Archiv


Kontroverse Positionen

Medizin. - In der kontrovers geführten Debatte um embryonale Stammzellen berät der Deutsche Bundestag am Donnerstag die Zukunft der Stammzellenforschung in Deutschland. Das Bundesforschungsministerium und Abgeordnete aus verschiedenen Parteien erwägen eine Lockerung der Stichtagsregelung, während Gegner erneut ein Verbot der Forschung an embryonalen Stammzellen fordern.

Von Michael Lange | 13.02.2008
    Die ersten embryonalen Stammzellen kamen vor etwa fünf Jahren aus Israel nach Deutschland. Seitdem wird am Institut für Rekonstruktive Neurobiologie an der Universität Bonn mit embryonalen Stammzellen des Menschen geforscht. Aber der Leiter der Bonner Arbeitsgruppe Oliver Brüstle ist mit den alten Zellen nicht mehr zufrieden. Die vor 2002 aus Embryonen gewonnenen Stammzellen entsprächen nicht mehr den heutigen Anforderungen der Wissenschaft. Die Zusammenarbeit mit ausländischen Forschern sei kaum noch möglich, so Oliver Brüstle.

    " Man muss sich das so vorstellen: Wenn ein Kollege in Finnland, Schweden oder Großbritannien Jahre investiert hat, um neue Stammzellen zu etablieren und diese jetzt für seine Forschungsarbeiten einsetzt, dann möchte er natürlich international auf Grundlage dieser Zellen kooperieren und nicht mit Zellen arbeiten, die aus den USA oder Australien importiert wurden, und die heute als qualitativ minderwertig angesehen werden. "

    Die Bundesforschungsministerin Annette Schavan und Abgeordnete aus verschiedenen Parteien wollen den Wissenschaftlern entgegen kommen und den Stichtag verschieben. Dann könnten neue Stammzellen aus dem Ausland importiert werden.

    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe lehnt das ab. Er sagt: Keinem einzigen Patienten sei bislang durch embryonale Stammzellen geholfen worden.

    " Wenn man heute mal schaut, was vor vielen Jahren versprochen worden ist, vor allem von Herrn Brüstle im Jahr 2000, welche Visionen er gemalt hat, dann muss man sagen: Das Ergebnis ist gleich Null. Es gibt keine Studie weltweit mit embryonalen Stammzellen. Es gibt allerdings 1700 Studien, die allein bei der NIH in Amerika gemeldet sind, an adulten Stammzellen, für die man keinen Embryo töten muss. "

    Der Zeitraum von fünf Jahren sei viel zu kurz, kontert Oliver Brüstle. Er verweist auf Erfolge bei der Züchtung embryonaler Stammzellen und der Weiterentwicklung der Zellen im Labor.

    " Es ist möglich Herzmuskelzellen zu gewinnen oder insulinbildende Zellen. Es ist eine ganz breite Gruppe von Zelltypen, die medizinisch hoch relevant sind und deren Gewinnung in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht hat. "

    Die Bilanz des Abgeordneten Hubert Hüppe sieht anders aus:

    " Es gibt für mich kein Argument, selbst wenn man kein Problem mit der Tötung von Embryonen hätte, gibt es aus meiner Sicht kein Argument für die Verschiebung des Stichtages. Im Gegenteil: Man muss sich fragen, warum hier immer noch Geld hereingesteckt wird, die bisher auf jeden Fall nichts gebracht hat, schon gar nichts für Patienten gebracht hat. "

    Hubert Hüppe plädiert deshalb nicht nur gegen eine Verschiebung des Stichtages, sondern für ein komplettes Verbot der Forschung mit embryonalen Stammzellen in Deutschland. Andere Abgeordnete fordern die Beibehaltung des Stichtages 1. Januar 2002. Die größte Gruppe stimmt der Bundesforschungsministerin zu und will eine einmalige Verschiebung des Stichtages auf den 1. Mai 2007 beschließen. So soll den deutschen Wissenschaftlern die Forschung mit neuen, besseren Stammzellen ermöglicht werden. Für Oliver Brüstle ist das jedoch allenfalls die zweitbeste Lösung.

    " Meine Voraussage ist, dass es bei einer einmaligen Verschiebung des Stichtages dazu kommt, dass binnen weniger Jahre, zwei bis drei Jahre, wir vor der selben Situation stehen: Unsere Kollegen in Skandinavien, Großbritannien und anderen Ländern arbeiten an hochwertigen Zell-Linien, und wir werden wiederum in unserer Kooperationsmöglichkeit mit diesen Labors durch die Stichtagsregelung eingeschränkt. "

    Eine Freigabe der Stammzellenforschung oder zumindest des Stammzellenimportes, wie Brüstle ihn wünscht, ist freilich nicht zu erwarten. Der Bundestag ist - wie vor fünf Jahren - unterwegs in Richtung Kompromiss.