Ich begrüße den früheren Staatssekretär Jürgen Chrobog am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Chrobog!

    Jürgen Chrobog: Guten Morgen, Herr Zurheide.

    Zurheide: Herr Chrobog, zunächst einmal, wenn Sie im Moment diese aktuellen Nachrichten hören aus Afghanistan, kommt dann eigenes Erleben wieder hoch?

    Chrobog: Das kommt wohl hoch. Ich meine, so eine Erfahrung, die man macht, wenn man entführt wird, verlässt einen nicht so schnell wieder. Andererseits muss ich natürlich sagen, dass es uns ungleich viel besser ging damals im Jemen als den Entführten in Afghanistan, im Irak und in diesen Ländern. Denn das Risiko, dass halt etwas passiert, war bei uns weniger gering als dort.

    Zurheide: Wie haben Sie denn damals – trotz dieses geringeren Risikos ist man ja dann doch entführt – wie haben Sie damals die Hoffnung behalten und was hat Ihnen Kraft gegeben?

    Chrobog: Na, einmal meine Erfahrung mit dem Krisenstab, den ich ja selbst mit entwickelt hatte. Ich wusste also exakt jede Minute, was der Krisenstab im Auswärtigen Amt tut. Zum anderen hatte ich Kontakt sowohl mit den Entführern - meine Frau spricht ja fließend arabisch und konnte also die Kontakte gut aufrechterhalten – wie mit dem Krisenstab des Auswärtigen Amtes, ich habe ja ständig Telefonkontakt mit ihm gehabt. Und insofern war ich so ein bisschen auch wie die Spinne im Netz und wusste genau, wie die Entwicklungen auf beiden sich vollzogen.

    Zurheide: Wir hören jetzt manchmal auch was aus Afghanistan, dass es da Unterschiede gibt. Auf der einen Seite, in Anführungsstrichen sage ich das jetzt, "nur Kriminelle", die möglicherweise rein wirtschaftliche Ziele verfolgen, auf der anderen Seite eben auch politisch motivierte Täter. Das ist ja eine Unterscheidung, die Sie auch immer wieder machen. Ist das richtig, das so zu machen, oder gibt es eben doch zu oft Vermischungen von beiden?

    Chrobog: Es gibt immer Vermischungen eigentlich. Manchmal tarnen Kriminelle diese Kriminalität natürlich mit politischen Forderungen, andererseits haben auch politische Entführungen häufig einen kriminellen Hintergrund, da geht es dann auch um Geld. Ich habe bei meinen (…) Erfahrungen gemacht im Jahr 2003 in der Sahara, in Algerien und in Mali. Dort war es eben auch eine Vermischung von extremen Fundamentalisten, die der Al Kaida sehr nahe standen, und natürlich auch finanziellen Forderungen.

    Zurheide: Wie richtet man seine Taktik in so einem Fall aus, was steht dann im Vordergrund?

    Chrobog: Ja, zunächst ist es wichtig, natürlich Kontakt zu den Entführern zu bekommen, wobei es eigentlich immer besser ist, dass nicht eine Regierung direkt mit Entführern verhandelt, sondern dass man es über Mittelsmänner macht, also übers lokale Umfeld, über Warlords, über Stammesführer, Leute, die Einfluss haben auf diese Entführer, die ja in ihrem Gewaltbereich letzten Endes tätig sind und im Grunde auch angewiesen sind auf den Goodwill der Umgebung. Und wenn man diese lokalen Führer erreicht und einsetzen kann, dann ist es gut, und dann hat man nämlich einmal die Kontakte und kann vor allen Dingen auch den Täterkreis und die Forderungen besser identifizieren.

    Zurheide: Wie hilfreich ist eigentlich die Öffentlichkeit - oder ich müsste eigentlich andersrum formulieren, wie sehr kann die Öffentlichkeit und auch unser journalistisches Interesse, was natürlich da ist, hin und wieder hindern, zu Lösungen zu kommen. Da gibt es dann Terrorexperten, selbst ernannte Terrorexperten, die immer wieder irgendwas wissen wollen. Ist das problematisch?

    Chrobog: Ich finde es schon problematisch. Ich bin auch überrascht über das, was ich abends im Fernsehen sehe an Gerüchten und an angeblichen Erkenntnissen, über Entwicklungen, die sich anbahnen und abzeichnen und dann doch nicht eintreffen im Ergebnis. Ich habe selbst bei der Sahara-Entführung gemerkt, wie gut die Entführer auch informiert waren über Strömungen in Deutschland. Internet macht es möglich, auch im fernen Afghanistan kann man sehr genau verfolgen, wie die Diskussion läuft und auch, ob man mit seiner Propaganda, und die läuft ja in Afghanistan, eben auch Einfluss nimmt auf die öffentliche Meinungsbildung, ob es Spekulationen gibt, dass (…) weich wird, dass sie nachgeben wird und Ähnliches. Insofern haben Journalisten hier eine ganz große Verantwortung. Und wir sehen immer wieder hier auch in Afghanistan, dass natürlich die Sachen hin- und hergespielt werden. Deswegen sollte man Spekulationen, auch gerade mit Optionen, die eine Regierung hat, sehr, sehr vorsichtig in der Öffentlichkeit umgehen.

    Zurheide: In dem Zusammenhang muss ich dann natürlich fast fragen, wenn sich dann auch noch Staatslenker selbst oder die Ehefrauen von Staatslenkern in Libyen in so was direkt einschalten – als Diplomat schaudert’s bei Ihnen doch dann wahrscheinlich, oder?

    Chrobog: Das ist eine gute Frage, dazu will ich jetzt noch keine Stellung nehmen, nur darauf hin verweisen, dass jede Geschichte natürlich auch andere Entwicklungen nimmt und dass man eine Lösung in einer derartigen Krise natürlich herbeiführt durch eine lange, lange Vorarbeit. Und ich glaube, das, was die deutsche Ratspräsidentschaft da gemacht wird, war vielleicht im Ergebnis wichtiger als das, was nachher am letzten Tage vollzogen wurde.

    Zurheide: Wir bedanken uns herzlich für diese Einschätzung. Das war Jürgen Chrobog, ehemaliger Staatssekretär, selbst Opfer und einer, der viel verhandelt hat. Dankeschön für das Gespräch.

    Chrobog: Auf Wiedersehen.