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Klare Verhältnisse

In Europa wird gern geheiratet - auch gern gemischt-europäisch: Pro Jahr trauen sich 13 Millionen binationale Paare. Bei der Scheidung wird es dann aber schwierig, denn bislang war nicht eindeutig geklärt, nach welchem Recht solche Paare geschieden werden. Ein grenzüberschreitendes Scheidungsrecht soll jetzt Abhilfe schaffen.

Von Franziska Rattei | 02.12.2010
    Es gibt viele unterschiedliche Hochzeitstraditionen in der Europäischen Union. Kein Grund, nicht innereuropäisch zu heiraten. Natürlich kann eine Ehe zwischen einer Deutschen und einem Spanier funktionieren. Falls das Paar aber am Eheleben scheitert und sich zur Scheidung entschließt, gilt – ja, was eigentlich?

    Im Idealfall ist sich das Paar einig: Beide wollen die Scheidung und einigen sich – in diesem Fall – auf das deutsche oder spanische Scheidungsrecht.

    Falls die Eheleute sich nicht verständigen können, wird es kompliziert. Und ungerecht, sagt EU-Justiz-Kommissarin Viviane Reding zum sogenannten Scheidungsshopping:

    "Der Ehepartner, der genug Geld hat für Reisen und gute Anwälte, sucht das Scheidungsrecht aus, das für ihn am günstigsten ist. Das ist natürlich ungerecht für den schwächeren Ehepartner. Und häufig auch ungerecht für die Kinder, die mitbetroffen sind."

    Ein echter "Scheidungstipp" sind die skandinavischen Länder. Das schwedische Scheidungsrecht beispielsweise ist so liberal, dass ein Brief ausreicht, um sich scheiden zu lassen. Die Zustimmung des jeweils anderen Ehepartners und ein Gerichtsverfahren sind nicht zwingend nötig. Diese einfache Art der Scheidung wollen die Schweden beibehalten und blockieren deshalb auch eine EU-weite Regelung. Schade, findet Eveylne Gebhard, sozialdemokratische EU-Parlamentarierin:

    "Das sind wirklich Pechvögel, dieses Bürgerinnen und Bürger. Und ich hoffe sehr, dass irgendwann die Justizministerinnen und Minister dieser Staaten sich auch klar werden, dass sie eben auch für ihre Bürger da sein müssen und nicht ihre Rechtsprinzipien im Kopf haben dürfen."

    14 andere EU-Mitgliedsstaaten dagegen haben sich zur sogenannten verstärkten Zusammenarbeit und einer gemeinsamen Verordnung entschlossen. Danach gilt, dass Menschen aus diesen Ländern bestimmte Rechte haben – egal, welche Nationalität ihr Ehepartner hat.

    Zu diesen Rechten gehört erstens die Rechtssicherheit. Die Scheidungswilligen sollen sicher wissen, welche Konsequenzen beispielsweise das deutsche oder das französische Scheidungsrecht für sie hat. Eveylne Gebhart, stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Justiz und Inneres:

    "Es gibt Staaten wie Deutschland oder Frankreich, in denen die Sorgerechtsfragen und Unterhaltsfragen gleichzeitig mit der Scheidung geregelt werden. Es gibt Staaten, in denen es getrennte Verfahren sind. Und das muss man wissen, wenn man sich entscheidet, um eine Wahl zu treffen."

    Außerdem sollen Landsmänner und -frauen aus den 14 kooperierenden Staaten selbst entscheiden dürfen, nach welchem Recht sie sich scheiden lassen wollen – vorausgesetzt, die Noch-Ehepartner sind sich einig. Für den Fall, dass beispielsweise José die Scheidung will, Brigitte aber nicht, sieht die neue Verordnung der 14 Mitgliedsstaaten klare Regeln vor. Besonders wichtig dabei: der Ort, an dem das Paar für gewöhnlich gelebt hat während der Ehe.

    Die Verordnung für die verstärkte Zusammenarbeit steht und könnte nach der Abstimmung im Rechtsausschuss abgeschlossen werden. Falls es keine Verzögerungen gibt, bedeutet das: Viele gemischt-europäische Ehen können ab Anfang 2011 gerechter geschieden werden. Für die übrigen Mitgliedstaaten, die nicht an der "verstärkten Zusammenarbeit" teilnehmen, ändert sich nichts. Aber – so hofft EU-Justiz-Kommissarin Viviane Reding:

    "Früher oder später werden die Mitglieder der Europäischen Union einsehen, dass die rechtliche Sicherheit bei Scheidungen sehr wichtig ist. Außerdem: Wir verändern mit dieser Verordnung ja nicht das nationale Recht. Jeder Staat kann sein eigenes Ehe- und Scheidungsrecht haben und beibehalten. Wir versuchen einfach nur, das Leben der Bürgerinnern und Bürger zu vereinfachen, die sich in Europa frei bewegen."