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Klimaerwärmung
"Wir müssen rasch weltweit die Emissionen senken"

Momentan liege man etwa 1,4 Grad über dem Niveau des späten 19. Jahrhunderts, sagte Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung im DLF. Durch das El-Nino-Phänomen habe die globale Temperatur einen zusätzlichen Push bekommen. Dennoch hält er eine Begrenzung auf 1,5 Grad für möglich - auch Dank einer Entwicklung in China.

Stefan Rahmstorf im Gespräch mit Georg Ehring | 18.05.2016
    Rauch kommt aus Schornsteinen in Jilin-Stadt im Nordosten Chinas.
    Beim Klimagipfel in Paris wurde festgelegt, dass der Anstieg der Erdtemperatur langfristig auf höchstens zwei oder sogar auf 1,5 Grad begrenzt werden soll. (Ding Dong, dpa picture-alliance)
    Georg Ehring: Seit rund einem Jahr purzeln die Temperaturrekorde immer schneller. Monat für Monat veröffentlichen Forschungsinstitute neue Zahlen für die weltweite Durchschnittstemperatur und Monat für Monat werden Rekordwerte vermeldet. Die US-Weltraumbehörde NASA veröffentlichte jetzt die Daten für den April: 1,1 Grad ungefähr über dem Mittelwert von 1951 bis 1980. Die Weltgemeinschaft hat sich beim Klimagipfel in Paris bekanntlich vorgenommen, den Temperaturanstieg auf deutlich unter zwei, möglichst sogar 1,5 Grad zu begrenzen, verglichen mit dem vorindustriellen Zeitalter. Vergleichen wir also die Daten mit der Zeit von vor 1900, da war es noch etwas kälter als 1951 bis 1980.
    Professor Stefan Rahmstorf beschäftigt sich beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung mit der Erderwärmung. Guten Tag, Herr Rahmstorf.
    Stefan Rahmstorf: Guten Tag, Herr Ehring.
    Ehring: Herr Rahmstorf, haben wir die 1,5 Grad jetzt, ein halbes Jahr nach dem Klimagipfel von Paris, schon überschritten?
    Rahmstorf: Nein. Wir liegen im April jetzt etwa 1,4 Grad über dem Niveau des späten 19. Jahrhunderts. Das ist allerdings natürlich ein einzelner Monat, und Sie haben es richtig gesagt: Das galt auch für die vergangenen Monate schon. Das liegt aber auch daran, dass die globale Temperatur jetzt einen zusätzlichen Push bekommen hat durch das El-Nino-Ereignis im tropischen Pazifik. Solche El Ninos treten alle paar Jahre auf und wir schätzen, dass etwa 0,2 Grad jetzt hinzugekommen sind durch das El-Nino-Ereignis, was langsam zu Ende geht. Wir rechnen damit, dass die Temperaturen dann in den nächsten Monaten auch wieder beginnen zu sinken.
    Das heißt natürlich nicht, dass wir nicht das Problem der langfristig weiter steigenden Temperaturen durch unsere Treibhausgas-Emissionen haben.
    Ehring: Aber wo wir jetzt, sagen wir mal, fast bei 1,5 Grad sind und es dann wieder wahrscheinlich ein bisschen zurückgeht, die 1,5 Grad sind dann ja doch ziemlich nahe.
    Rahmstorf: Die sind sehr, sehr nahe und wir sagen ja seit Jahren, dass es ein Wettlauf gegen die Zeit ist, die globale Erwärmung rechtzeitig zu stoppen. Ich denke, wir haben noch gute Chancen, unterhalb der Zwei-Grad-Grenze zu bleiben, aber die 1,5 Grad, die in Paris ja als Ambition auch anvisiert sind, die wären nur noch zu halten, wenn wir sehr rasch weltweit die Emissionen senken, quasi ab sofort. Das ist nicht völlig aussichtslos. Vielleicht sind wir auch in der Nähe des Emissionsgipfels bereits. Die Kohle-Emissionen von China zum Beispiel sinken ja schon seit zwei Jahren.
    Ehring: Es gibt ja auch Unsicherheiten in der Prognose. Kann es sein, brauchen wir noch ein bisschen Glück dafür?
    Rahmstorf: Ja, es gibt noch eine Unsicherheitsspanne, und wenn ich sage, wir haben noch die Chance, die 1,5 Grad zu halten, dann braucht man dazu auch bereits etwas Glück, denn dazu darf die Empfindlichkeit des Klimasystems gegenüber CO2 nicht im oberen Bereich unserer Unsicherheit liegen, sondern müsste quasi in der unteren Hälfte des Unsicherheitsbereichs bleiben.
    "In der Westantarktis der Kipppunkt wahrscheinlich schon überschritten"
    Ehring: Ob es an einem Tag ein halbes Grad kälter oder wärmer ist, ist ja für den Einzelnen gar nicht so erheblich. Was ist denn der Unterschied zwischen 1,5 und zwei Grad?
    Rahmstorf: Ein wichtiger Unterschied ist, dass es bestimmte sogenannte Kipppunkte im Klimasystem gibt, wo dann bestimmte Veränderungen wie das Abschmelzen des Grönlandeises zum Selbstläufer werden und praktisch unaufhaltsam immer weitergehen, und die Gefahr besteht, dass, je wärmer es wird, wir solche kritischen Punkte überschreiten. Es gibt sogar Studien, die es für wahrscheinlich erachten, dass in der Westantarktis der Eisschild bereits destabilisiert worden ist und der Kipppunkt bereits überschritten wurde.
    Ehring: Deutschland diskutiert über den Braunkohle-Ausstieg in den nächsten Jahrzehnten. Passt das noch in die Landschaft?
    Rahmstorf: Wir müssen unsere Anstrengungen - und damit meine ich natürlich vor allem die Energiewende und den Ausstieg aus der Kohleverstromung - beschleunigen nach dem Abkommen von Paris, wenn wir das ernst nehmen, und nicht verlangsamen, wie es derzeit leider aussieht.
    Ehring: Professor Stefan Rahmstorf war das vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.