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Kleiner Detektor – riesige Aufgabe

Physik. - Im japanischen Tsukuba wurde der Grundstein für den SuperKEKB-Beschleuniger gelegt. An diesem Projekt sind viele deutsche Forscher beteiligt – ausgerechnet mit einer elektronischen Kamera, die man den Japanern zur Verfügung stellt. Was klingt, als trüge man Eulen nach Athen, ist ein Projekt, das sich der großen Frage widmet, warum es im Kosmos überhaupt Materie gibt.

Von Dirk Lorenzen | 18.11.2011
    Das Forschungszentrum KEK in Tsukuba, gut sechzig Kilometer nordöstlich von Tokio: Vor einer hübschen Bergkulisse stehen Bürohäuser und Werkstattgebäude – dazu vier Experimentierhallen, die durch eine Ringstraße verbunden sind. Elf Meter darunter verläuft der drei Kilometer lange Beschleunigerring. In einer der Hallen ist eine Maschine von den Ausmaßen eines großen Einfamilienhauses rundum eingerüstet. Unter einer blauen Ummantelung zeigen sich ockerfarbene Eisenelemente, in der Mitte klafft ein großes Loch. Überall liegen Bauteile und Werkzeug herum.

    "Wir stehen hier jetzt genau vor dem Detektor. Das sind die Kalorimeter und die Müonkammern – das sieht man noch. Hier ist also das Herz, hier ist das Experiment. Dann kommt der Strahl rein und hier passiert dann die Physik und das analysieren wir dann. Und hoffen wir dann in dreieinhalb Jahren den Detektor einzubauen und zum Laufen zu bekommen."

    Jochen Schieck arbeitet am Exzellenzcluster Universum an der Universität München. In der Hand hält der junge Physiker eine schuhkartongroße Kiste. Darin ein silberfarbenes gut daumendickes Rohr, das in einigen Millimetern Abstand von zwei hauchdünnen Metallschichten umgeben ist.

    "Der eigentliche Detektor ist sehr klein, etwa zehn Zentimeter, so groß wie eine Getränkedose. Aber die Signale, die da herauskommen, sind gewaltig und viel. Man braucht viele Kabel."

    Die Hightechdose ist das Herzstück der Belle-II-Maschine, durch die der Beschleunigerring künftig hindurch läuft. Elektrische Felder bringen dann die Teilchenpakete aus Elektronen und deren Antiteilchen, den Positronen, fast auf Lichtgeschwindigkeit. Riesige Magnete halten die Teilchen exakt auf Kurs, sodass sie mitten im Detektor frontal aufeinanderprallen. Bei der Kollision bilden sich andere Teilchen von Materie und Antimaterie – allerdings nicht exakt gleich viele. Es gibt einen winzigen Unterschied, der – so erklärt Christian Kiesling vom Max-Planck-Institut für Physik in München – lebenswichtige Folgen hat:

    "Aus dem Urknall heraus erwarten wir die gleiche Anzahl von Teilchen und Antiteilchen, also Materie und Antimaterie. Das Natürlichste, was passiert, mit diesen beiden Teilchen, ist, dass die sich zu Licht zerstrahlen. Dass Materie übrig bleibt, die sich also nicht zerstrahlt, muss seinen Grund darin haben, dass es etwas mehr Materieteilchen als Antimaterieteilchen gibt. Also eine Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie, die aus dem Urknall nicht zu erklären ist. Wir sind also praktisch das, was übrig geblieben ist im frühen Universum aus der Zerstrahlung von Materie und Antimaterie."

    Die Forscher sind ebenso verwirrt wie begeistert. Ihr Standardmodell beschreibt zwar recht gut die meisten Vorgänge in der Welt der kleinsten Teilchen, scheitert aber ausgerechnet beim Verhältnis von Materie und Antimaterie, der sogenannten CP-Verletzung. Offenbar gibt es noch völlig unbekannte physikalische Zusammenhänge, denen die Wissenschaftler aus Japan, Deutschland und einem Dutzend weiterer Staaten nun mithilfe der Teilchensorte B-Mesonen nachspüren wollen.

    "Mit diesem Detektor können wir sehr genau die Unterschiede zwischen den B-Mesonen und ihren Antiteilchen vermessen, insbesondere die Orte, an denen diese Teilchen zerfallen. Und die Zerfälle unterschieden sich, wenn die CP-Verletzung da ist, charakteristisch zwischen Teilchen und Antiteilchen. Also Teilchen und Antiteilchen zerfallen unterschiedlich."

    Der Detektor, der unter der Leitung von Christian Kiesling gebaut wird, ist salopp gesagt eine Digitalkamera mit acht Megapixeln. Das klingt nach Standardware. Allerdings soll diese Kamera pro Sekunde etwa 50.000 Bilder machen und dabei 800 Megabyte an Daten produzieren. So lässt sich auf einige Mikrometer genau messen, wo, welche Teilchen zerfallen sind und wie sie sich bewegt haben – sehr zur Freude von Jochen Schieck:

    "Im Vergleich zum LHC mit hoher Energie muss man sehr viel und sehr präzise messen, um dann eventuelle Abweichungen zu der bisher bekannten Physik zu messen und damit Rückschlüsse auf die Physik jenseits des Standardmodells zu schließen."

    Punktet der LHC-Beschleuniger am CERN in Genf mit seiner hohen Energie, so setzen die Japaner mit SuperKEKB auf unerreichte Präzision. Beide Anlagen ergänzen sich ideal. Das verheerende Erdbeben Mitte März hat den Bau um sieben Monate verzögert. Nach aktueller Planung lassen ab dem Jahr 2015 die Teilchenkollisionen in Tsukuba das Verhalten von Materie und Antimaterie in ganz neuem Licht erscheinen, hofft Ariane Frey, Physikprofessorin an der Universität Göttingen:

    "Wenn so ein Experiment wieder anfängt und dann online geht, ist das ein ganz toller Moment. Ich finde es vor allem beachtlich, dass sich zwar der Zeitplan ein bisschen verschoben hat durch die Probleme hier, aber dass trotzdem alles weiter geht. Da muss man auch sagen: Hochachtung vor den japanischen Kollegen, die das ganz toll hinbekommen."