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Jung, muslimisch, aktiv

In der Diskussion um den Islam wird viel über Muslime aber nicht mit ihnen gesprochen. Vor allem jüngere Menschen muslimischen Glaubens haben kaum die Chance, sich zu Wort zu melden. Das Berliner Projekt "JUMA" will das ändern.

Von Jan Kuhlmann | 16.03.2012
    "Für mich ist der Islam maßgeblich für meinen Alltag. Also er zieht sich wirklich wie ein roter Faden durch meinen Tag. Das beginnt beim Morgengebet, wenn man dafür extra aufsteht. Dann ist man in der Uni und muss schauen, dass man die Mittagsgebete zur richtigen Zeit verrichtet. Und für mich ist meine Religion wie ein Rückzugsort. Wie Ruhe."

    Naame El-Hassan ist eine junge muslimische Medizinstudentin, die ihren Glauben sehr ernst nimmt. Genau solche junge Frauen und Männer sind es, die das Berliner Projekt "JUMA" ansprechen will. "JUMA", das steht für "Jung, muslimisch, aktiv" – womit das Projekt zugleich umschrieben ist. 80 bis 100 junge Frauen und Männer treffen sich regelmäßig in der Hauptstadt, um sich mit Themen aus Politik und Gesellschaft auseinanderzusetzen. Immer geht es vor allem um ein Ziel: Die jungen Muslime sollen sich aktiv in die Debatten einmischen, sagt Sawsan Chebli, zuständige Grundsatzreferentin der Berliner Innenbehörde, die das Projekt ins Leben gerufen hat:

    "Das heißt, die sich über ihre muslimische Identität identifizieren und sagen: Wir sind Muslime, aber gleichzeitig sind wir Deutsche. Wir wollen diese jungen Leute dazu bewegen, gesellschaftlich mitzumischen und verhindern, dass sie sich in eine eigene Welt zurückziehen, eine Parallelgesellschaft bilden, sondern sich als Teil dieses Landes verstehen, als deutsche Muslime."

    Die sich in der Öffentlichkeit Gehör verschaffen. Dafür will ihnen "JUMA" eine Plattform bieten.

    "Wir haben häufig das Problem der Sprachlosigkeit. Es gibt zu wenig Kontakte zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. Und deswegen brauche ich mehrere Projekte am besten, die junge Muslime für gesellschaftliches Engagement begeistern."

    Regelmäßig laden die JUMA-Teilnehmer deswegen Prominente aus Politik und Gesellschaft ein, um mit ihnen zu debattieren – darunter auch viele kritische Stimmen. Die 18 Jahre alte Studentin Naame El-Hassan etwa zeigte sich beeindruckt von einer Diskussion mit dem ägyptisch-stämmigen Politikwissenschaftler und Autor Hamed Abdel-Samad:

    "Er sagt, dass der Koran ein schönes Buch sei, das er auch selber gerne ab und zu mal liest, aber dass es natürlich Fehler beinhaltet. Und daraus leitet er dann ab, dass die Fehler, die ja offensichtlich in der arabischen Gesellschaft existieren, sozusagen auf dieser fehlerhaften Vorlage basieren. Aber für mich ist es eben ganz anders. Ich zum Beispiel nehme meinen Islam und auch den Koran immer wieder als Motivation, weiter an mir zu arbeiten, selbstkritisch zu sein, mich zu engagieren, mich zu bilden. Also für mich ist das eigentlich gerade der Motor und er sieht das als eine Art Hemmer."

    Muslimisch sein und deutsch sein: Während das für die jungen Frauen und Männer von "JUMA" selbstverständlich ist, stoßen sie in ihrer Umwelt auf Vorbehalte. Naame El-Hassan ist dafür ein gutes Beispiel. Sie hat ihr Abitur an einem katholischen Gymnasium mit 1,0 abgelegt. Jetzt studiert sie Medizin. Naame steht für eine neue muslimische Elite. Seit sie sich aber in der 13. Klasse entschieden hat, ein Kopftuch zu tragen, macht sie neue Erfahrungen:

    "Also ich muss sagen, dass die Leute des Öfteren überrascht sind, wenn sie hören, dass ich Deutsch sprechen kann. Obwohl ich hier geboren wurde. Also man wird schon als jemand gesehen, der eigentlich nicht dazugehört, der jetzt zwar hier lebt, aber eigentlich, von wo ganz anders herkommt und ganz anders denkt und überhaupt gar nicht hierher passt. Man wird eher geduldet, als dass man toleriert und akzeptiert wird. Das fällt mir jetzt immer stärker auf."

    Solche Erfahrungen kennen fast alle JUMA-Teilnehmer. Sie beteiligen sich auch deshalb an dem Projekt, weil sie Vorurteile abbauen wollen. Naame El-Hassan reibt sich etwa an den Thesen von Islamkritikern wie Thilo Sarrazin:

    "Mich ärgert, dass die Leute, die das machen, gar nicht reflektieren, was sie den deutschen Muslimen eigentlich antun. Und mich ärgert, dass diese Leute oftmals nicht in der Lage sind, ihren Horizont zu erweitern, und das auch gar nicht möchten. Also ich habe das Gefühl, dass man ihnen die Hand reicht, aber sie möchten sie gar nicht annehmen und sie möchten gar nicht über ihren Stand der Dinge sozusagen hinauskommen und sie möchten auch gar nicht die andere Seite beleuchten."

    Aber auch den innerislamischen Dialog will "JUMA" fördern. Bei dem Projekt kommen Muslime verschiedener Glaubensrichtungen zusammen, die im Alltag sonst häufig unter sich bleiben: Sunniten und Schiiten, Gläubige mit türkischen oder arabischen Wurzeln ebenso wie junge Frauen und Männer, deren Eltern aus Pakistan stammen. So wie der 18 Jahre alte Gymnasiast Tayab Kiani:

    "Ich sehe es als einen großen Fortschritt, dass wir es jetzt geschafft haben, nicht mehr darauf zu achten, ob ich ein Pakistani bin oder ein Türke. Oder was für eine Meinung ich vertrete. Im Endeffekt kommt es darauf an, wie wir gemeinsam leben können, weil wir gemeinsam hier etwas erreichen wollen. Und da achten wir halt nicht sehr so darauf, wer neben mir sitzt, ob er Schiit ist oder ein Sunnit."

    Das Projekt trägt auf seine Weise dazu bei, dass ein "deutscher" Islam entsteht. Denn es will auch in die Moscheen hineinwirken. Die Teilnehmer sollen Multiplikatoren sein, die frischen Wind in die Gemeinden bringen, sagt Projektorganisatorin Sawsan Chebli:

    "Das heißt: Wir bilden junge Leute dazu aus und hoffen, dass diese dann ausgebildeten jungen Leute in den Gemeinden bestimmte Funktionen übernehmen. Und eine Kultur in die Gemeinden hineintragen, die wichtig ist für ein Zusammenleben zwischen Muslime und Nicht-Muslimen."

    Sollte das gelingen, könnte Sawsan Cheblis Vorhersage eintreffen. In 15 Jahren, sagt sie, wird ein Projekt wie "JUMA" nicht mehr nötig sein. Dann würden gläubige Muslime wie selbstverständlich zu Deutschland gehören.