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Katholischer Querdenker Adolf Holl
Der rebellische Priester

Als Adolf Holl 1976 im Fernsehen verkündet, den Zölibat gebrochen zu haben, wird er als katholischer Priester suspendiert. So mancher verehrt Holl seitdem als scharfsinnigen Kirchenkritiker. Andere verdammen ihn - doch der Begriff "Ketzer" sei für ihn eine Schmeichelei, sagt der 87-Jährige.

Von Christian Röther | 05.03.2018
    Der österreichische Theologe Adolf Holl im Gespräch
    Der österreichische Theologe Adolf Holl im Gespräch (Rainer Friedl / friedlundpartner.at )
    "So wie ich den Kirchenkritiker sehe, legt er hier und da, wenn es an der Zeit ist, sein Fingerlein auf eine wunde Stelle und der Patient zuckt zusammen. Und dann freut sich der Kirchenkritiker. Aber im Übrigen hat er auch Freundliches zu sagen."
    Der spätere Kirchenkritiker Adolf Holl wird 1930 in Wien geboren. Er wächst ohne Vater auf, interessiert sich erst für die Hitlerjugend, dann für die katholische Kirche. Während Nazideutschland den Krieg verliert, wird der junge Adolf Messdiener - und in den 50ern katholischer Priester. Doch bald beginnt Adolf Holl, sich mit der Kirche anzulegen, etwa Anfang der 70er mit seinem überraschenden Bestseller "Jesus in schlechter Gesellschaft".
    "Jesus, wie er auf Erden wandelte, war sicher keiner, der eine Priesterkirche stiften wollte", erinnert sich Adolf Holl in einem Interview, das die Stadt Wien vor einigen Jahren veröffentlichte: "Familie, Priesterschaft, soziale Schichtung, Politik - das war dem Herrn Jesus eigentlich gleichgültig."
    Jesus als "heiliger Anarchist"
    Im Vorwort zur Neuauflage von "Jesus in schlechter Gesellschaft" schreibt Adolf Holl:
    "Erst später wurde mir klar, dass ich aus Jesus Christus einen heiligen Anarchisten gemacht hatte. Zu diesem Jesus lässt sich nicht beten. Er ist fremd, irritierend, wild und schön, eine Stimme von einem anderen Stern, ein kosmischer Pilger, der in der Wüste gelandet ist, zur Verwunderung der Nomaden. Wer ihm einmal begegnet ist, fühlt sich auf der Erde nicht mehr ganz heimisch."
    Auch in der katholischen Kirche fühlt sich Adolf Holl nicht mehr ganz heimisch. In den "wilden 60ern" entdeckt der Priester die Frauen und die freie Liebe - und erzählt davon in einem legendären Interview im Österreichischen Fernsehen. Holl erinnert sich Jahrzehnte später:
    "'Aha, Sie kommen jetzt auf den Zölibat zu sprechen. Da darf ich daran erinnern, dass ich den Zölibat sehr wohl gehalten habe.' Habe ich eine Pause gemacht, eine wirkungsvolle. Geraucht habe ich natürlich auch noch dazu und im Dialekt habe ich auch noch geredet. Und habe gesagt: 'Allerdings muss ich hier in der Vergangenheitsform sprechen. Seither hat sich mein Horizont beträchtlich erweitert', habe ich gesagt."
    Adolf Holl
    "Erst später wurde mir klar, dass ich aus Jesus Christus einen heiligen Anarchisten gemacht hatte", sagt Adolf Holl (Rainer Friedl / friedlundpartner.at )
    In den 70ern wird es der katholischen Kirche zu bunt. Sie entzieht Adolf Holl die Lehrerlaubnis und suspendiert ihn als Priester. Also schreibt Holl Bücher - bis heute. Noch mit Ende 80 tippt er fast täglich zwei, drei Stunden auf der Schreibmaschine. Holl arbeitet an seinem 33. Buch. Es soll das letzte sein: ein Buch pro Lebensjahr des Jesus von Nazareth.
    "Ich habe das für einen Blödsinn gehalten"
    Manchmal rufen auch Journalisten an - zum Beispiel um zu fragen, warum Adolf Holl nie aus der Kirche ausgetreten ist:
    "Ich habe vielleicht ein einziges Mal in einem Augenblick des Ärgers und der Schwäche daran gedacht, aus der Kirche auszutreten, habe das aber für einen Blödsinn gehalten, weil diese Kirche etwas so Starkes ist oder Gefühlsbeladenes ist, dass es ein Fehler gewesen wäre, dieser Mächtigen den Rücken zu kehren."
    Für seine Kritik an der Kirche ist Adolf Holl trotzdem scharf kritisiert worden - so mancher nannte ihn einen Ketzer. Er kontert: "Das ist für mich fast schon eine Schmeichelei."
    "Drehbuch für den Papst"
    Mittlerweile allerdings blickt Adolf Holl recht zufrieden auf einige Entwicklungen in der katholischen Kirche:
    "Ich habe in einem meiner Bücher - 'Falls ich Papst werden sollte' - Sachen hineingeschrieben, die fast wie ein Drehbuch für den jetzigen Papst empfunden werden können. Daher werde ich also nicht sagen, dieser jetzige Papst ist eine Null. Im Gegenteil."
    Auch seine Religiosität hat Adolf Holl nicht aufgegeben. Mit zunehmendem Alter habe er sich der christlichen Mystik zugewandt, der Kontemplation. Holl sucht die Gegenwart Gottes. Schon eines seiner ersten Bücher nannte er "Mystik für Anfänger".
    "Das heißt also, bevor ich mich schlafen lege, versuche ich diese Kunst - ich nenne es hier ausdrücklich Kunst - sich in die Gegenwart Gottes zu versetzen, zu üben."
    "Auf Dauer hilft nur Aufklärung"
    Tippt man Adolf Holls Namen in eine Internet-Suchmaschine ein, dann entdeckt man immer wieder eine ihm zugeschriebene religionskritische Aussage:
    "Je religiöser ein Mensch, desto mehr glaubt er; je mehr er glaubt, desto weniger denkt er; je weniger er denkt, desto dümmer ist er; je dümmer er ist, desto leichter kann er beherrscht werden. Das gilt für Sektenmitglieder ebenso wie für die Anhänger der großen Weltreligionen mit gewalttätig intolerantem 'Wahrheits-'Anspruch. Dagegen hilft, auf Dauer, nur Aufklärung."
    Autor: "Ja, Sie kennen es. Ich muss es Ihnen jetzt nicht ganz ..."
    Holl: "Ich kenne das Zitat. Es amüsiert mich, weil ich ziemlich sicher bin, dass es nicht von mir ist."
    Autor: "Das wollte ich Sie fragen."
    Holl: "Aber es ist mir, es ist - ich könnte es auch geschrieben haben."
    Oder gesagt haben, denn Adolf Holl ist in Österreich auch als Fernsehmoderator bekannt geworden.
    Adolf Holl
    Adolf Holl wurde in Österreich auch als Fernsehmoderator der Sendung "Club 2" bekannt (Rainer Friedl / friedlundpartner.at )
    Über 70 Mal moderierte er im ORF den "Club 2", eine Diskussionsrunde zu ganz unterschiedlichen Themen. Gast war zum Beispiel der Aktionskünstler Joseph Beuys.
    Joseph Beuys: "Nein, wir sind nicht verloren, wir sind gerettet. Wir sind deswegen gerettet …"
    Adolf Holl: "Aus, aus, Schnitt, Schnitt!"
    Sechs Intellektuelle sitzen in schweren senffarbenen Ledersesseln, rauchen und debattieren zweieinhalb Stunden lang. Fernsehen aus einer anderen Zeit, den 80ern.
    Adolf Holl: "Für mich war das Wort 'Wir sind gerettet' eigentlich das Schlusswort. Und das wiederhole ich ..."
    Joseph Beuys: "Ja."
    Adolf Holl: "… und gebe es zu bedenken."
    "Meine Mutter habe ich im Kopf"
    Adolf Holls Lebensweg regt zum Nachdenken an - auch in Form der Biografie, die der Journalist Harald Klauhs verfasst hat. Darin begegnet man einem freigeistigen Geistlichen. Er ringt Zeit seines Lebens mit der Kirche, mit Jesus, mit der Religion. "Bilanz eines rebellischen Lebens", so heißt die Biografie. Sie ist auch deshalb lesenswert, weil sich in Holls Lebensweg die Zeitgeschichte der vergangenen 100 Jahre spiegelt. Und auch Holl-Fans dürften viele neue Details erfahren.
    Autor: "Gibt es noch etwas, was ganz wichtiges, was wir jetzt vielleicht nicht erwähnt haben? Wo ich vielleicht nicht drauf gekommen bin oder so, was Sie noch im Kopf haben?"
    Adolf Holl: "Meine Mutter habe ich im Kopf. Ich sehe mich noch mit ihr in der Küche sitzen - es war ungefähr um die Zeit vor meiner Reifeprüfung - da habe ich meiner Mutter gesagt: 'Ich spiele mit dem Gedanken, mich zum Priester weihen zu lassen.' Und dann hat meine Mutter gesagt: 'Das ist eine Entscheidung fürs Leben.' Das weiß ich wörtlich. Und dann haben wir beide geweint. Das wollte ich Ihnen noch sagen."
    Harald Klauhs: Holl - Bilanz eines rebellischen Lebens
    Residenz Verlag, 368 Seiten, 28,00 Euro.
    Das Buch erscheint am 27.02.2018.