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Kommunikation
Exklusive Einführung in die wesentlichen Denkfiguren Schulz von Thuns

Das Buch "Kommunikation als Lebenskunst. Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens" ist gemeinsam durch den Tübinger Professor für Medientheorie, Bernhard Pörksen, und den Hamburger Psychologen Friedemann Schulz von Thun entstanden.

Von Matthias Eckoldt | 18.02.2015
    Dies gehört zu den größten Ärgernissen, wenn wir mit anderen reden: Man sagt etwas und wird falsch verstanden. Oder gar nicht. Man legt alles sachlich klar und scheinbar unmissverständlich dar, aber das Gegenüber versteht einfach nicht, was wir sagen. Fast scheint es, der Gesprächspartner will es gar nicht verstehen. Ebenso bemerken wir bei aufrichtiger Introspektion selbst: Während das Gegenüber redet, ist nicht nur unser rationaler Verstand am Werk, sondern auch Gefühle. Angenehme ebenso sehr wie unangenehme. So gesehen ist Kommunikation weniger der Ort des Verstehens, als des Missverstehens. Der Hamburger Psychologe Friedeman Schulz von Thun hat das wie kein anderer beschrieben. Für den Tübingern Professor für Medientheorie, Bernhard Pörksen, der ideale Partner für das nun vorliegende gemeinsame Buch "Kommunikation als Lebenskunst":
    "Etwas, was mir aufgefallen ist, ist, dass Friedemann Schulz von Thun als Kommunikationstheoretiker sehr breit rezipiert worden ist. Er ist der meistgelesene Psychologe Deutschlands, aber in den akademisch-universitären Milieu sind seine Arbeiten nicht voll zur Kenntnis genommen worden. Zum Teil ist man auch mit einer Arroganz darüber hinweggegangen und hat gesagt: Das ist aber so einfach. Aber die Genialität, die in diesem Werk liegt, ist genau die Kombination. Die Kombination aus Einfachheit und Tiefe. Man schafft es, etwas so anschaulich werden zu lassen und das dann gleichzeitig doch auf eine Weise zu präsentieren, die die ... nuancenreiche Welt dahinter sichtbar macht. Es ist populäre Wissenschaft nach meinem Verständnis im besten Sinne. Ich persönlich kenne niemanden, der Kommunikation in einer solchen Tiefe verstanden hat und diese Einsichten dann in handhabbare Modelle zu überführen."
    Modell des Kommunikationsquadrat
    Eines dieser Modelle ist das sogenannte Kommunikationsquadrat, das Friedemann Schulz von Thun weltweit berühmt gemacht hat. Demnach läuft Kommunikation immer auf vier Ebenen zugleich ab: Neben dem Sachinhalt findet sich da die Beziehungsebene, die Appell- und die Selbstbeschreibungsebene. Somit hören wir jeden gesprochenen Satz mit vier Ohren und sprechen ihn mit vier Mündern. Von Thuns Paradebeispiel zu diesem Modell sieht ein Ehepaar im Auto sitzen. Die Frau fährt. Der Mann sagt:
    "Du, da vorne ist grün."
    Von Thun nimmt im Gespräch mit Pörksen die vier Ebenen dieser Kommunikationssituation auseinander:
    "Auf der Ebene der Sachinhalte ist es eine Information über die Verhältnisse in der Welt. Gleichzeitig gibt der Mann auch etwas von sich selbst preis, eventuell ist er ungeduldig oder in Eile. Auf der Ebene der Beziehung lässt er vielleicht einen Kompetenzzweifel an der Fahrtüchtigkeit der Frau erkennen. Und womöglich enthält seine Äußerung den Appell, etwas schneller zu fahren, um noch bei Grün über die Ampel zu kommen."
    Diese vier Botschaften sind also in der erst einmal sachlich scheinenden Aussage von der grünen Ampel enthalten. Nun liegt es an der Empfängerin, welches ihrer vier Ohren sie spitzt. Hört sie wirklich nur mit dem Sach-Ohr und bedankt sich für die Information? Hört sie eher die Selbstkundgabe des Mannes und reagiert auf seine unausgesprochen-ausgesprochene Eile? Oder steigt sie voll auf die Beziehungsebene ein und entfacht einen Streit über die Zweifel, die ihr Mann an ihr hat? Tritt sie gar auf die Bremse, weil sie nur mit ihrem Appell-Ohr gehört hat und die Aussage des Partners anmaßend findet?
    "Bei vielen Menschen ist unabhängig von den konkreten Erfordernissen ein Ohr auf Kosten der anderen besonders gut ausgebildet", sagt Friedemann Schulz von Thun im weiteren Verlauf des Gesprächs, das dem Leser ein facettenreiches Bild von Kommunikation liefert und ihm ermöglicht, seine eigenen Erfahrungen neu auszudeuten.
    Einführung in die wesentlichen Denkfiguren Schulz von Thuns
    Für diese Öffnung zum Leser hin spielt Bernhard Pörksen die entscheidende Rolle. Er ist nicht einfach nur Interviewer, sondern fächert als Schwergewicht der Deutschen Medienwissenschaft seinen eigenen Horizont auf, der Schulz von Thun veranlasst, seine Vorstellungen immer weiter zu präzisieren. So bekommt der Leser eine exklusive Einführung in die wesentlichen Denkfiguren Schulz von Thuns - etwa die Idee des inneren Teams, nach der der Mensch verschiedene Persönlichkeitstypen in sich trägt, oder das Modell der vier Grundbedürfnisse des Menschen. Die da wären: Dauer und Wechsel. Nähe und Distanz. Bernhard Pörksen zur Entstehungsgeschichte des Buches:
    "Über ein ganzes Jahr sind wir uns immer wieder begegnet und haben auf unterschiedliche Weise, in unterschiedlichen Aggregat- und Energiezuständen miteinander geredet. Mal energisch, mal mäandernd, mal nuanciert, mal pauschal. Und auf diese Weise entstand dann ein Riesenmanuskript von gut 600 Seiten, von dem wir beide sicher waren, dass es niemand würde lesen wollen. Und dieses Manuskript einzudampfen, mit ihm gleichsam zu kämpfen und die Dramaturgie darzustellen. Das war eine eigene Herausforderung, eine eigene Arbeit. Also 200 lesbare Seiten aus 600 Seiten zu machen, das hat viel Spaß gemacht, aber auch viel Gedankenschweiß gekostet."
    So ist ein Buch entstanden, indem sich die Frische des Mündlichen mit der Präzision des Schriftlichen verbindet. Es ist ohne die geringste Einstiegsschwelle les- und verstehbar.
    Fruchtbarkeit der Ideen und der Tod
    Im mittleren Teil geht es vor allem um die Fruchtbarkeit der Ideen Friedman Schulz von Thuns für das Coaching von Führungskräften. Interessant zu lesen, wie sich der Psychologe dem modernen Manager annähert und diesen von Stress und Burn-out-Symptomen geplagten Menschen die Einsicht in ihre eigenen unvermeidlichen Unzulänglichkeiten ermöglicht. Das abschließende Kapitel widmet sich schließlich der Frage des Todes und nimmt damit eine für Bücher, die sich mit Kommunikationstheorie beschäftigen, ganz unerwartete Wendung. Denkt man an die großen Entwürfe wie jene von Paul Watzlawick oder Niklas Luhmann - da wird man den Topos des Todes vergeblich suchen. Auch im Werk von Friedemann Schulz von Thun findet sich bisher keine Erwähnung des großen Unbekannten. So ist es ein weiteres Verdienst von Bernhard Pörksen, dass in dem Buch "Kommunikation als Lebenslust" dieses Thema aufgegriffen und vertieft wird:
    "Mir ist eines klar geworden, nämlich dass jede Kommunikationstheorie letztlich von einer Voraussetzung ausgeht: Nämlich dass man lebendig genug, kräftig genug, gesund genug noch einmal sprechen kann. Das Miteinanderreden, das für Friedemann Schulz von Thun und die gesamte Kommunikationspsychologie so unendlich zentral ist, setzt immer voraus, dass es weiter geht, dass man noch weiterlebt. Aber wir alle wissen natürlich, dass wir alle eine Art Todesurteil immer schon in der Tasche tragen. Niemand von uns beiden war auf dieses ... Thema wirklich vorbereitet. Und für mich ist es vielleicht gerade deshalb ... eines der offensten, authentischsten und auch berührendsten Dialoge überhaupt."
    Dabei könnten die Perspektiven der Diskutanten auf den Tod entgegengesetzter kaum sein. Pörksen empfindet die Endlichkeit als ungeheuerliche Erniedrigung des Menschen, während Schulz von Thun dem Undenkbaren mit einer Art heiterer Melancholie begegnet:
    "Für mich stellt sich die Frage: Welche Haltung ist dem Tod gegenüber erstrebenswert? Welche Haltung kann es mir erleichtern, mein Dasein zu bejahen, auch wenn es diese Begrenzung in sich trägt? Könnte es nicht sein, dass ein erfülltes und reichhaltiges Leben irgendwann eine lebenssatte Müdigkeit nach sich zieht, die ein sanftes Hinübergleiten als stimmig und richtig erscheinen lässt?"
    Gerade auch durch die nachdenklich stimmenden Erörterungen zum Tod wird "Kommunikation als Lebenskunst" zu einem jener wenigen Bücher, dessen Lektüre man guten Gewissens wirklich jedem Erdenbürger ans Herz legen kann.
    Bernhard Pörksen und Friedemann Schulz von Thun: "Kommunikation als Lebenskunst: Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens", Carl Auer Verlag, 217 Seiten, 24,95 Euro.