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Kandinsky und Jawlensky
Gemeinsamer Weg zur Abstraktion

Das Schloßmuseum Murnau zeigt in seiner neuen Kunstausstellung Gemälde von Wassily Kandinsky und Alexej von Jawlensky. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die Männerfreundschaft der beiden, die in Murnau zwischen 1908 und 1910 ihren Höhepunkt erreichte.

Von Julian Ignatowitsch | 29.07.2014
    Eine Besucherin betrachtet am Freitag (31.08.2012) in der Ausstellung «Ich arbeite für mich, nur für mich und meinen Gott» in der Kunstsammlung in Jena ein Bild des Malers Alexej von Jawlensky.
    In dem Ort Murnau trafen die beiden Künstler aufeinander. (dpa - picture alliance / Markus C. Hurek)
    "Blaues Land" wird die Region rund um das bayerische Städtchen Murnau und den Staffelsee auch genannt. Hier wurde ein Stück deutsche Kunstgeschichte geschrieben - oder eigentlich gemalt. Vertreter des "Blauen Reiters" residierten in der Gegend, Wassily Kandinsky und Alexej Jawlensky waren 1908 als zwei der Ersten hier, sozusagen als Pioniere im oberbayerischen Voralpenland. Die Ruhe und die Farbenpracht im Sommer zogen sie an. Kandinsky malte 1908 - wie passend - das "Blaue Haus", und Jawlensky - inspiriert von den weiten Feldern und Wiesen - den "Gelben Klang". Diese beiden Bilder sind titelgebend für die neue Ausstellung im Schloßmuseum. Sie stehen exemplarisch für das Schaffen der beiden Künstler in Murnau, wie Museumsleiterin Sandra Uhrig erklärt:
    "Der Gelbe Klang von Jawlensky zeigt eine sehr farbenprächtige landschaftliche Aufnahme Murnaus, der Gelbe Klang als Sonnenuntergang. Und das Blaue Haus von Kandinsky steht für die vielen, vielen Ortsansichten, die Kandinsky hier geschaffen hat - und man hat mit Blau und Gelb schon viele Assoziationen auf andere Motive der beiden Künstler."
    Männerfreundschaft zweier großer Künstler
    Kandinsky und Jawlensky - diese Männerfreundschaft erlebte zwischen 1908 und 1910 in Murnau ihren Höhepunkt und steht im Mittelpunkt der Ausstellung. Es gab zahlreiche gemeinsame Malaufenthalte: Kandinsky wohnte zusammen mit Gabriele Münter im heute so bezeichneten Münter-Haus, Jawlensky trug sich zusammen mit Marianne von Werefkin mehrfach in das städtische Gästeverzeichnis ein und kam im Gasthaus Echter unter. Gleichzeitig war eine sehr produktive Zeit: Fast 300 Arbeiten entstanden während der drei Jahre im blauen Land. Auch die Frauen malten. Von allen vier Künstlern sind Bilder in der Ausstellung zu sehen. Sandra Uhrig:
    "Wir fanden es spannend zu zeigen, dass sich dieser Malaufenthalt und der künstlerische Dialog, der hier stattfand, auch tatsächlich in ihren Werken widerspiegelt. Und wir haben versucht Werke auszusuchen, die diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede anschaulich machen."
    Unterschiede trotz deckungsgleicher Motivwahl
    Das gelingt sehr gut. Viele Bilder stammen aus der hauseigenen Sammlung des Schloßmuseums. Doch es sind auch beeindruckende Leihgaben darunter, wie Kandinskys "Kirche in Murnau" vom Museum of Modern Art, New York oder "Studie zur Landschaft mit grünem Haus" aus der Ermitage, Sankt Petersburg. Es sind immer wieder die gleichen Motive, die in den Bildern auftauchen: der Kirchturm, das Schloss, die Pfarrgasse, die Felder, Blumen und Berge in und um Murnau. All das erstrahlt bunt und leuchtend in Blau-, Gelb- und Rot-Töne. Oft weiß man Kandinsky und Jawlensky gar nicht auseinanderzuhalten. Dann wieder fallen laut Sandra Uhrig bei fast deckungsgleicher Motivwahl doch Unterschiede auf:
    "Bei Jawlensky, der sich sehr stark auf die Gefühls- und Stimmungswerte einlässt in den Bildern, der sehr unkonventionelle Blickwinkel sucht und farbkräftige Flächen nebeneinander setzt. Und Kandinsky, der intellektueller, theoretischer an seine Kompositionen herangeht, und dokumentiert haben möchte, welche Fortschritte er gemacht hat. Man kann vereinfachend sagen, Kandinsky war der Theoretiker und Jawlensky hat mehr aus dem Bauch heraus gearbeitet."
    Keimzelle des deutschen Expressionismus
    Was wiederum beide verbindet, ist der Weg hin zur Abstraktion, den Kandinsky und Jawlensky gemeinsam in Murnau beginnen und dann beschreiten. Das "Wunder von Murnau", wie es gerne genannt wird, ist die Keimzelle des deutschen Expressionismus. Die von Jawlensky gegründete "Neue Künstlervereinigung München", deren Vorsitz 1909 Kandinsky übernahm, war der Vorläufer des "Blauen Reiters". Es gibt Leute, die sagen, ohne Werefkin und Münter hätte es den Blauen Reiter nie gegeben, diesen Eindruck vermittelt die Ausstellung nicht.
    Den plötzlichen Schlussstrich - aber nicht den der Freundschaft - zog im Jahr 1914 die dunkle europäische Geschichte. Im Schloßmuseum erinnert daran eine schwarze Wand im letzten Ausstellungsraum. Sie kontrastiert das Gelb zu Beginn der Schau. Als Russe musste Jawlensky Deutschland verlassen. Erst in den 20er Jahren trafen er und Kandinsky sich dann anderswo wieder, zum Beispiel in Weimar, Wiesbaden und Dessau. Die Korrespondenz blieb bestehen. Von gemeinsamen Zeiten in Murnau bleibt Kandinskys Dank an den Freund - Zitat: "Ich habe viel von Ihnen gelernt und werden ihnen dafür immer tief dankbar sein" - und dazu eine Menge idyllischer Bilder.