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Kipping: Die Themen waren "auch einfach überzeugend"

Katja Kipping, stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken, will sich auf eine gute Oppositionsarbeit im Bundestag konzentrieren. Es gelte, Widerstand gegen drohenden Sozialabbau, Einsparungen im Bildungsbereich und vermehrte Privatisierung auszuüben.

Katja Kipping im Gespräch mit Friedbert Meurer | 28.09.2009
    Friedbert Meurer: Einen Erachtungserfolg hat die Linke errungen mit über 12 Prozent der Stimmen. Am Telefon ist die stellvertretende Bundesvorsitzende Katja Kipping, guten Morgen, Frau Kipping!

    Katja Kipping: Einen schönen guten Morgen!

    Meurer: Was hat Sie über 12 Prozent gehievt? Die Schwäche der SPD?

    Kipping: Nein, ich glaube, zum Einen haben wir einfach auch einen richtig guten Wahlkampf gemacht in den letzten Wochen, haben bewusst auf ein Prinzip auch Aktivierung gesetzt und ich denke, dass die Themen, die wir in den Mittelpunkt gestellt haben, dass die auch einfach überzeugend waren. Und ich habe bei der einen oder anderen Wahlkampfveranstaltung in den letzten Tagen auch gesagt, ja, da wir leider noch keinen bundesweiten Volksentscheid haben, muss man halt die Bundestagswahl auch zu einer Art Volksentscheid über die Rente ab 67 und den Rückzug aus Afghanistan machen, und wer da mit "Ja" stimmen will, der kann das tun, indem er bei der Linken ein Kreuz macht. Und vielleicht war das ein bisschen überzeugend.

    Meurer: Nur ist die Verhinderung der Rente mit 67 jetzt in weite Ferne gerückt mit Schwarz-Gelb?

    Kipping: Mit Schwarz-Gelb droht natürlich viel Sozialabbau, Einsparungen wahrscheinlich auch im Bildungsbereich und Druck auf weitere Privatisierung, das ist klar. Wir werden jetzt als Linke sowohl, sage ich mal, gute Opposition im Bundestag machen, aber ich glaube, was es jetzt auch bedarf, ist, dass die Menschen, die von dem drohenden Sozialabbau betroffen sind, auch im Zweifelsfall auf die Straße gehen, um deutlich zu machen: Das könnt ihr so nicht durchziehen.

    Meurer: Was manche oder sogar viele vermuten, Frau Kipping: Wird es jetzt im Bundestag in der Opposition zwischen der SPD und Ihrer Partei, der Linken, zu einem Überbietungswettbewerb bei den sozialen Forderungen kommen?

    Kipping: Überbietungswettbewerb ist, glaube ich, der falsche Begriff, und die Frage, die sich tatsächlich stellt, ist ja erst mal: Welche Lehren zieht die SPD aus ihrer Wahlniederlage? Man müsste ja der SPD wünschen, dass sie die richtigen Lehren daraus zieht und sagt, nun ist es doch an der Zeit für eine Resozialdemokratisierung der SPD. Ob das mit dem jetzigen Personal so zu machen ist, weiß ich nicht.

    Meurer: Aber es liegt doch nahe, Frau Kipping, dass Sie immer mehr fordern werden als die SPD?

    Kipping: Ja, ich finde ja, dass Radikalität im Denken nicht immer nur dadurch zum Ausdruck kommt, dass man zahlenmäßig die höheren Forderungen macht, sondern ich denke, wir werden auch einfach inhaltlich konsequenter sein.

    Meurer: Inhaltliche Konsequenz, Frau Kipping – sollte es dereinst zu der Perspektive Rot-Rot-Grün oder Rot-Rot kommen: Ist, Ihrer Meinung nach, die Linke bereit, von Positionen Abstand zu nehmen, wie zum Beispiel Austritt aus der NATO?

    Kipping: Unsere Position war ja immer, die NATO überflüssig zu machen und zu ersetzen durch ein demokratischer organisiertes, kollektives Sicherheitsorgan. Momentan stellt sich ja die Frage so nach Regierungsbeteiligung auf Bundesebene sowieso nicht, aber wir haben eigentlich immer deutlich gemacht: Wir haben da keinen dogmatischen Zugang, aber wir sind auch keine prinzipienlosen Gesellen und Gesellinnen, sondern wir wollten schon deutlich machen – und ich glaube, dass es auch wichtig ist im Übrigen für die Demokratie im Land, dass nicht alle Wählerinnen und Wähler den Eindruck gewinnen, dass die Parteien nach der Wahl überhaupt nicht mehr interessiert, was sie vor der Wahl versprochen haben –, wir haben immer gesagt: Es gibt für uns Mindestbedingungen, die für eine Kooperation notwendig sind. Dazu gehört natürlich die Ausrichtung … eine Veränderung in der Außenpolitik, hin zu einer friedensorientierten Außenpolitik, …

    Meurer: Nur: Mit Austritt aus der NATO und sofortigem Abzug aus Afghanistan werden Sie mit der SPD nicht zusammenkommen.

    Kipping: Wie gesagt, zum jetzigen Zeitpunkt stellt sich ja die Frage nicht und die entscheiden… Bevor man ernsthaft auf Bundesebene über eine Zusammenarbeit nachdenken kann, stellt sich ja eh vor die SPD die Aufgabe einer Resozialdemokratisierung. Und lassen Sie mich das noch ergänzen, was ich persönlich auch sehr wichtig finde, um überhaupt über mögliche Regierungsbeteiligungen perspektivisch nachzudenken: Ich denke, dieses Land braucht endlich die Einführung eines bundesweiten Volksentscheides, weil damit endlich der Souveräne einer Demokratie entscheiden kann und das ist ja wohl die Bevölkerung.

    Meurer: Über was soll entschieden werden bei dem Volksentscheid?

    Kipping: Na, es muss überhaupt erst mal die Möglichkeit eingeräumt werden, dass es einen Volksentscheid geben kann, und dann muss das wie bei Bürgerentscheiden die Möglichkeit geben, dass durch Unterschriftensammlung Sachen zur Abstimmung gestellt werden können oder aber auch, dass es eine Verständigung bei grundlegenden Fragen gibt wie die Frage: Wollen wir jetzt einen flächendeckenden Mindestlohn? Wollen wir jetzt den Sanktionsparagrafen bei Hartz IV abschaffen? Ich finde, das wären Sachen, die könnte man auch in einer Volksabstimmung zur Abstimmung stellen.

    Meurer: Die Sozialdemokraten, Frau Kipping, erwägen einen Generationswechsel. Noch steht nicht fest, ob Franz Müntefering Parteivorsitzender bleibt. Braucht auch die Linke einen Generationswechsel an der Spitze?

    Kipping: Na, unsere Spitze hat ja erst mal bewiesen, dass sie recht erfolgreich Wahlkampf machen kann. Aber natürlich macht jede Partei – alles andere wäre ja, sage ich mal, verantwortungslos –, natürlich sorgen wir auch für eine entsprechende Personalpolitik, um auch in der Breite gut aufgestellt zu sein, und ich denke, in den Wahlkämpfen ist auch in den einzelnen Ländern deutlich geworden, dass die Linke durch sehr viele gute Gesichter vertreten wird.

    Meurer: Braucht die Linke ein weibliches Gesicht an der Spitze?

    Kipping: Auf jeden Fall sollte die Linke weiblicher werden. Ich würde das jetzt ungern auf ein Gesicht reduzieren wollen.

    Meurer: Katja Kipping, die stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken hier bei uns im Deutschlandfunk. Frau Kipping, schönen Dank und auf Wiederhören!

    Kipping: Wiederhören!