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"Kinder werden zum Teil vor ihren Eltern sterben"

In Großbritannien sind derzeit 30 Prozent der Kinder zwischen zwei und 15 übergewichtig oder fettleibig – Tendenz steigend. Die Regierung hatte diese Zeitbombe schlicht übersehen oder nicht sehen wollen. Dann rüttelte Starkoch Jamie Oliver viele wach: Er zeigte, dass Kinder nicht mal Lauchstangen oder Rhabarber kannten.

Von Karl Tilofilovic | 29.04.2007
    Mittagszeit in Großbritannien. In den Schulkantinen stehen die Kinder an, um sich ihr Essen zu holen. Auf den Tellern landeten bis vor einiger Zeit vor allem frittierte Sachen – Pommes oder Chicken Nuggets. Doch damit ist seit Beginn dieses Schuljahres mehr oder weniger Schluss. Susan Gilmore, Schulköchin aus Preston im Nordwesten Englands...

    "Jahrelang haben wir immer das gleiche gemacht. Jetzt gibt es gesündere Sachen. Obst und Gemüse - wie damals, als ich zur Schule ging."

    Die Regierung schreibt inzwischen streng vor, was Schulen auf den Tisch bringen dürfen. Dazu gehören: täglich mindestens zwei Portionen Obst und Gemüse; dazu Brot, frisches Wasser und Saft – außerdem mindestens alle drei Wochen Makrele oder Lachs. Frittiertes Essen ist höchstens noch zwei Mal pro Woche erlaubt; Fast Food nur gelegentlich. Salz ist völlig verbannt. Reaktionen von Schülern...

    "Gut, dass alles gesund ist, Das alte Zeug, Burger und so, war total ungesund.

    Es ist okay, wenn sie wollen, dass wir gesund essen – mehr Obst und Gemüse. Aber ich denke, sie sind ein bisschen zu weit gegangen.

    Ich mag Pommes. Salat auch - aber nicht jeden Tag – Das wäre euhhh! "

    Zu verdanken haben die Schüler die kulinarische Revolution dem Starkoch Jamie Oliver. Er hatte 2005 die Nation geschockt, als er für seine Fernsehserie "Jamie’s School Dinners" Schulen im ganzen Land besuchte. Oliver zeigte, dass Kinder nicht mal Lauchstangen oder Rhabarber kannten. Pro Gericht gaben manche Schulen umgerechnet gerade mal gut 55 Cent aus. Ein Skandal, meint Jamie Oliver...

    "Kinder werden zum Teil vor ihren Eltern sterben. Sie leiden an Diabetes und Herzproblemen Unsere Kinder sind ungesünder als vor 20 Jahren. Wir haben einige der ungesündesten Kinder in Europa und der Welt. "

    Aus Angst um ihr Image griff die Regierung panisch in die Kasse. Sie stellte für die kommenden Jahre ungefähr 600 Millionen Euro bereit. Bildungsminister Alan Johnson:

    "Es beseitigt nicht das Problem übergewichtiger Kinder, aber es hilft. Wenn Kinder sich an das gesunde Schulessen gewöhnen, wirkt sich das auch aus auf ihre sonstige Ernährung."

    In Großbritannien sind derzeit 30 Prozent der Kinder zwischen zwei und 15 übergewichtig oder fettleibig – Tendenz steigend. Die Regierung hatte diese Zeitbombe schlicht übersehen oder nicht sehen wollen. Jamie Oliver hatte einen Nerv getroffen. Problem: eingefahrene Essensgewohnheiten ändern sich nicht auf einen Schlag. So verkauften Schulen in Wales oder in Glasgow plötzlich deutlich weniger Mahlzeiten, wenn gesundes Essen auf dem Plan stand...

    Und in einem Ort im nordenglischen Yorkshire nahmen Mütter sogar Bestellungen von Schülern auf – für die Frittenbude um die Ecke. Das Essen reichten sie dann den Schülern durch den Zaun. Mutter Julie Critchlow...

    "Die Kinder wollen ihr Essen frisch und warm geliefert bekommen. Wir geben ihnen, was sie wollen. "

    Mittlerweile hat sich die Aufregung ziemlich gelegt. Im Moment sieht es so aus, dass die Gesamtzahl der Schulmahlzeiten ganz leicht gesunken ist. Aber in den Schulen, die sich besonders um gesundes Essen bemühen, ist der Absatz zum Teil deutlich gestiegen. Pro Essen sollen Schulen jetzt mindestens 75 Cent ausgeben – viel zu wenig, meinen Kritiker. Die Regierung hat klar gemacht, dass ihr Feldzug gegen Fritten und Burger weitergeht. Unter anderem wird im Jahr 2008 Kochunterricht auf dem Lehrplan stehen; und ab Herbst dürfen Schulen keine Süßigkeiten mehr verkaufen und keine Snacks, die Salz oder Fett enthalten. Außerdem ist geplant, England mit einem Netz von Kochklubs zu überziehen. Starkoch Jamie Oliver wird bestimmt aufpassen, was daraus wird.