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Kinder aus Zuwandererfamilien
Wie Lehrkräfte gute Leistung fördern können

Von Kindern mit Migrationshintergrund erwarten Lehrer weniger Leistung als von deutschstämmigen: Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Vielfalt im Klassenzimmer". Ausschlaggebend ist dabei, dass diese Vorurteile tatsächlich die Lernerfolge ihrer Schüler beeinflussen - und zwar negativ.

Von Christiane Habermalz | 06.07.2017
    Schülerin mit Migrationshintergrund meldet sich im Unterricht
    Anscheinend halten nur 61 Prozent der befragten Lehrkräfte Muslime für genauso bildungsorientiert wie sich selbst. (dpa / Waltraud Grubitzsch)
    Was erwarten Lehrerinnen und Lehrer von ihren Schülern, und inwieweit spielt diese Erwartung eine Rolle bei den tatsächlichen Leistungen der Kinder? In Bezug auf Schülerinnen und Schülern mit türkisch- oder arabischstämmigen Hintergrund hat die Studie der Bildungsforscher jetzt gezeigt: Lehrkräfte sind zwar in Bezug auf Migration und Vielfalt insgesamt liberaler eingestellt als der Durchschnitt der Bevölkerung. Doch von Kindern aus muslimischen Familien erwarten sie dennoch weniger Leistung als von deutschstämmigen Kindern – und zwar unabhängig davon, ob sie zu Beginn ihrer Schulzeit genauso gut sind wie ihre Klassenkameraden.
    Völlig unbewusste Stereotype
    "Wir haben festgestellt, nur 61 Prozent der befragten Lehrkräfte halten Muslime für genauso bildungsorientiert wie 'wir'", betont Naika Foroutan, stellvertretende Institutsdirektorin des BIM. Damit hätten die Lehrer zwar ein besseres Bild von muslimischen Familien als die Gesamtbevölkerung.
    "In jedem Fall ist es trotzdem ein irritierender Befund, denn es gibt sehr viele Studien gerade zu Bildungsaspirationen oder 'Immigrant Optimism', dass das eine der Kernsachen sind, die wirklich belegt sind, dass es diese hohe Bildungsaspiration bei migrantischen Schülern und auch ihren Eltern gibt."
    Diese Stereotype, die sich mit echten oder vermeintlichen Erfahrungen mischen und oft völlig unbewusst und hochautomatisiert ablaufen, bleiben nicht ohne Wirkung in den Klassenzimmern. In einer zusätzlichen Längsschnitt-Studie wurde über drei Jahre hinweg in 66 ersten Klassen die Kompetenzen der Schüler zu Beginn und zum Ende des Schuljahres getestet, sowie die Prognosen der Lehrkräfte abgefragt, wie sich die Kinder im Laufe des Jahres entwickeln würden.
    Negative Erwartungen übertragen sich auf Kinder
    In der Mitte des Schuljahres wurde die Lehrer-Kinder-Interaktion mittels Videomitschnitten überprüft. Dabei zeigte sich, dass Lehrer trotz gleicher Leistungen geringere Erwartungen an türkischstämmige Kinder hatten. Im Unterricht machte sich das unter anderem dadurch bemerkbar, dass sie türkischstämmige Schülerinnen und Schüler weniger oft aufriefen und etwas weniger Zeit mit ihnen verbrachten. Zudem übertragen sich die negativen Erwartungen auf die Kinder – und wirken wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, erklärt Cornelia Schu, Direktorin des SVR-Forschungsbereichs.
    "Wenn Kinder beobachten oder hören, dass jemand ihnen ein Leistung zum Beispiel in Mathematik nicht zutraut, dann kommt dieser Eindruck natürlich beim Mathematikunterricht oder Test hoch, Stress entsteht, ein sogenannter Tunnelblick kann die Folge sein, und das Kind ist hauptsächlich damit beschäftigt, diese negative Bedrohung des eigenen Selbstwerts abzuwenden und kann so nicht seine tatsächlichen Leistungen abrufen.
    Was aber kann man dagegen tun? Damit beschäftigten sich die Wissenschaftler in einer dritten Studie, in der sie eine an der Universität Stanford entwickelte Strategie auf deutsche Schulen anwandten. Sie ließen die Schüler von 50 Schulklassen an Sekundarschulen zu Beginn des 7. Schuljahres die Fragen beantworten: Was ist dir wichtig? In der Familie, mit Freunden, im Sport, etc. Danach sollten die Kinder noch einen Aufsatz darüber schreiben.
    "Bewusstsein an den Schulen schaffen"
    Diese Beschäftigung mit den eigenen positiven Ressourcen genügte, um eine Aufwärtsspirale in Gang zu bringen. Während die deutschstämmigen Schüler durch die positive Intervention keine Leistungsveränderungen zeigten, waren die Ergebnisse der türkisch- und arabischstämmigen Kinder bei einem nachfolgend geschriebenen Mathetest signifikant besser. Und der Effekt hielt auch acht Wochen später bei einem zweiten Test noch an, obwohl es keine weitere Intervention gegeben hatte, erklärte Cornelia Schu:
    "Die Leistung der türkischstämmigen Jugendlichen haben sich durch die Intervention den Leistungen ihrer Mitschüler ohne Migrationshintergrund ein Stück weit angeglichen, das heißt mit der Intervention kann die Leistungsdifferenz zwischen Schülerinnen und Schülern türkischer Herkunft und Schülern ohne Migrationshintergrund bereits nach acht Wochen um bis zu 43 Prozent reduziert werden."
    Die Handlungsempfehlungen der Bildungsforscher: "Bewusstsein für die Problematik an den Schulen schaffen, zum Beispiel durch Schulungen für Lehrkräfte im Umgang mit interkulturellen Differenzen, Stereotype in Schulbüchern vermeiden – und mehr Lehrer mit Migrationshintergrund einstellen.