Samstag, 11. Mai 2024

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"Kein Versuch, die NATO in Frage zu stellen"

Jürgen Liminski: Wilhelm Hennes, einer der großen Politologen Deutschlands, hat die normale Politik einmal recht eigenwillig definiert als Weiterwursteln, Verhindern von Üblerem, in Gang halten von notwendigen Abläufen. Gilt das auch für die internationale Politik und insbesondere für die NATO, oder kann man dieses Bündnis so reformieren, dass es einen Beitrag zur Weltordnung leisten kann? Die Frage geht an Hans-Ulrich Klose, stellvertretender Vorsitzender des auswärtigen Ausschusses. Zunächst einmal guten Morgen Herr Klose.

Moderation: Jürgen Liminski | 14.02.2005
    Hans-Ulrich Klose: Guten Morgen!

    Liminski: Herr Klose, muss die NATO reformiert werden?

    Klose: Ich glaube es macht immer mal Sinn, darüber nachzudenken ob die Strukturen, die sich über Jahrzehnte herausgebildet haben, heutigen Gegebenheiten und Herausforderungen angepasst werden müssen. Aber insgesamt glaube ich ist die NATO ein Bündnis, das sich als äußerst erfolgreich erwiesen hat und es sollte jedenfalls alles vermieden werden, um dieses Bündnis in Frage zu stellen.

    Liminski: Ein Satz - ich zitiere mal - aus der Rede des Kanzlers: Die NATO ist nicht mehr der primäre Ort, an dem die transatlantischen Partner ihre strategischen Vorstellungen konsultieren und koordinieren. Solch ein Satz klingt nicht nur wie eine Kritik, sondern auch wie eine Forderung, neue Orte zu suchen und zu finden. Welche könnten das denn sein?

    Klose: Ich glaube, dass der Satz des Kanzlers zunächst einmal eine Zustandsbeschreibung ist, wie er die NATO heute sieht. In der Tat kann man sagen, dass zum Beispiel der NATO-Rat nicht mehr die Rolle hat, die er während des Kalten Krieges hatte, als sozusagen alles, was wichtig war, dort abgesprochen wurde. Nur glaube ich nicht, dass man dazu eine Reform der Strukturen braucht oder das Nachdenken über andere Orte. Jedem Mitglied der NATO steht es frei, die Tagesordnung mitzubestimmen, und natürlich könnte die deutsche Bundesregierung, wenn sie das Gefühl hat, es gäbe Themen, die dort beraten werden müssten, die zur Tagesordnung anmelden. Dann wird der NATO-Rat wieder genau der Ort, der er sein sollte.

    Liminski: Diese Zustandsbeschreibung des Kanzlers der NATO kommt zu einem Zeitpunkt, da manches in eine andere Richtung lief. Deshalb war man in München ja auch überrascht und es gab Schlagzeilen wie "will der Kanzler die NATO beerdigen?". Sollte man solche Initiativen nicht vorher mit den Verbündeten absprechen, gerade in der NATO?

    Klose: Ich gehe mal davon aus, dass es mindestens Gespräche am Rande von Sitzungen gegeben hat, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass ein solcher Satz, der natürlich kommentiert werden muss, einfach so ins Blaue hinein gesagt worden ist. Mir schien allerdings in der Tat, dass zum Beispiel der amerikanische Verteidigungsminister, der ja in München anwesend war, so verdutzt war, dass er eine Stellungnahme zu diesem Satz nicht abgeben wollte und das spricht dafür, dass es Konsultationsbedarf gibt, genau den Bedarf, den der Kanzler anmahnt.

    Liminski: Verteidigungsminister Rumsfeld sagten Sie gerade schien etwas verstört, auch wenn er meinte das sei wie die Musik von Wagner und klinge schlimmer als es sei. Könnte diese Initiative, die unser Außenminister dann ja am nächsten Tag noch bekräftigte, das deutsch-amerikanische Verhältnis wieder irritieren und wie könnte man das verhindern?

    Klose: Eine Irritation könnte nur eintreten, wenn man in der Tat dahinter mehr vermutet als man vermuten darf. Wenn dahinter steht, dass die NATO insgesamt in Frage steht, dann wäre es ein dramatischer Punkt, aber so sehe ich das überhaupt nicht und so haben das die meisten Teilnehmer an der Konferenz auch nicht gesehen. Es wurde ja gleich nachgefragt nach der Bedeutung dieses Satzes und unser Verteidigungsminister Struck hat wie ich finde völlig zurecht darauf hingewiesen: es ist mehr eine Momentaufnahme, eine Zustandsbeschreibung, aber um Gottes Willen kein Versuch, die NATO in Frage zu stellen. Er hat im Gegenteil gesagt, aus seiner Sicht sei die NATO unverändert die wichtigste Allianz, die es gebe, für den Weltfrieden und das kann ich nur unterstreichen.

    Liminski: Was sind denn die Aufgaben der NATO heute? Kann ein Verein mit 26 Mitgliedern in den selben Strukturen weiter machen wie bisher? Das ist ja auch für die EU schon schwierig bis unmöglich.

    Klose: Das ist schwierig zugegeben, aber die eigentlichen Schwierigkeiten der NATO ergeben sich aus der Tatsache, dass wenn man so will der Feind, gegen den die NATO ursprünglich gegründet wurde, die Sowjetunion, nicht mehr existiert. Seit dieser Zeit hat die NATO in der Tat einige Probleme gehabt, nicht zuletzt weil die Europäer anders als die Amerikaner die so genannte Friedensdividende kassiert haben, während die Amerikaner ihre Streitkräfte modernisiert haben. Das heißt die Fähigkeiten innerhalb des Bündnisses sind auseinandergelaufen und es gab eine Zeit lang den Eindruck, dass die Amerikaner das Interesse an der NATO verlieren könnten, oder aber die NATO so wie der frühere Außenminister Powell eher als politisches Bündnis gesehen haben denn als militärisches. Mir scheint aber, dass das in der letzten Zeit wieder in eine andere Richtung geht. Es wird gesprochen von einer Revitalisierung der NATO und wenn der Satz des Kanzlers dazu beiträgt, dass die Bemühungen um eine Wiederbelebung des Bündnisses an Fahrt gewinnen, dann hätte er am Ende sogar sein Gutes.

    Liminski: Der Feind ist abhanden gekommen. Man hat aber bisweilen das Gefühl, die Welt sei seit dem Ende des Ost-West-Konflikts, der ja irgendwie kalkulierbar war, nicht sicherer geworden.

    Klose: Richtig!

    Liminski: Liegt das nur an der Unberechenbarkeit des Terrorkriegs? Kann die Welt mit der neu gewonnenen Freiheit nichts anfangen?

    Klose: Na ja, es ist in der Tat so, dass wir es mit Herausforderungen zu tun haben, die den klassischen Vorstellungen von Krieg nicht mehr entsprechen. Der internationale Terrorismus ist ein unberechenbarer Feind, der zuschlägt wo es gerade günstig ist, wo er möglichst viel Schaden anrichten kann. Dazu kommt die zunehmende Gefahr der Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln. Die Kontrolle scheint nicht zu funktionieren und es gibt mehr und mehr Staaten, die entweder zerfallen oder zu sogenannten Schurkenstaaten werden, wie die Amerikaner das bezeichnen. Dieses ganze Spektrum macht die Situation unübersichtlich, zeigt aber, dass wir uns auf eine Strategie einrichten müssen, die nicht ausschließlich und nicht einmal in erster Linie militärisch ist, sondern politisch mit militärischen Elementen.

    Liminski: In diesem Spektrum, das Sie gerade aufzeichnen, spielen wahrscheinlich doch eine herausgehobene Rolle so nukleare Schwellenländer wie Nordkorea und Iran. Wie soll man denn mit denen verfahren? Sind das nicht Themen für die NATO?

    Klose: Erstaunt war ich, dass das Thema Nordkorea in München so gut wie keine Rolle gespielt hat, während über Iran gesprochen wurde. Ich hatte den Eindruck, um ganz offen zu sein, dass insbesondere die Amerikaner nicht recht wissen, wie sie sich einstellen sollen insbesondere zum Thema Iran. Sie sprechen sehr hart. Sie unterstellen, dass der Iran ganz eindeutig eine Nuklearmacht werden will, eine militärische. Sie beklagen, wie ich finde, zu einem guten Teil zurecht die Terroraktivitäten oder Unterstützung, die vom Iran ausgeht. Sie wissen aber nicht so recht, welches Rezept sie in der Hand haben, um mit diesem Problem umzugehen. Jedenfalls war es erstaunlich, dass auf viele Hinweise von europäischer Seite es keine amerikanische Resonanz gab. Keiner der anwesenden Senatoren hat dazu irgend etwas gesagt und das fand ich war ein Mangel.

    Liminski: Sie stellen eine Diskrepanz zwischen Sprache und Optionen fest?

    Klose: Richtig. Es gibt einen gewissen Unterschied. In Amerika gibt es eine Neigung, sofort mit einem Sanktionsregime gegen den Iran zu operieren, während die Europäer wie bekannt versuchen, mit Iran zu verhandeln, um ihn davon abzubringen, Nuklearmacht zu werden. Nur gibt es einen Punkt, an dem man nicht vorbei kommt. Dieser politische Versuch kann nur gelingen, wenn an irgendeiner Stelle, die ich noch nicht definieren kann, die Amerikaner sich einklinken, denn wann immer es um Sicherheit geht, sind es vor allen Dingen die Amerikaner, die liefern müssen, und nicht die Europäer.

    Liminski: Aber im Prinzip sind Sie doch für eine politische Lösung im Iran?

    Klose: Ja. Ich glaube sogar, dass sie gelingen kann und deshalb halte ich es für dringlich, dass mit Amerika eine gemeinsame Strategie abgesprochen wird. Es könnte eine Zwei-Phasen-Strategie werden: wir machen einen politischen Versuch. Die Amerikaner werden sich zu einem bestimmten Zeitpunkt beteiligen, so dass die Dinge angemessener verteilt werden. Wenn das gut geht, ist es gut. Wenn es scheitert, könnte die Phase II beginnen, dass wir dann übereinstimmend und miteinander vor den UN-Sicherheitsrat gehen und andere Maßnahmen beschließen müssen.

    Liminski: Wäre das im Rahmen der NATO möglich?

    Klose: Ja. Die NATO müsste unbedingt beteiligt sein. Aber wenn es ein Beschluss des UN-Sicherheitsrates ist, dann geht es natürlich darüber hinaus, denn der würde sich an alle Staaten dieser Welt richten.

    Liminski: Hat die NATO nur Sicherheitsfunktionen, oder auch eine Mission, also zum Beispiel Demokratie und Freiheit zu propagieren, oder ist das ein ausschließliches Aktionsfeld der UNO?

    Klose: Jedenfalls im Kalten Krieg hatte die NATO erst eine militärische Strategie. Aber sie hatte seit den 60er Jahren auch eine politische Strategie und ich glaube in der Tat, dass es Sinn machen würde, über eine ähnliche Doppelung der Strategie, politisch zuerst und militärisch in zweiter Linie, miteinander zu sprechen, denn die neuen Herausforderungen sind von einer Art, wo man ganz viel bedenken muss: zur gleichen Zeit regionale Gesichtspunkte, globale, man muss sehen, was in den Staaten selber geschieht. Das ist höchst kompliziert und bedarf der genauen Absprache. Sonst ist diese Herausforderung nicht zu bestehen.

    Liminski: Eine letzte Frage, Herr Klose, die in die Parteienlandschaft hierzulande führt. Haben Sie eine Meinung zu der Visa-Affäre des auswärtigen Amtes? Hätte man den Missbrauch sofort nach den ersten Warnungen stoppen sollen?

    Klose: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Zunächst einmal war das, was das auswärtige Amt gemacht hat, ja ein Versuch, aus dem ewigen Dilemma heraus zu kommen, dass man einerseits Reisefreiheit haben will, andererseits aber Sicherheitsgesichtspunkte zu beachten hat. Viele Abgeordnete, die heute kritisieren, gehörten auch zu denen, die immer mal wieder Visa-Fälle an das auswärtige Amt herantrugen und sagten ihr seid zu restriktiv, müsst großzügiger sein. Es hat Warnungen gegeben. Vielleicht hätte man früher reagieren müssen. Man hat aber inzwischen reagiert und ich finde aus der Tatsache, dass etwas schief gelaufen ist und korrigiert wird, muss man nicht eine so dramatische Affäre machen, wie das gegenwärtig der Fall ist.

    Liminski: Das war der SPD-Politiker Hans-Ulrich Klose, stellvertretender Vorsitzender im auswärtigen Ausschuss. Besten Dank für das Gespräch, Herr Klose!

    Klose: Nicht zu danken. Auf Wiederhören!