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Keltenschwert im Lichtdom

Im Museum darf man eines vor allem nicht: anfassen. Dabei wäre es doch toll, besonders kleinere Objekte mal in die Hand nehmen zu können – zum Beispiel, um Details auf der Oberfläche besser zu erkennen. Bei der Stuttgarter Landesausstellung "Die Welt der Kelten" geht das mit dem Anfassen jetzt – zumindest virtuell.

Von Michael Gessat | 22.12.2012
    "Es ist für mich immer wieder faszinierend: In der Ausstellung ist das Originalobjekt zu sehen – und da erkennt man gar nix drauf. Das ist einfach ein grauer Block, auf dem man eigentlich keine Details erkennen kann. Und es ist sehr klein, in der Vitrine drin, von einer Seite beleuchtet, also das ist schon ein Aha-Effekt, wenn man dann auch ein bisschen vergrößert die Sache angucken kann."

    Der kleine graue Block, den Bernd Eberhardt, Professor an der Hochschule der Medien in Stuttgart, da beschreibt, ist ein Highlight der Keltenausstellung – ein fünf Mal drei Zentimeter kleiner Textilfetzen, über 2000 Jahre alt und entsprechend empfindlich: Eine heftige Erschütterung oder unvorsichtige Berührung würde das überaus seltene Stück im wahrsten Sinne des Wortes zu Staub zerfallen lassen. Aber schon bei seiner Herstellung muss der Brokatstoff etwas sehr kostbares gewesen sein: Die aufwendige Webart kann der Ausstellungsbesucher auf einem Touchscreen entdecken; auf einem Tablet-Computer, der neben der Vitrine in einer Säule eingelassen ist.

    Mit den üblichen Fingergesten lässt sich hier in eine hochaufgelöste Abbildung des Stofffragmentes hinein- und herauszoomen. Vor allem aber kann der Betrachter mit dem Finger die Lichtsituation individuell einstellen und mit ihr experimentieren. Florian Mozer hat als Doktorand der Medienhochschule an der Visualisierung mitgearbeitet:

    "Wenn man ein Objekt hat, das feine Rillen hat oder eben auch eine Struktur in der Oberfläche, und man dann das Licht, die Richtung, aus der das Licht auf das Objekt drauf fällt, ändert, dann bekommt man einen sehr plastischen Eindruck von der Oberfläche. Durch die Beschattung, die die Oberfläche auf sich selber gibt, durch die Helligkeitsunterschiede, oder wenn man das Licht sehr stark ins Schlaglicht bringt, kommen diese einzelnen Strukturen, die auf der Oberfläche drauf sind, sehr deutlich zum Vorschein."

    Auch beim zweiten Objekt, das die Stuttgarter digitalisiert haben, einem Keltenschwert mit fein ziselierten Mustern: Das Betrachten erlebt man mit dem Touchscreen so, als würde man das Exponat selbst in der Hand drehen und kippen. Und in der Tat hat Professor Eberhardt im Vorfeld eine Menge gekippt und gedreht – seine Lichtquellen nämlich:

    "Wir scannen quasi mit Licht die Objekte, indem wir aus verschiedenen Lichtrichtungen die Objekte beleuchten und dann Fotografien machen, sehr detailreiche Fotografien, und es entstehen dann so an die 300 einzelne Fotografien von diesen Objekten aus unterschiedlichsten Lichtrichtungen."

    "Light Stage" – Lichtbühne nennt sich das Verfahren, erfunden hat das der amerikanische Informatiker und Computergrafiker Paul Debevec – und in nahezu jedem aktuellen Hollywood-Actionfilm dient es dazu, computergenerierte Akteure in jeder möglichen Lichtsituation und damit realistisch darstellen zu können.

    Auch was die Stuttgarter Museumsbesucher auf dem Touchscreen zu sehen bekommen, ist eigentlich eine Computergrafik: Die 300 hochaufgelösten Fotografien in Echtzeit zu verarbeiten, wäre nämlich undenkbar - jedenfalls auf einem Tablet-Computer. Die Daten müssen also intelligent aufbereitet werden:

    "Für jeden Pixel wird letztendlich ein mathematisches Modell erstellt, das errechnen kann, wie dieser Pixel erscheint; je nachdem, aus welcher Richtung das Licht darauf fällt. Und aus diesem Modell wird letztendlich zur Anzeige wieder die Farbe errechnet, die das Bild dann darstellt."

    Eine Interpolation aus den Echtdaten also, die nicht hundertprozentig perfekt ist - aber das fällt nur beim Vergleich mit den Originalaufnahmen auf. Bei den Besuchern der Keltenausstellung jedenfalls kommt die virtuelle Lupe bestens an.

    Und auch die Kooperationspartner vom Landesmuseum Württemberg sind angetan – denn für sie ist die Digitalisierung und Präsentation nicht zuletzt eine Kostenfrage. Umfangreiche Hardwareanschaffungen sind bei einer künftigen Ausweitung des digitalen Zusatzangebots wahrscheinlich gar nicht nötig, meint Klaus Eberhardt:

    "Die meisten haben ja ihr Handy dabei oder ihr Smartphone, da können sie ihre eigenen Betrachter mitbringen, das ist auch eine Möglichkeit."

    Und die nötige App gäbe es dann zum Download beim Museumseintritt.

    "Wenn die Finanzierung da wäre…"

    Bei der nach wie vor aufwendigen Erfassung von Objekten will die Hochschule der Medien jedenfalls jetzt den nächsten logischen Schritt gehen – hin zur 3D-Lichtbühne:

    "Wir sind dabei, eine neue Light Stage zu bauen, im Januar haben wir wahrscheinlich unseren Prototyp hier, wo wir auch 3D-Scanning und rundrum die Aufnahmen gestalten oder aufnehmen können."