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Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?

Ambroise Thomas aus Metz war ein musikalisches "Wunderkind", das einem leistungsorientierten Musikerhaushalt entstammte und früh konsequent trainiert wurde. Er brachte zwanzig Opern auf den hart umkämpften Pariser Markt, doch sein durchschlagender Erfolg ist und bleibt "Mignon".

Von Frieder Reininghaus | 05.08.2011
    Den Freunden der klassischen Musik, die ihren Seelenhaushalt vorzugsweise mit Sinfonik und Kammermusik proviantieren, dürfte Ambroise Thomas kaum ein Begriff sein. Gleichwohl brachte dieser bereits in jungen Jahren unter anderem ein Streichquartett, ein Quintett und ein nicht minder beachtliches Klaviertrio auf den Markt. Aber sein Hauptbetätigungsfeld wurde von 1837 an das Musiktheater.

    Paris hört vor allem mit den Augen. So ist es kein Zufall, dass die Uraufführung von La Double Échelle an der Opéra-comique den Ruf des Komponisten Thomas begründete. Hector Berlioz rühmte den Einakter wegen seiner Finesse und der ambitionierten Dramaturgie. International bringt sich Thomas den Opernfreunden heute immer wieder mit "Mignon" und "Hamlet" in Erinnerung.

    Der in Metz am 5. August 1811 in einem Musiker- beziehungsweise Musiklehrerinnenhaushalt geborene Ambroise Thomas wurde zunächst von Vater und Mutter trainiert. Er absolvierte dann das Conservatoire als Schüler des einstmals hoch angesehenen Friedrich Kalkbrenner. 1832 gewann er den Prix de Rome sowie ein Italien-Stipendium. Zurückgekehrt nach Paris, ließ er dort an der Opéra-comique im Jahresabstand ein halbes Dutzend Opern folgen, darunter in Zusammenarbeit mit dem Großlibrettisten Eugène Scribe Le compte de Carmagnola.

    1848 beteiligte er sich aufseiten der Revolutionäre aktiv an den Aufständen in Paris. - Im Jahr darauf sorgte Le Caïd für den "Durchbruch": Thomas wurde, in der Nachfolge von Gaspare Spontini, Mitglied der Académie des Beaux-Arts.

    Der Aufstieg in die Spitzengruppe der französischen Musiker fällt in die Jahre Napoléons III. Ambroise Thomas erwies sich als Stütze der Gesellschaft und vermehrte die Flut der beliebten Massenchöre, die dem zweiten Kaiserreich als loyales Fundament dienten. Während des Krieges 1870/71 und der ihn begleitenden verschärften Klassenkämpfe in Paris, stellte er als Freiwilliger der Garde nationale patriotische Gesinnung unter Beweis. Seine Laufbahn wurde durch die Ernennung zum Direktor des Conservatoire gekrönt - ein Amt, das Thomas bis zum Tod 1896 bekleidete.

    1867 stellte die französische Regierung für die musikalische Abteilung der Weltausstellung in Paris eine internationale Jury zusammen, der unter dem Vorsitz von General Émile Mellinet und Vizepräsident Ambroise Thomas auch der Wiener Kritiker Eduard Hanslick angehörte. Der schrieb in seinen Lebenserinnerungen:

    Thomas, eine lange, hagere, etwas vorgebückte Gestalt, zeigte immer ein ernstes Gesicht. Grauer Vollbart und graues, langes Haupthaar, auf dem ein hoher schwarzer Gibus wie der schiefe Turm von Pisa saß. Zu seinem sanften, etwas melancholisch angehauchten Wesen passte der bedächtig schleifende Gang.

    Vier Opern aus der Mitte des 19. Jahrhunderts haben sich im internationalen Repertoire eingebürgert und bis heute auch auf deutschen Bühnen gehalten - gegen die Vorbehalte, die ihnen wegen des Umgangs mit "klassischen" Texten entgegengebracht wurde: Es handelt sich um Gounods "Faust", Bizets "Carmen" und eben die "Mignon" sowie den zwei Jahre nach dieser Goethe-Adaption herausgebrachten "Hamlet" von Thomas.

    Von seinen Werken, seinen Erfolgen sprach er niemals, äußerte auch nie ein boshaftes oder geringschätziges Wort über einen seiner Kollegen. In diesem Punkt habe ich die Franzosen überhaupt musterhaft gefunden und vorteilhaft abstechend von unseren deutschen Landsleuten.

    Wenigstens zwei weitere musikdramatische Arbeiten von Ambroise Thomas stehen heute in der Warteschleife der Kompositionen, die "wiederentdeckt" werden könnten, wenn ein Theater auf überregionale Aufmerksamkeit spekuliert. Es handelt sich um Psyché von 1857 und Françoise de Rimini von 1882.