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Konfrontationen zwischen Spanien und Katalonien

In Zeiten der Eurokrise wird in Katalonien die Idee einer Loslösung von Spanien wieder populärer. Der katalonische Nationalist und Verfassungsexperte Miquel Roca kann den Stimmungswechsel nachvollziehen, warnt aber vor einer Eskalation.

Von Hans-Günter Kellner | 03.05.2013
    "Für Katalonien wäre das der richtige Weg. So viele Unternehmen haben hier ihren Sitz, und Spanien behält die Steuern, die sie zahlen. Wirtschaftlich wäre Katalonien auf jeden Fall besser dran."

    "Wir sind es leid, ausgeraubt zu werden. Jetzt machen die Spanier den Leuten Angst. Die verkaufen uns für dumm!"

    Die spontane Umfrage auf der Straße von Barcelona zeigt: Die Idee von einer Loslösung Kataloniens von Spanien ist populär. Dabei stimmten noch 1978 mehr als 90 Prozent der Katalanen für Spaniens demokratische Verfassung. Miquel Roca saß damals für die Nationalisten am Verhandlungstisch. Der 73-Jährige ist einer der sieben sogenannten Verfassungsväter. Damals schien den Politikern der Konsens leichter zu fallen als heute. Dabei beobachtete das Militär den Beginn der Demokratie in Spanien argwöhnisch. Miquel Roca erinnert sich:

    "Wir unternahmen alle Anstrengungen, dass wir einen maximalen Konsens über die Verfassung erreichen würden - zwischen allen Kräften, die in der Vergangenheit ihre Konflikte immer gelöst hatten, indem sie sich umbrachten. Wir wussten, dass wir alle auf etwas verzichten mussten, dass wir damit aber an Freiheit, Stabilität und Fortschritt gewinnen."

    Diesen konstruktiven Geist des ständigen Dialogs sucht man heute vergeblich, auch im jetzt veröffentlichten Argumentationsleitfaden der katalanischen Regionalregierung für ihre Auslandsvertretungen. Spaniens Dezentralisierung sei gescheitert, auch die Verteilung der Steuermittel sei ungerecht, zu viele katalanische Steuermittel flößen in andere Regionen, erklären die Nationalisten in dem sieben Seiten langen Schriftstück zu ihrem Sezessionskurs. Der 73-jährige Roca ist kein Freund solcher schrillen Töne, aber er zeigt Verständnis:

    "Die Katalanen fühlen sich nicht mehr als Teil des spanischen Projekts. Sie haben den Eindruck, inmitten der Krise werde von ihnen zu viel Solidarität verlangt. Und das zweite Thema: In Madrid wird immer wieder wiederholt, die katalanische Sprache sei ein Konfliktthema. Das stimmt nicht. Millionen von Menschen sind aus anderen Teilen Spaniens nach Katalonien eingewandert. Trotzdem gibt es keine Sprachkonflikte. Das ist nicht nur ein großer Erfolg. Es ist ein Wunder! Wenn an dieser Integration jetzt von außen gezweifelt wird, führt das hier zu Irritationen."

    Ein Auslöser der gegenwärtigen Separationsbestrebungen war zudem ein Urteil des spanischen Verfassungsgerichts. Das hatte 2010 14 Artikel des katalanischen Autonomiestatuts für ungültig erklärt. Unter anderem störte sich das Gericht daran, dass sich die Katalanen darin zur Nation erklärten.

    "Das Verfassungsgericht hat da politisch gehandelt. Zuvor hatten sich das spanische und das katalanische Parlament über das Statut geeinigt. Und dann kommt das Verfassungsgericht und sagt 'nein'. Das hätten sie höchstens machen können, bevor das Statut im Referendum ratifiziert worden ist - nicht, nachdem das Volk schon gesprochen hat. Das war der große Fehler des Urteils von 2010."

    Miquel Roca lässt keinen Zweifel daran, dass er immer noch katalanischer Nationalist ist. Auch er ist dafür, dass die Katalanen über die Unabhängigkeit von Spanien abstimmen dürfen - lässt aber offen, ob er einen eigenen Staat oder Autonomie wählen würde. Und er nimmt die Europäische Union in die Pflicht: Europa dürfe der Freiheit nicht im Weg stehen - eine Anspielung auf die strittige Frage, ob ein unabhängiger katalanischer Staat überhaupt Teil der EU wäre. Einzelne Vertreter der Europäischen Union haben erklärt, Spanien stünde womöglich sogar ein Vetorecht zu, sprich: Spanien könnte somit eine Mitgliedschaft Kataloniens in der EU verhindern. Wie es auch kommt - spanische wie katalanische Politiker werden also miteinander sprechen müssen. Miquel Roca will sich nicht in die Tagespolitik einmischen. Doch seine Kritik am derzeitigen Konfrontationskurs ist deutlich:

    "Mich interessieren die Konflikte nicht, mich interessieren die Lösungen. Politiker sind nicht dazu da, Streit heraufzubeschwören, aus dem sie hinterher Kapital schlagen können. Ihre Pflicht ist es, für Lösungen zu sorgen. Und selbst wenn sie dabei viel verlieren. Das ist Politik. Es kann doch nicht darum gehen, Konflikte zu benennen und dann daran zu arbeiten, dass sie immer mehr verhärten. Das ist nichts wert. Die Politiker stehen in der Verantwortung, die Probleme der Bürger zu lösen."