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Klimaschutz auf Eis gelegt

Umwelt. - Seit Jahren sorgen immer neue Erkenntnisse über das Klima und seine Verschiebung regelmäßig für Schlagzeilen und folgt eine Konferenz der anderen. Nach dem jüngsten Treffen in Peking steht jetzt eine Zusammenkunft im isländischen Reykjavik auf der Agenda. Entsprechend dem Tagungsort geht es dabei um gravierende Klimaveränderungen im Nordpolargebiet. Eigentlich sollten die neuesten Daten bereits früher veröffentlich werden, doch die USA blocken.

02.11.2004
    "Die Arktis ist der Brennpunkt auf unserem Planeten! Seit knapp 30 Jahren verändert sie sich dramatisch. Das Klima kippt dort schon heute, nicht erst irgendwann in der Zukunft", unterstreicht der Ozeanograph und Physiker Robert Corell. Im Nordpolargebiet vollziehe sich die Erwärmung doppelt so schnell wie anderswo auf der Erde. Corell leitet an der Universität von Alaska das "Arctic Climate Impact Assessment (ACIA)". Das internationale Projekt des so genannten "Arktischen Rates", an dem rund 300 Forscher der Arktisanrainer Kanada, Dänemark, Finnland, Island, Norwegen, Russland, Schweden und USA teilnehmen, ist die bisher aufwändigste regionale Klimastudie. Die erste Bilanz lässt erschaudern: "Die Arktis hat sich im letzten Jahrhundert im Durchschnitt um ein bis 1,5 Grad Celsius erwärmt, an manchen Stellen sogar um drei bis vier Grad. Das Meer verliert seine Eis-Bedeckung. Die Fläche schrumpft derzeit um sechs bis sieben Prozent pro Dekade. Zudem wird das Eis immer dünner. Im zentralen arktischen Ozean ist es bald nur noch halb so dick wie vor 30 Jahren."

    Solche Alarmsignale genügen den meisten betroffenen Anrainern, um von der Politik mehr Engagement in Sachen Klimaschutz zu fordern. Ein Mitglied des Arktischen Rates, in dem die Außenminister regelmäßig zu Beratungen zusammenkommen, setzt indes auf Blockadehaltung bei der Studie: die USA. So waren sich alle Minister noch vor vier Jahren - als die Studie startete - einig, nicht nur einen wissenschaftlichen Abschlussbericht zu erstellen, sondern überdies Handlungsempfehlungen für Politiker abzugeben. Dazu soll es aber offenbar auf Betreiben der USA nicht mehr kommen, schilderte die Kanadierin Sheila Watt-Cloutier kürzlich anlässlich einer Anhörung vor dem US-Senat. "Diese Klimastudie ist Bahn brechend und es ist zwingend, dass die Welt erfährt und versteht, was sie ergeben hat. Doch das US-Außenministerium schmälert und untergräbt die Wirkung dieses wissenschaftlichen Gutachtens. Denn es verweigert die Veröffentlichung des Berichts mit politischen Handlungsempfehlungen", konstatiert die Sprecherin aller Eskimo-Bevölkerungsgruppen in der Arktis.

    Bereits vor gerade zwei Wochen hatten sich Vertreter des Arktis-Rates auf Botschafterebene in Island getroffen. Dabei kam es offenbar zum Eklat, man habe sich in lautstarkem Streit getrennt, berichten skandinavische Forscher. Das mag Gunnar Palsson aus dem isländischen Außenministerium zwar nicht bestätigen. Er hatte die Sitzung geleitet. Doch so viel lässt der Diplomat durchblicken: "Sie müssen bedenken: Wenn es darum geht, Konsequenzen aus der Studie zu ziehen, dann ist das eine hochpolitische Angelegenheit. Da geht es um wichtige wirtschaftliche, politische und rechtliche Abwägungen." Obwohl die USA mit Abstand die meisten Treibhausgase unter allen Industrienationen produzieren, weigern sie sich offensichtlich aus wirtschaftlichen Gründen, das Kyoto-Klimaschutzprotokoll zu unterzeichnen. Entsprechend plausibel erscheint da, dass Washington versucht, die Arktis-Studie zu hintertreiben, denn sie erhöhe den Druck auf die Bush-Administration, schätzt auch die New York Times. Dass es aber höchste Zeit ist, zu handeln, zeigen die Kernaussagen des ACIA-Papiers. Demnach sind Eisbär, Walross und andere Tiere vom Aussterben bedroht und steht die Jahrtausende alte Jagdkultur der Eskimos vor dem Aus. Schlimmer noch, so Corell: "Die Abschmelz-Rate der Gletscher in Grönland erhöht sich. Das wird den Meeresspiegel schneller ansteigen lassen als angenommen. Und wenn der Arktische Ozean im Sommer tatsächlich bald eisfrei ist, wie das Klimamodelle vorhersagen, dann verändert das sogar den Welthandel. Dann rücken Asien und Europa näher aneinander."

    [Quelle: Volker Mrasek]