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Kanzlerinnendämmerung
"Die Mehrheit der Partei steht hinter Merkel"

Wieviel Rückhalt hat Bundeskanzlerin Angela Merkel noch in ihrer Partei? Kanzleramtschef Altmaier redet die Debatte über ihre Flüchtlingspolitik klein. Kontroverse Diskussionen seien normal, sagte er im DLF. Die Lage verglich er mit einem anderen Streitthema, das Merkel schon mal innerhalb der Union in Bedrängnis brachte.

Peter Altmaier im Gespräch mit Thielko Grieß | 16.10.2015
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und Peter Altmaier, Chef des Bundeskanzleramtes
    Peter Altmaier: "Man kann in Europa keine Zäune und keine Mauern bauen." (Imago)
    Altmaier misst der innerparteilichen Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) keine große Bedeutung bei. "Ich kann nicht erkennen, dass wir aufgewühlt sind", sagte er im DLF. Die Diskussion halte man aus. Alle Beschlüsse seien gemeinsam mit der bayerischen Landesregierung getroffen worden.
    "Wir haben in der Vergangenheit häufiger über den richtigen Kurs diskutiert," betonte Altmaier. Bei der Abstimmung zur Griechenland- und Eurokrise im Sommer habe es 70 Gegenstimmen in der eigenen Fraktion gegeben. Die Mehrheit der Partei habe Merkel aber unterstützt. Das Gleiche gilt für Altmaier auch in der Flüchtlingspolitik. "Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Partei hinter dieser Bundeskanzlerin steht."

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Zur Bewältigung der Flüchtlingskrise soll ein Aktionsplan beitragen. So das Etikett, das in Brüssel gehandelt wird seit der vergangenen Nacht. Zwischen der Europäischen Union und der Türkei soll es diesen Aktionsplan geben. Das klingt nach ersten Schritten und das klingt nach noch keinen konkreten Beschlüssen.
    Am Telefon ist jetzt und hat mitgehört Peter Altmaier von der CDU, Chef des Kanzleramtes und Koordinator im Kanzleramt in allen Flüchtlingsfragen. Guten Morgen, Herr Altmaier.
    Peter Altmaier: Guten Morgen.
    Grieß: Was bringt die Kanzlerin aus Brüssel mit, um ihre aufgebrachte Parteianhängerschaft zu beruhigen?
    Altmaier: Es geht ja erst mal nicht darum, irgendjemand zu beruhigen, sondern es geht darum, dass wir mit einer Herausforderung erfolgreich umgehen, und das bedeutet, aus dem ungeordneten Zustrom der Flüchtlinge eine geordnete, strukturierte gemeinsame Aktion der Türkei und Europas zu machen, wo jeder seinen Teil der Lasten trägt.
    Wir haben gestern einen Erfolg erzielt, insofern, als wir zum ersten Mal mit der Türkei eine gemeinsame Gesprächsgrundlage haben. Wir arbeiten daran, dass die Menschen in der Türkei eine Perspektive bekommen. Wir sind bereit, der Türkei dabei zu helfen. Und das, was gestern auf dem Tisch lag, ist etwas, was viele Menschen auch in Deutschland ermutigen wird, zumal es einen Tag kommt, nachdem der Bundestag das größte Gesetzespaket beschlossen hat, das es in den letzten Jahren gegeben hat und das uns helfen wird, ebenfalls im Inland dieses Mal mit der Flüchtlingskrise gut umzugehen.
    Grieß: Noch mal eine Nachfrage zur Türkei. Erdogan fordert VISA-Freiheit für die Türken und sehr viel Geld, drei Milliarden Euro. Bekommt er das?
    Altmaier: Wir sind ja in intensiven Gesprächen mit der Türkei. Die Kanzlerin fährt nach Ankara am kommenden Sonntag und dann wird über alle diese Einzelheiten zu reden sein.
    Wenn es um Geld geht, geht es vor allen Dingen um Geld für die Flüchtlinge, die syrischen und irakischen Flüchtlinge in der Türkei. Die müssen versorgt werden. Die müssen so versorgt werden, dass sie ausreichend zu essen haben, dass sie menschenwürdige Unterkünfte haben. Und es ist klar, dass ein Land wie die Türkei diese Aufgabe nur zusammen mit anderen stemmen kann. Darüber wird gesprochen. Es sind ja auch Zahlen genannt worden.
    Ich glaube aber, man sollte die Einzelheiten, über die Höhe der Mittel und ihre Verwendung, dann zunächst einmal in Gesprächen mit der Türkei klären. Aber Tatsache ist: Europa ist bereit, sich auch finanziell daran zu beteiligen, dass die Menschen in der Türkei eine Perspektive erhalten.
    "Wir werden unseren humanitären Verpflichtungen weiterhin gerecht"
    Grieß: Es wird Geld kosten, dass die Türkei das tut, was die Europäer gerne hätten. Schiebt man damit auch die Verantwortung und den Umgang mit dem Menschenrecht Asyl an die Türkei ab?
    Altmaier: Nein. Es kommt darauf an, dass die Menschen eine menschenwürdige Bleibeperspektive erhalten. Das heißt, dass sie Schutz erhalten. Das ist der Kern des Asylrechts und darüber wird geredet mit der Türkei. Es ist so, dass Europa in den letzten Jahren immer Flüchtlinge aufgenommen hat, auch syrische und irakische Flüchtlinge, bevor diese große Welle von Flüchtlingen begonnen hat, und das zeigt, dass wir unserer humanitären Verpflichtung weiterhin gerecht werden.
    Grieß: Herr Altmaier, wie lange sind Sie schon in der CDU?
    Altmaier: Ich bin seit knapp 40 Jahren in der CDU.
    Grieß: Haben Sie Ihre Partei schon einmal so aufgewühlt gesehen wie zurzeit?
    Altmaier: Ich kann nicht erkennen, dass wir in dieser Frage aufgewühlt sind. Was wir haben sind kontroverse Diskussionen. Das ist bei so einem Thema normal. In der SPD sind, wenn ich das richtig sehe, zwei Oberbürgermeister aus ihrer Partei ausgetreten aus Protest gegen den Kurs der SPD-Parteiführung. Das hat es in der CDU nicht gegeben, weil trotz aller Diskussionen, die wir haben, der Rückhalt für die Bundeskanzlerin sehr groß ist, und das hat man bei vielen Veranstaltungen gerade mit der Basis der CDU in Stade, in Wuppertal in der letzten Woche gesehen. Es ist natürlich so, dass die Kameras vor allen Dingen die Bilder einfangen, wo dann vielleicht mal ein Transparent hochgehalten wird.
    "Diese Diskussion halten wir aus"
    Grieß: Ja eben! Aber es wird ja nicht nur vielleicht mal ein Transparent hochgehalten. Es gibt Wortmeldungen, es gibt ganz laute Kritik von der Basis und natürlich auch aus Bayern, und da ist es nicht nur die Basis, da wird regiert. Das können Sie doch nicht kleinreden.
    Altmaier: Das tue ich gar nicht. Ich habe gesagt, es ist normal, dass es Diskussionen gibt, und an diesen Diskussionen beteiligen sich in einer großen Partei viele. Auch das ist normal und darüber wird diskutiert. Wir haben aber alle Beschlüsse gemeinsam mit der CSU in Bayern, gemeinsam mit der bayerischen Landesregierung getroffen. Die Flüchtlinge werden in Bayern empfangen. Viele von ihnen bleiben auch in Bayern. Die bayerische Staatsregierung leistet einen hervorragenden und vorbildlichen Beitrag dazu, dass den Menschen geholfen wird. Deshalb sage ich Ihnen, diese Diskussionen halten wir aus.
    "ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Partei hinter dieser Bundeskanzlerin steht"
    Grieß: Und so lange machen Sie eine Politik gegen einen Teil Ihrer eigenen Leute?
    Altmaier: Wir haben in der Vergangenheit häufiger über den richtigen Kurs diskutiert. Denken Sie doch mal zurück an die Griechenland- und Eurokrise im letzten Sommer. Da gab es bei der Abstimmung im Bundestag 70 Gegenstimmen aus der eigenen Fraktion und Regierungskoalition, und trotzdem waren wir der Auffassung, dass wir richtig liegen, und die Mehrheit der Partei hat diesen Kurs unterstützt.
    In einer Demokratie werden Streitfragen immer mit Mehrheit entschieden. Das ist ganz normal. Und ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Partei hinter dieser Bundeskanzlerin steht.
    Grieß: Sie sagen, Sie halten durch und stehen, so wie Ihre Chefin auch, wie die Kanzlerin es gesagt hat. Derweil bleiben die Grenzen offen?
    Altmaier: Wir haben ja einiges getan, um jedenfalls diejenigen wieder schneller zurückführen zu können, die keinen Anspruch auf Asyl haben. Wir haben einiges getan, um die Anreize, etwa aus den Staaten des ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland zu kommen, zu senken. Wir haben gestern gesehen, dass es Fortschritte gibt in den Gesprächen mit der Türkei. Das heißt, es bewegt sich gerade sehr, sehr viel.
    "Wir haben keine offenen Grenzen"
    Grieß: Das ist alles Vergangenheit. Jetzt geht es darum, ob die Grenzen in Zukunft offen bleiben.
    Altmaier: Na ja. Wir haben keine offenen Grenzen. Man kann in Europa nur keine Zäune und keine Mauern bauen. Es gibt ja Kontrollen an den Grenzen etwa auch zu Österreich, die wir gemeinsam eingeführt haben. Aber - und das hat auch der bayerische Ministerpräsident gesagt - in einer Europäischen Union, die vielfältig miteinander verbunden ist, können Sie keine Zäune und keine Mauern mitten durch Europa zwischen Österreich und Deutschland oder zwischen Deutschland und Frankreich ziehen.
    "Wenn jemand in Not ist, dann werden wir ihn helfen und weisen ihn nicht ab"
    Grieß: Dann bauen Sie stattdessen Zentren, Aufnahmezentren etc. Solche Ideen gibt es ja auch. Dann sind das alles nur Scheingefechte, weil alles so bleibt wie es ist?
    Altmaier: Nein. Das ist eine Diskussion darüber, dass man ein Verfahren anwendet, was es heute schon gibt für Menschen, die an Flughäfen ankommen und die aus sicheren Herkunftsstaaten kommen. Dieses Verfahren haben wir vor 15 Jahren etwa eingeführt und es hat sich sehr bewährt, weil diese Menschen dann gar nicht erst monatelang im Land sich aufhalten, sondern ein sehr schnelles rechtsstaatliches Asylverfahren bekommen.
    Das prüfen wir und das wird uns auch ermöglicht vom europäischen Recht. Die Koalition ist im Augenblick dabei, dies zu diskutieren, und ich glaube, das zeigt auch, dass wir an einem effektiven Grenzschutz interessiert sind. Aber noch mal: Wenn jemand flieht, wenn jemand in Not ist, dann werden wir ihm helfen und weisen ihn nicht ab.
    "Wir wollen, dass die Menschen in einem geordneten Verfahren zu uns kommen"
    Grieß: Der Ansatz lautet, wenn ich das richtig verstehe, Zäune sollen die anderen bauen, die Türken, die Griechen, die Italiener?
    Altmaier: Ich habe in dem Dokument des Gipfels nichts von Zäunen gelesen. Können Sie irgendetwas zitieren, wo dort von Zäunen die Rede ist?
    Was wir gesagt haben ist, dass wir wollen, dass den Schleppern das Handwerk gelegt wird. Das tut im Übrigen auch die Bundespolizei an der Grenze zu Österreich. Wir wollen, dass die Menschen in einem geordneten Verfahren zu uns kommen, wenn wir sie schützen wollen. Ich glaube, das ist auch mit allen Standards von Flüchtlings- und Menschenrechtspolitik in hohem Maße vereinbar. Ich habe nirgendwo gelesen, dass wir Zäune und Mauern bauen.
    Grieß: Herr Altmaier, ist ein Teil der Hoffnung auch der Winter mit den kälteren Temperaturen, dass sich dann weniger Flüchtlinge auf den Weg nach Deutschland machen?
    Altmaier: Ich weiß nicht, was der Winter bringen wird. Wir machen jedenfalls keine Politik, die sich nach den Zufälligkeiten des Wetterberichtes ausrichtet.
    Der entscheidende Punkt wird sein, dass die Menschen zu dem Ergebnis kommen, sie müssen nicht unbedingt nach Europa, sie können auch in der Türkei warten, bis dieser Krieg vorüber ist. Wenn sie diesen Eindruck nicht haben, dann werden auch kalte Temperaturen sie nicht abhalten können. Und umgekehrt: Wenn die Menschen Zutrauen darin haben, dass Europäer und Türkei gemeinsam für sie Verantwortung übernehmen vor Ort, dann werden viele von ihnen sich nicht auf die gefährliche Reise machen.
    "Beim BND sind einige Dinge schiefgelaufen"
    Grieß: Der Kanzleramtschef Peter Altmaier im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
    Herr Altmaier, wir haben noch ein kurzes anderes Thema. Es gibt Berichte darüber, dass der Bundesnachrichtendienst Freunde ausspioniert haben soll. Es ist die Rede von den Franzosen, von den Amerikanern. Der Bundesnachrichtendienst untersteht dem Bundeskanzleramt. Das soll bis 2013 gelaufen sein. Wussten Sie davon?
    Altmaier: Wir haben über diese Fragen, die sich naturgemäß nicht für öffentliche Diskussionen eignen, die zuständigen parlamentarischen Gremien informiert, wie das unsere Pflicht ist.
    Ich habe bereits im Frühjahr, im Mai darauf hingewiesen, dass beim BND einige Dinge schiefgelaufen sind und dass diese Dinge aufgeklärt werden, und genau darüber haben wir die parlamentarischen Kontrollgremien unterrichtet. Die werden sich dazu ein Urteil bilden.
    Grieß: Dann wird es möglicherweise irgendwann auch an die Öffentlichkeit gelangen. Sie könnten aber jetzt schon, wenn Sie mögen, beantworten, ob das Kanzleramt davon wusste, oder ob der BND das Kanzleramt hintergangen hat.
    Altmaier: Noch einmal: wir haben solche Anfragen jeden Tag. Aber es bleibt dabei, dass es bei Fragen, wo auch deutsche Interessen mit auf dem Spiel stehen, keine öffentliche Erörterung in Rundfunkinterviews gibt, sondern es wird mit den zuständigen Parlamentariern (übrigens auch denen der Opposition) darüber sehr offen und sehr umfänglich gesprochen, aber nicht beim Deutschlandfunk morgens zur Frühstückszeit.
    "Dieses Diktum gilt"
    Grieß: 7:29 Uhr ist es. Jetzt haben wir kurz über die Vergangenheit gesprochen. Gilt denn das Diktum, Ausspähen unter Freunden geht gar nicht, für die Zukunft?
    Altmaier: Das hat die Bundeskanzlerin so gesagt und dieses Diktum gilt.
    Grieß: Danke schön! - Peter Altmaier, Kanzleramtschef, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Herr Altmaier, danke schön für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.